Ali Smith: "Von Gleich zu Gleich"
Aus dem Englischen von Silvia Morawetz
Luchterhand Verlag, München 2013
368 Seiten, 22,99 Euro
Die verworrenen Pfade der Liebe
Genau und einfühlsam beschreibt Ali Smith, welche Umwege und Ausgrenzungen eine gleichgeschlechtliche Liebe in der schottischen Provinz mit sich bringt. Ein rätselhafter Roman über unerfüllte Liebe und undeutliche Verhältnisse.
Eines der Motti, die die schottische Autorin Ali Smith ihrem Roman "Von Gleich zu Gleich" vorangestellt hat, stammt von Tennessee Williams:
"Gerade, was heißt das schon? Eine Linie ist gerade oder eine Straße, aber das menschliche Herz, oh, nein, seine Wege sind gewunden wie ein Pfad durchs Gebirge."
Eine englische Frau lebt mit ihrer kleinen Tochter in Schottland in einem Wohnwagen am Meer. Sie kann offenbar nicht schreiben und lesen, sie hat wenig Geld und keinen Fernseher, sie will keine sozialen Kontakte und hält sich mit einem Job auf einem Campingplatz über Wasser. Die beiden sind Außenseiter in dem kleinen Ort, miteinander verbunden auf liebevolle Weise.
Ein Geheimnis umgibt sie. Erst auf einer überstürzten Reise ins wohlhabende Elternhaus der Mutter lernt das kluge Mädchen seine Großeltern kennen. Vielleicht ist sie aber auch ein Findelkind, wie ihre Mutter behauptet. Und warum reden die Großeltern nicht miteinander, warum lebt der gebildete Großvater in seiner umfangreichen Bibliothek in einem Nebentrakt des Hauses, zu dem der Übergang zugemauert wurde? Die Geschichte bleibt rätselhaft. Es gibt da nur ein Foto und später den Anruf einer Fernsehjournalistin, die auf der Suche nach einer schottischen Schauspielerin ist.
Ali Smith verweigert einfache Erklärungen und zufriedenstellende Auflösungen. Der Roman gliedert sich in zwei Teile, in denen die Geschichte zweier Frauen erzählt wird. Neben der Mutter der kleinen Kate ist da noch ihre langjährige Freundin, die ihrem Vater hilft, sein Haus aufzulösen. Als junge Mädchen waren sich die beiden nah, es hätte vielleicht eine große Liebe werden können. Die eine ist Engländerin, die andere Schottin, die eine stammt aus gebildeten, wohlhabenden, die andere aus kleinbürgerlichen Verhältnissen.
Die eine wird eine gut ausgebildete Literaturwissenschaftlerin, die andere streunt herum, bis sie Schauspielerin wird, die eine weiß offenbar nicht genau, welche Liebe sie sucht, für die andere gibt es keinen Zweifel, dass sie Frauen liebt.
Gleichgeschlechtliche Liebe in der schottischen Provinz
Die Autorin beschreibt genau und einfühlsam, welche Umwege und Ausgrenzungen diese gleichgeschlechtliche Liebe in der schottischen Provinz mit sich bringt:
"Aber die Wahrheit bringt Entsetzliches hervor, das ist vermutlich die gute presbyterianische Lektion, die es hier zu lernen gilt. Stellen Sie sich den Skandal vor, das Unheil, man kann gar nicht ermessen, was für ein Durcheinander wir in der Welt angerichtet hätten, zwei Mädchen, die zusammen fehlgehen, und das in aller Öffentlichkeit in den wunderschönen anständigen Highlands, wo eine Frau, die vor sich hin pfeift, noch so unnatürlich war wie eine krähende Henne. Allerdings hat damals kaum jemand Hühner gehalten, bloß die verrückten englischen Zuzügler, die zurück zur Natur wollten."
Das Herz, die Liebe kennt keine geraden Wege. Wie die verworrenen Pfade aussehen, welche Fallstricke und Katastrophen am Rande lauern – davon erzählt dieser eindringliche, verwirrende Roman, in dem auch ein Kunstraub stattfindet und eine Bibliothek in Flammen aufgeht, Sex zwischen zwei Frauen wunderbar beschrieben und der Erinnerung grundsätzlich misstraut wird. Die Zeit jedenfalls ist zu schnell vergangen: "Gerade eben. Jahrzehnte her."
Ein Happy End gibt es nicht, aber die kluge Einsicht:
"Es ist immer eine schlechte Idee mit jemandem zu schlafen, den man eigentlich nicht mag, auch wenn man sich vorübergehend besser fühlt."