Roman

Indianische Coming-of-Age-Geschichte

Matthew Black Eagle Man, Mitglied der Dakota Sioux Nation, wartet in Washington, DC, auf die Stammesführer der Cowboy and Indian Alliance, um gemeinsam mit einem Ritt zu Pferde gegen die Keystone XL Pipeline zu deomonstrieren. Im Hintergrund ist die Kuppel des Capitols zu sehen.
Die Silhouette eines Mitglieds der Dakota Sioux Nation vor einem Protestritt in Washington. © picture alliance / dpa / Jim Lo Scalzo
Von Sigrid Brinkmann |
Wie ein Krimi liest sich Louise Erdrichs Roman über einen brutalen Angriff auf zwei Nachfahrinnen nordamerikanischer Indianer. "Das Haus des Windes" ist zugleich eine hochkomische Geschichte über das Erwachsenwerden.
Ein von Indianern zu kultischen Zwecken errichtetes, aber längst nicht mehr genutztes Rundhaus ist der wichtigste Schauplatz im jüngsten Roman von Louise Erdrich. Die Handlung spielt in einem fiktiven Reservat in North Dakota im Jahr 1988. Die Eingangsszene besitzt symbolische Strahlkraft: Der dreizehn Jahre alte Joe entfernt mit seinem Vater Baumsämlinge, die das Fundament ihres Zuhauses zu beschädigen drohen. Joes Vater ist Richter, seine Mutter Geraldine arbeitet im Stammesbüro. In einem Safe, dessen Kode nur sie besitzt, bewahrt sie kompliziert verästelte Stammesregister auf. Sie kennt jedermanns Geheimnisse und weiß von Kindern, die durch Inzest, Vergewaltigung oder Ehebruch jenseits oder innerhalb der Grenzen des Reservats gezeugt wurden. "Das Haus des Windes" erzählt von Gefährdungen der indianischen Identität.
Keine Rechtsmittel bei Verbrechen an Indianern
Geraldine und eine alleinstehende Mutter werden am Rundhaus Opfer eines brutalen Angriffs. Geraldine überlebt knapp, die junge Indianerin wird vermisst. Das Leben der dreiköpfigen Familie zerbricht fast nach der Gewalttat, denn die schwer verletzte Geraldine weigert sich auszusagen. Sie hüllt sich in offensives Schweigen. Als Richter im Stammesgebiet ist ihr Mann meist mit Bagatelldelikten wie dem Diebstahl von Hotdogs beschäftigt. Ihm fehlt, wie der heranwachsende Sohn bitter bemerkt, der kriminalistische Spürsinn. Also macht Louise Erdrich Joe zum Erzähler des Romans. Sie lässt ihn aus der Perspektive des Erwachsenen auf den dramatischen Wendepunkt im Leben der Familie und die von ihm genommene Rache zurückschauen.
Entscheidend für die strafrechtliche Ahndung des Verbrechens an Geraldine ist der Ort, an dem die Tat verübt wurde. Am Rundhaus stoßen Stammesland, staatlicher und privater Grund aufeinander – und noch immer hat ein Gesetz aus dem Jahr 1823 Gültigkeit, nach dem Nicht-Indianer nicht für Verbrechen auf indianischem Land belangt werden können. Erst 2010, hält Erdrich im Nachwort des Romans fest, wurde es dank einer Gesetzesänderung möglich, die zahlreichen Vergewaltigungen indianischer Frauen durch nicht-indianische Männer zu verfolgen.
Federschmuck mit Autoantennen gestützt
Louise Erdrichs Roman liest sich streckenweise wie ein Krimi, doch die Coming-of-Age-Geschichte des Erzählers dominiert. Wie dieser mit seinen Freunden der Wahrheit nachspürt, Verwandte besucht und tief in die mythische, übernatürliche Welt seiner indianischen Vorfahren eintaucht, ist wunderbar anschaulich, jugendlich drastisch und oft hochkomisch beschrieben – so, wenn es um die Powwow-Montur von Großvater Randall geht. Sein Kopfputz wurde mit Autoantennen stabilisiert, und die Fußglöckchen hängen an einem mit Hirschleder bedeckten, elastischen Strumpfhalter irgendeiner Tante. Amerikanische Ureinwohner sind keine hehren Gestalten. Sie lieben, sie haben Laster, sie suchen nach dem Sinn des Lebens und verlangen Gerechtigkeit. Louise Erdrich, deren Großvater ein Häuptling der Chippewa war, kann davon erzählen wie keine andere.

Louise Erdrich: Das Haus des Windes
Aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder
Aufbau Verlag, Berlin 2014
384 Seiten, 19,99 Euro