Roman "Hochdeutschland"

Die Gefahr des intelligenten Populismus

Dunkle Wolke ziehen am 17.12.2011 über den Doppeltürmen der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main auf.
Im Roman "Hochdeutschland" reitet ein Investmentbanker aus Frankfurt am Main erfolgreich auf der Populismuswelle © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Alexander Schimmelbusch im Gespräch mit Ute Welty |
Der Schriftsteller und frühere Investmentbanker Alexander Schimmelbusch legt in seinem neuen Roman "Hochdeutschland" die Schwächen seiner früheren Branche offen, aber auch die Schwächen des politischen Systems. Beim Schreiben habe ihm der Populismus literarisch Freude bereitet.
Der Schriftsteller Alexander Schimmelbusch war selbst jahrelang als Investmentbanker tätig. In seinem Roman "Hochdeutschland" lebt seine Hauptfigur Viktor in einer gläsernen Villa im Taunus und verkauft U-Boote in Schurkenstaaten, bis er neue Karrieremöglichkeiten in der Politik wittert. Er schreibt ein politisches Manifest und reitet erfolgreich auf der populistischen Welle.

Sammlung verkrachter Existenzen

"Es mag recht bizarr klingen stellenweise, wenn man es liest", sagte Schimmelbusch im Deutschlandfunk Kultur. "Aber es ist doch eigentlich sehr realistisch." Sein Roman sei eine Art kontrafaktische Erzählung. Wenn man sich überlegen würde, dass es diese Bewegung als Partei im Frühjahr 2017 gegeben hätte, dann sei das Wahlergebnis, das im Roman erzielt werde, keineswegs abwegig.
Die AfD werde in dem Buch "verarscht auf ziemlich böse Weise", sagte der Autor. Sie sei keine echte Partei, sondern eine Sammlung verkrachter Existenzen, die einen simplen Weg erspäht hätten. "Sie bilden sich wahrscheinlich ein, dass sei irgendwie smart." Dabei sei es einfach naheliegend, dass durch eine riesige Zuwanderungswelle Ängste in der Bevölkerung entstanden seien und die AfD habe auf simple "stammtischartige Weise" für sich gutbezahlte Staatsposten herausgeschlagen. Das sei sehr destruktiv, nicht nur für die politische Kultur, sondern auch für Deutschland als Volkswirtschaft.

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Der Schriftsteller und frühere Investmentbanker Alexander Schimmelbusch© Annette Hauschild/Ostkreuz

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Jetzt steht sie also, die neue Bundesregierung. Alle drei Parteien haben die Ministerinnen und Minister benannt, aber taugt das Personal auch für ein qualifiziertes Deutschland, für ein "Hochdeutschland" – Alexander Schimmelbusch hat sich über "Hochdeutschland" Gedanken gemacht, denn sein neuer Roman heißt so, und genau analysieren wir das jetzt im "Studio 9"-Gespräch. Guten Morgen!
Alexander Schimmelbusch: Guten Morgen!
Welty: Ihre Hauptfigur Viktor bewohnt eine gläserne Villa im Taunus, verramscht als Investmentbanker U-Boote an Schurkenstaaten und gründet eine populäre Bewegung. Was würde Viktor von der neuen Regierung halten, oder ist ihm egal, wer unter ihm Kanzlerin ist?
Schimmelbusch: Na von dieser Regierung wäre Viktor wahrscheinlich eher gelangweilt. Also Viktor kommt durch Zufall zur Politik, eigentlich aus sehr egozentrischen Motiven. Als Investmentbanker ist er geschult darin, Lücken und Möglichkeitsräume zu identifizieren und sich dann auszudenken, wie sich da ein Geschäft machen lässt, und Viktor betrachtet eben die Gemengelage im Frühjahr 2017 und sieht die als sehr vielversprechend für die Erfolgschancen einer populistischen Bewegung, und der Erfolg der AfD hat ja gezeigt, dass seine Analyse zutrifft, denn wenn eine derart verblödete populistische Bewegung schon 15 Prozent jetzt in Umfragen erringen kann, dann wäre für eine intelligente und weniger verblödete populistische Bewegung mit attraktiverem Personal natürlich ein noch viel besseres Ergebnis drin gewesen.
Welty: Inwieweit ist "Hochdeutschland" Realität, inwieweit Satire und inwieweit Realsatire?
Schimmelbusch: Das ist schwer zu beantworten. Es mag recht bizarr klingen stellenweise, wenn man es liest, aber es ist doch eigentlich sehr realistisch. Das ist ja eine sogenannte kontrafaktische Erzählung. Wenn man sich überlegt, dass es diese Bewegung wirklich gegeben hätte so im April letzten Jahres vielleicht als Partei, dann ist das Wahlergebnis, das sie dann in meinem Roman erzielt, glaube ich, gar nicht so abwegig.

Rekrutiert wie ein Kindersoldat

Welty: Der Bezug zur Realität ist ja schon deshalb gegeben, weil auch Sie eine Vergangenheit haben und zwar als Investmentbanker selber. Wie viel Berufserfahrung ist in das Buch eingeflossen?
Schimmelbusch: Das ist nun schon ziemlich lange her, dass ich Investmentbanker war. Ich glaube, ich habe aufgehört im Jahr 2003 oder so, und ich war auch sehr jung, als ich das gemacht habe. Da wird man quasi … Das ist so eine Art Kindersoldatenvorgang, wenn man an gewissen Universitäten in England oder USA studiert hat, damals wurde man da quasi so abgesaugt von den Rekrutierungseinheiten der Investmentbanken. Also ich war jetzt kein leidenschaftlicher Investmentbanker, sondern eher ein so ziemlich zielloser Universitätsabsolvent mit 22.
Also was da eingeflossen ist an meinen Erfahrungen, ist hauptsächlich wie geschildert wird, sozusagen die internen Abläufe, die Art und Weise, wie die Menschen in einer Investmentbank miteinander umgehen und wie die Hierarchien funktionieren und wie sozusagen das Lebensgefühl ist eines jungen Investmentbankers, der da eben 120 Stunden in der Woche arbeitet.
Das kann ich natürlich sehr anschaulich erzählen, aber abgesehen davon, spielt das keine so große Rolle mehr. Ein gewisser Durchblick in ökonomischen Fragen kann nicht schaden als Romanautor, selbst wenn man gar nicht über die Wirtschaft schreibt, aber mehr Einfluss würde ich da jetzt nicht mehr sehen.
Nahaufnahme der Hand einer alten Frau, die ein paar Münzen zählt. 
Nicht nur beim Mindestlohn, sondern auch bei der Höhe von Vermögen, sollte es nach Ansicht des Autors Alexander Schimmelbusch eine Grenze geben. © imago stock&people

Obergrenze für Vermögen

Welty: Wo wir gerade vom Geld sprechen, Sie erheben ja ganz konkrete Forderungen, zum Beispiel, dass Privatvermögen auf 25 Millionen Euro begrenzt werden, alles darüber hinaus muss abgeführt werden. Hätten Sie einen solchen Passus gerne im Koalitionsvertrag gesehen?
Schimmelbusch: Also mein Roman … Ich bin ja nicht der Protagonist meines Romans, sondern ich glaube, dass natürlich so eine Forderung in der deutschen Bevölkerung mit Sicherheit – und das ist ganz interessant, weil es ja eine relativ radikale Forderung ist –, mit Sicherheit eine Mehrheit bekommen würde, wenn man eine Umfrage tätigen würde, und nur so denkt Viktor.
Wenn man eine konsequent, irgendwie etwas kollektivistischere Politik wieder einführen wollte, also wenn man das Pendel vom absoluten neoliberalen Individuum wieder zurück zu irgendeiner Art von Teamarbeit – das ist eigentlich schon eine sehr reduzierte Forderung –, wenn man die aufstellen würde, dann muss man sich eben überlegen, ob es nicht irgendeine Form, ebenso wie es einen Mindestlohn gibt, ob es nicht auch eine Obergrenze für Vermögen geben sollte, insbesondere deshalb, weil man mit diesem Geld ja sich sozusagen den aggressiven Vorstößen riesiger Staaten wie China, die eben staatskapitalistisch geprägt sind, und denen man anders wahrscheinlich gar nicht mehr beikommen kann, versuchen könnte, sich ein wenig entgegenzustellen.
Welty: Aber wenn Sie es für möglich halten, dass es dafür eine Mehrheit gibt, bleibt die Politik dann im Umkehrschluss weit hinter ihren Möglichkeiten zurück?

Zeit für eine Stunde Null

Schimmelbusch: Ich glaube, die Politik bleibt weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Ich glaube, es ist Zeit für eine Stunde Null, dafür, dass man einfach mal alles auf Null stellt und sich sozusagen ein Parteiprogramm nicht auf den letzten 15 Parteiprogrammen und auf der – in Anführungsstrichen – Tradition einer Partei aufbaut, sondern dass man quasi bei Null anfängt und sich leiten lässt von der Vernunft und von den Anforderungen, die jetzt in Deutschland herrschen, und ich glaube nicht, dass Parteien dies tun.
Welty: Wie viel Einblick in die deutsche Volksseele ist dem Österreicher Schimmelbusch erlaubt, und wo ist eine Grenze erreicht? Wo schreibt Schimmelbusch beispielsweise nicht über Populismus, sondern wird selber populistisch?
Schimmelbusch: Na ja, also ich stelle ja meine Figur dar, und diese Figur ist durch und durch populistisch. Das heißt, man muss Populismus irgendwie in der Sprache schon sich antrainieren, wenn man so etwas machen will. Das ist auch irgendwie eine ganz schöne Aufgabe, weil es macht Freude, populistisch zu schreiben, und in meinem Roman hat die Hauptfigur natürlich ein Manifest, ein politisches Manifest verfasst, das sehr populistisch ist. Insofern, natürlich, wenn ich das aufschreibe, schreibe ich populistisch.
Bundeskanzlerin Angela Merkel steht in einem lila Blazer hinter einer Stuhllehne und spricht zu jemandem, der neben der Kamera steht. 
Angela Merkel sollte sein Buch "Hochdeutschland" lesen, findet der Autor Alexander Schimmelbusch. © dpa/Michael Kappeler

Simpler Stammtisch

Welty: Inwieweit reden Sie der AfD das Wort?
Schimmelbusch: Gar nicht, glaube ich. Also einmal wird sie verarscht in dem Buch auf ziemlich böse Weise, und zweitens ist die AfD ja überhaupt gar keine echte Partei, sondern ist eine Sammlung von verkrachten Existenzen, die jetzt irgendwie einen ganz simplen Weg erspäht haben. Sie bilden sich wahrscheinlich ein, das sei irgendwie smart, aber es ist ja natürlich einfach nur sehr naheliegend: Durch eine riesige Zuwanderungswelle sind Ängste entstanden in der Bevölkerung – das würde niemand bestreiten –, und die AfD hat eben auf ganz simple, stammtischartige Weise es vermocht, irgendwie aus diesen Ängsten jetzt irgendwelche gut bezahlten Staatsposten sich herauszudestillieren, und das war es, mehr ist an dieser Partei nicht dran. Das bringt also niemanden weiter und ist eigentlich sehr destruktiv nicht nur für die politische Kultur, sondern auch für Deutschland, einfach als Volkswirtschaft.
Welty: Wem aus der kommenden Bundesregierung möchten Sie Ihr Buch besonders ans Herz legen?
Schimmelbusch: Na ja, ich hätte jetzt gesagt Sigmar Gabriel, aber der ist ja leider – aus reiner Sympathie –, aber der ist ja leider nicht mehr dabei, was völlig unverständlich ist, und wenn ich mir das sonstige traurige Witzfigurenkabinett angucke, dann kann ich eigentlich nur sagen, dass die Bundeskanzlerin doch das Buch lesen sollte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Alexander Schimmelbusch, geboren 1975 in Frankfurt am Main, wuchs in New York auf, studierte an der Georgetown University in Washington und arbeitete dann fünf Jahre lang als Investmentbanker in London. Sein Debütroman "Blut im Wasser" gewann den Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage. "Hochdeutschland" ist sein vierter Roman.

Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland, Klett-Cotta Verlag, 20 Euro.

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