Bodo Kirchhoff: Verlangen und Melancholie
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main 2014
448 Seiten, 24,90 Euro
Liebe für Fortgeschrittene
In seinem Buch "Verlangen und Melancholie" stellt Bodo Kirchhoff die Frage, wie gut man den Menschen kennt, mit dem man Tisch und Bett teilt. Ein Roman, der alles bietet: Hingabe, Treue, Eifersucht, Verrat, Seitensprung und - natürlich Liebe.
Mit Paaren, die gemeinsam älter werden, kennt Bodo Kirchhoff sich aus. Sie sind sein Lieblingsthema. Ganz besonders die langjährigen Ehepaare und das, was sie zusammenhält: Hingabe, Treue, Eifersucht, Verrat, der Seitensprung und natürlich die Liebe. Um ein solches Paar ging es schon in dem vor zwei Jahren erschienenen Roman "Liebe in groben Zügen", einem langatmigen, aber auch sehr unterhaltsamen Brevier für Fortgeschrittene auf der Suche nach der verlorenen Leidenschaft.
Auch der pensionierte Kulturredakteur einer großen Frankfurter Zeitung und seine Pasolini übersetzende Frau in "Melancholie und Verlangen" sind ein solches Paar. Das heißt, sie waren es, bis sich neun Jahre zuvor Irene vom Frankfurter Goetheturm zu Tode gestürzt hatte. Seither treibt den Icherzähler Hinrich nur die Frage nach dem Warum an.
In der Rückschau zeigt sich, dass "die Liebe seines Lebens" nicht nur besonders empfindsam war und unter Depressionen litt, während er sich heimlich in eine heftige Affäre mit einer jungen Ärztin verstrickte. Es drängt sich auch zunehmend ein Verdacht auf. Hatte Irene Geheimnisse? Welche, das bleibt lange in einem raffinierten Spiel von Andeutungen verborgen, wobei der Leser immer mehr ahnt als der Erzähler selber.
Damit "das Reptil Erinnerung" nicht fortwährend "zuschnappt", damit "das Zungenmonster" der Selbstgespräche zum Schweigen gebracht wird, führt Kirchhoff Hinrichs "coolen" Enkel Malte ein. In einer cleveren Köpenickiade schmuggeln die beiden Schwarzgeld aus der Schweiz über die Grenze, um es an afrikanische Hungerstreikende zu verschenken. Auch an eine polnische Kassiererin, die Hinrich für eine Weile im Bett getröstet hat.
Dramaturgische Qualität
Daneben paukt er mit Malte fürs Abitur, was dem Autor Gelegenheit gibt, allerlei Schönes über Kleist, Novalis und die Liebespassion zur Sprache zu bringen. Ähnlich die Rolle von Tochter Naomi: Die Kunsthistorikerin bereitet im (fiktiven) Frankfurter Museum für Alte Kulturen eine Ausstellung über Eros in Pompeji vor - ein probater Anlass, um erneut die Italiensehnsucht, die alle Kirchhoff-Paare umtreibt, zu intonieren.
Überhaupt ist der Roman um die Frage, wie gut man den Menschen kennt, mit dem man jahrzehntelang Tisch und Bett geteilt hat, voller literarischer und kulturhistorischer Anspielungen - was das Lesen zu einem großen Fressen macht. Neben glanzvollen Sentenzen ("Alte Paare haben etwas von Buchstützen, dazwischengeklemmt ihr Leben, das was einmal war und nie mehr sein wird") ist es eine Fülle lustvoll dahingeworfener Zitate, aus italienischen Filmen, Liedtitel aus den 1960er-Jahren oder versteckte Rilke-Verse, die dem Roman Atmosphäre verleihen.
Wie am Ende auch die kleinsten Handlungsfäden zusammengeführt werden, wie in einem westernähnlichen Showdown zwei Männer in Warschau, der Erzähler und sein jüdisch-polnischer Freund, aufeinandertreffen, um alle Geheimnisse zu lüften, tragische, aber auch komische, das hat dramaturgische Qualität. Bloß dass der Epilog mit dem für einsame Rentner allzu gewohnten Trost aufwartet, dem zugelaufenen Hund. Nun ja, dieses Klischee hätte es nicht unbedingt gebraucht.