Dragan Velikić: Bonavia
Roman
Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert
Hanser Berlin, Berlin 2014
336 Seiten, 19,90 Euro
Hoffnungen, Ansprüche, Lügen
Der Roman "Bonavia" des serbischen Schriftstellers Dragan Velikić beschreibt die Wege dreier Belgrader. Ein Essay mit Brüchen - thematisch überfrachtet, aber stilistisch prägnant und elegant.
Er hat eine unstete Biografie. Reisen prägten sein Leben, das Thema "Reisen prägt auch seine Bücher. In der Milošević-Ära war Dragan Velikić, Jahrgang 1953, eine Stimme der Opposition. 1999 ging er von Belgrad nach Wien und Budapest, ab 2005 war er Serbiens Botschafter in Österreich. Gleichsam unterwegs entstanden Bücher, die einander ähneln – in Handlung, Stoffen und Stil. Nun lebt Velikić wieder in Belgrad und schickt seine Figuren in die Ferne.
Die Story der Bücher – meist kurz und blass – ist bei Dragan Velikić nur der Auslöser für kluge Reflexionen: über den Weltkrieg, das Erbe Jugoslawiens und Serbiens Hybris; über den Einfluss der großen Geschichte auf unsere kleinen Geschichten; über die Familienhistorie als Labyrinth sowie über Lust und Leid auf ziellosen Reisen.
Der neue Roman trägt das Reisen schon im Titel: "Bonavia", Guten Weg! Die Handlung geriet erneut recht schmal, ein Bericht über die Wege dreier Belgrader. Marko, Marija, Kristina. Marko hat beste Gaben, scheitert aber an seiner Mission, ein Schriftsteller zu werden. Die schöne Marija ist eine Traumtänzerin und Markos Frau; nach sieben Jahren hat sie genug von diesem Eigenbrötler. Die Biologin Kristina, einst Marijas Freundin, lebt seit Jahren in den USA. Marko flieht vor sich selbst zum Vater nach Wien. Marija folgt ihrem Marko. Kristina weilt wegen eines Kongresses zur selben Zeit in der Stadt; sie bricht dort zusammen und stirbt, Marija kommt zur Beerdigung.
Skizzierte Lebensentwürfe
Fast lustlos hat Velikić den Plot hingeworfen, hat lustlos die Protagonisten gezeichnet, nur um wieder Humus zu haben für seine ewigen Themen. Er entwirft komplexe Familienchroniken. Er skizziert die Lebensentwürfe seiner Landsleute über Generationen, ihre Hoffnungen, Ansprüche, Lügen. Er geht mit alten Kommunisten ins Gericht und mit Serbiens neuer Elite, berichtet von Massenmördern, die plötzlich zu Honoratioren wurden. Nein, Serbien ist kein guter Ort für Velikić’ Figuren, sie sind rastlos unterwegs, als Bahnschaffner oder Emigranten. Der Westen, Wien, ist bei Velikić ein besserer, aber auch kein wirklich guter Ort, eine Stadt der Spießer und Bürokraten.
Das Buch ist eher Essay als Roman - ein Essay mit Brüchen, thematisch überfrachtet, aber stilistisch prägnant, elegant. Nach 300 Seiten voller Reisen, nach einem weiteren Bruch, heftig und unmotiviert, lesen wir erstmals jenes Wort, das Velikić für den Titel wählte. Plötzlich ist der Autor weit weg von Marko, Marija, Kristina: Am Ende des Romans erzählt er die Geschichte der eigenen Eltern. Erzählt auf anrührende Weise von Ljubica, einsam und nicht mehr ganz frisch, und von einem jungen Marineoffizier namens Vojislav Velikić. Erzählt, wie Ljubica 1952 ihrem untreuen, flüchtigen Geliebten hinterherreist, ins Städtchen Rijeka. In einem Hotel unweit der Adria haben sie sich geliebt, da war Dragan, Dragan Velikić, schon unterwegs. Es war ein gutes Hotel. Sein Name: "Bonavia".