Kulturwissenschaftler zum Ukraine-Krieg

"Es braucht jetzt sehr viel Vertrauen, um Frieden herbeizuführen"

08:45 Minuten
Ein Friedenswandbild, das eine Taube mit einem Zweig in ukrainischen Farben des Künstlers Justus Becker zeigt.
„Wenn man von der Maxime 'Demokratie oder Tod' ausgeht, wird es keinen Frieden und keine Kompromisse geben", sagt Roman Dubasevych. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Michael Probst
Roman Dubasevych im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Audio herunterladen
Seit zwei Monaten herrscht Krieg in der Ukraine - mit großen Opferzahlen. Doch statt absoluter Kategorien wie Freiheit oder Tod sollte das menschliche Leben im Mittelpunkt stehen, sagt der Kulturwissenschaftler Roman Dubasevych.
Als Roman Dubasevych Mitte Januar in einem Facebook-Post zur Gefahr des Krieges dafür plädierte, zu überlegen, ob man nicht irgendwelche Zugeständnisse machen sollte, bevor die Zerstörung losgehe, gab es Vorwürfe, er relativiere russische Kriegsverbrechen oder rufe zur Kapitulation auf. „Das hat mich sehr betroffen gemacht, weil mein Anliegen einfach war, in dieser Situation zum Nachdenken und zum sorgfältigen Reflektieren aufzurufen“, sagt Dubasevych.
Der Professor für ukrainische Kulturwissenschaft an der Universität Greifswald kritisiert die Verengung der Debatten über den Ukraine-Krieg auf letztlich zwei Extrempositionen: Entweder man verteidigt Putin und rechtfertigt damit den Angriffskrieg auf die Ukraine, oder man dämonisiert und erklärt ihn zum Teufel, zum neuen Hitler. Diese Polarisierung sei der Traumatisierung, dem Schock durch den Krieg geschuldet, so Dubasevych. Und „sobald man beginnt, über Zweifel an der jetzigen Entwicklung zu sprechen, landet man sehr leicht im ersten Lager der Putin-Versteher.“ 

Freiheit oder Tod – kann nicht die Lösung sein

Für Dubasevych ist klar, dass die russische Armee der ukrainischen überlegen ist und den Krieg gewinnen wird. Deswegen müsse man sich die Ziele in diesem Krieg genauer ansehen: „Wenn die oberste politische Führung des Landes sagt: Es geht um Freiheit oder Tod – dann schrillen beim Intellektuellen die Alarmglocken, egal, um was es geht." Denn im Zentrum dieses Kampfes sollten eigentlich das menschliche Leben und die menschliche Würde stehen.
"Ich denke, es ist nicht abwegig, zu fragen: Gibt es einen Punkt, an dem man diesen Kampf nochmal revidiert? Wann kommt dieser Punkt? Sind das 10.000 Opfer, 20.000 Opfer, 30.000 Opfer?", fragt Dubasevych.
Wenn aber Stadt für Stadt zerstört und ganze Regionen unbewohnbar gemacht würden und dem wirtschaftlichen Niedergang geweiht seien, „dann ist es immer wichtig und notwendig, auch kritische Stimmen hochkommen zu lassen". Das Problem sei, „dass dieser Krieg nur in absoluten Kategorien verhandelt wird: Freiheit oder Tod. Und das ist natürlich eine Situation, die nicht befriedigen kann“.

Operation erfolgreich, Patient tot?

Angesichts des Krieges, bei dem nun viel mehr auf dem Spiel stehe als beim Minsker Abkommen und bei dem eine viel größere Zerstörung drohe – bis zum atomaren Schlag, „wäre es wichtig, sich zu fragen: Was ist das Ziel unserer Verteidigung? Menschenleben, Infrastruktur zu schonen? Oder ist das Ziel unserer Verteidigung, eine Situation zu erreichen, über die man salopp sagen könnte: Operation erfolgreich, Patient tot?“

Wenn man von der Maxime 'Demokratie oder Tod' ausgeht, wird es keinen Frieden und keine Kompromisse geben.

Roman Dubasevych, Kulturwissenschaftler

Im Vergleich zum Minsker Abkommen stehe die Ukraine nun vor dem Problem, „dass sie jetzt viel schmerzhaftere Zugeständnisse machen muss als vorher“, denn: "Je länger man um die Unabhängigkeit kämpft und je größer die territorialen Gewinne werden, die Russland vor allem im Süden bekommt, desto größer werden dann die Zugeständnisse sein."
Deswegen sei es wichtig, nicht nur diese Ideale auf dem Schirm zu haben, sondern sich auch immer die konkrete Situation vor Augen zu führen. Außerdem plädiert Dubasevych für eine ehrliche Diskussion darüber, wie es zu diesem Krieg gekommen ist und ob alle Spielräume auch tatsächlich genutzt wurden, um ihn zu verhindern. 

Ohne Vertrauen wird es nicht gehen

Letztlich komme es „sehr darauf an, durch welches Prisma man diesen Krieg betrachtet“, sagt Dubasevych. Vergleicht man Putin mit Hitler, „dann kann man es den Menschen schwer verübeln, dass sie mit der Waffe bis zuletzt kämpfen“. Doch Putin sei eben nicht Hitler und man müsste mit ihm verhandeln und Spielräume ausloten. Aber, so Dubasevych weiter, dafür seien die Fronten momentan wohl zu verhärtet und würden mit jedem Kriegstag wahrscheinlich noch härter werden.
„Wenn man von der Maxime 'Demokratie oder Tod' ausgeht, wird es keinen Frieden und keine Kompromisse geben. Wenn man davon ausgeht, dass die ukrainisch-russische Geschichte nur eine Geschichte der Unterdrückung, der Repression und des Genozids ist, wird es keinen Frieden geben, wird es auch keine Spielräume geben, über Frieden nachzudenken, weil die Wahrnehmung des anderen durch das Misstrauen beherrscht wird. Das gilt natürlich auch für die russische Seite. So paradox es klingt: Es braucht jetzt sehr viel Vertrauen und sehr viel Risikobereitschaft, um den Frieden herbeizuführen.“

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema