Jaroslav Rudis: Vom Ende des Punks in Helsinki
Aus dem Tschechischen von Eva Profousová
Luchterhand, München 2014
352 Seiten, 14,99 Euro
Eine Jugend hinterm Eisernen Vorhang
In Tschechien bekommt Ole das Tagebuch einer verflossenen Liebe aus den 80er-Jahren in die Hand gedrückt: Damals lernte er das Punk-Mädchen Nancy bei einem Konzert der Toten Hosen in Böhmen kennen. Der Roman ist als eine Art Doppel-Tagebuch angelegt: Dem schnoddrigen Jugend-Slang der jungen Tschechin steht der desillusionierte Ton Oles gegenüber.
Ole ist 40 und betreibt das "Helsinki" – eine Kneipe in einer namenlosen Stadt im Osten Deutschlands. Das "Helsinki" ist ein Zufluchtsort für renitente und gescheiterte Existenzen im Deutschland unserer Gegenwart. Bio-Mütter mit Kinderwagen werden vergrault. Das Rauchverbot wird ignoriert. Stoisch hält man an der überschaubaren Speisekarte mit russischer Soljanka-Suppe und niedrigen Bier-Preisen fest.
Verändert hat sich nur der Kneipenwirt selbst: Während Ole früher als Punk-Musiker ein bewegtes Leben führte - davon erzählen die zahlreichen Rückblenden und Anekdoten seiner Jugend - plagt ihn nun ein Gefühl der Stagnation und Leere. Seine heranwachsende Tochter aus einer gescheiterten Beziehung will nichts von ihm wissen, eine neue Lebenspartnerin gibt es nicht.
Als die Kneipe aus baurechtlichen Gründen geschlossen wird, finden die Freunde schnell ein neues Domizil. Aber Ole steigt aus – und macht sich auf den Weg nach Tschechien. In einem kleinen Grenzort bekommt er ein Tagebuch aus den 80er-Jahren in die Hand gedrückt. Hier schließt sich der Kreis (und endet der Roman). Denn der Leser kennt bereits die 17-jährige Nancy (die sich den Namen zu Ehren der gleichnamigen Freundin vom Sex Pistols-Musiker Sid Vicious zugelegt hatte).
Ein atmosphärisch starker Roman
Ihre Aufzeichnungen - farblich und im Schrifttyp abgesetzt - sind im Wechsel mit Oles Geschichte zu lesen. Die beiden Protagonisten hatten sich im September 1987 bei einem Konzert der Toten Hosen im böhmischen Pilsen kennengelernt (es fand tatsächlich statt). Die zweitägige Liebesbeziehung der beiden Teenager endete damals mit Nancys tragischem Tod.
Jaroslav Rudis ist mit "Das Ende des Punks in Helsinki" ein atmosphärisch starker Roman gelungen. Dank der Doppel-Struktur hat er gleich zwei Milieus und Zeitebenen plastisch umgesetzt. Auch sprachlich sind die beiden Welten von Nancy und Ole exzellent konturiert (und von der Übersetzerin kongenial ins Deutsche übertragen). Dem schnoddrigen Jugend-Slang der jungen Tschechin steht der desillusionierte Ton Oles gegenüber. Die Details und Realien aus dem Alltag eines jungen Punk-Mädchens in der sozialistischen Tschechoslowakei machen das Buch auch inhaltlich lesenswert.
Erneut hat sich Jaroslav Rudis seinem Thema der deutsch-tschechischen Beziehungen gewidmet – eine Art Lebensthema: Man denke nur an die jüngst erfolgreich verfilmte Geschichte des "Alois Nebel" oder den Roman "Grand Hotel" über einen sudetendeutsche Heimkehr-Touristen. Im Fall des vorliegenden neuen Romans ist das vielleicht der einzige Kritikpunkt: Dass Nancy ausgerechnet aus einer sudetendeutschen Familie stammen musste, scheint aus Sicht der Rezensentin etwas überkonstruiert.