Roman ohne Thema
Dana, die Protagonistin des Romans "Talk Talk", ist gehörlos, doch es gelingt dem US-Bestsellerautor nicht, etwas erzählerisch davon spürbar zu machen. T.C. Boyles hat stattdessen schlicht einen Thriller geschrieben. Allerdings muss er alles benennen und jedes Detail ausschmücken, da bleibt kein Raum für die Phantasie. Auch die Spannung hält sich in Grenzen.
"Talk Talk" ist ein Ausdruck aus der amerikanischen Zeichensprache der Gehörlosen. Auf deutsch lässt er sich mit "gebärden" übersetzen, was die lockere Kommunikation mit Handzeichen meint. So steht es in der Vorbemerkung zu diesem Roman, wo der Autor auch darauf hinweist, er habe "Gehalt und Bedeutung der Gebärden in einen gesprochenen Dialog übersetzt". Was auch sonst: Schließlich kann selbst T.C. Boyle nicht in Zeichensprache schreiben oder das Schreiben gleich ganz durch Gestik ersetzen, nur weil seine Hauptfigur taub ist.
Doch wie schreibt man darüber, wie es ist, in absoluter Stille zu leben? Wie stellt man eine Welt dar, die so gar nichts mit der eigenen Erfahrung zu tun hat? Boyles Lösung ist einfach, allzu einfach: "Talk Talk" ist eben kein Buch über das Leben und Erleben Gehörloser, sondern ein schlichter Thriller. Die Hauptfigur könnte genauso gut auch blind sein oder ein Holzbein haben, so äußerlich bleibt ihre Behinderung.
Boyle benennt, was man mit ein bißchen Recherche wissen kann: Wie peinlich es ist, angestarrt zu werden oder wie schwer das Lippenlesen sein kann. Auch die besondere Sensibilität Gehörloser und die Feinheit ihrer anderen Sinne ist ihm bekannt. Doch es gelingt ihm an keiner Stelle, etwas davon erzählerisch spürbar zu machen.
Stattdessen wirft er sich ganz auf die Konstruktion der Geschichte. Die gehörlose Dana Halter überfährt mit dem Auto ein Stoppschild und gerät deshalb in eine Polizeikontrolle. Statt ein Bußgeld zu bekommen, werden ihr Handschellen angelegt. Sie muss ins Gefängnis, und es dauert Tage, bis sich herausstellt, dass sie das Opfer einer Verwechslung ist. Ein Betrüger hat sich ihrer Daten und ihres Namens bemächtigt und sich unter der geraubten Identität allerlei zuschulden kommen lassen.
Nachdem sie endlich wieder frei ist und ihre Konten und Kreditkarten in Ordnung gebracht hat, will sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Zusammen mit ihrem Freund Bridger, einem "Hörenden", macht sie sich auf die Suche nach dem Identitätsdieb. Das ist der Ausgangspunkt einer wilden Jagd, die quer durch die USA, von Kalifornien nach New York führt. Dana ist so eine Art Michael Kohlhaas. Sie ist bereit, für ihre Rache alles andere zu opfern. "Du bist wie Käpt’n Ahab", sagt Bridger einmal zu ihr. Sie müsse aufpassen, am Ende nicht an den Wal gebunden zu werden und mit ihm unterzugehen.
Boyle erzählt in ständigem Wechsel mal aus der Perspektive von Dana und Bridger, dann wieder aus der Perspektive des Betrügers, der eigentlich Peck Wilson heißt. Der möchte seinen zusammengescheffelten Luxus nebst blitzschöner Russin genießen und findet es ziemlich ungerecht, von seinen Opfern aus dem süßen Leben aufgeschreckt zu werden. Der Rest sind inszenierte Begegnungen und Fluchten. Das liest sich wie das Drehbuch für einen ziemlich flachen Film mit Schnitt und Gegenschnitt, Verfolgungsjagd über den Highway und Prügelei im lauschigen Vorgarten.
Boyle muss alles benennen und jedes Detail ausschmücken, um die Leere, die dieser Roman in jeder Zeile ausströmt, zu verdecken. Jedes Salatblatt auf dem Teller wird erzählt, jede Strähne im Haar und jeder Schweißtropfen geschildert. Da bleibt kein Raum für die Phantasie, wie in schlechtem Kino. Auch die Spannung hält sich in Grenzen, und Spannung wäre doch das mindeste, was man von einem Thriller erwarten darf.
Wie konnte das passieren? Boyle hat stets gesellschaftlich brisante Themen bearbeitet. Zuletzt erschien sein Kinsey-Roman "Dr. Sex", der sich mit der Prüderie der amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzte. "Talk Talk" ist ein Roman ohne Thema.
Der Identitätsdiebstahl, auf dem Cover als "beängstigend aktuell" angepriesen, fungiert allenfalls als Schrittmacher, so wie die Taubheit der Heldin bloße Staffage bleibt. T.C. Boyle ist geschickt genug, einen Romane auch dann schreiben zu können, wenn er eigentlich nichts zu erzählen hat. Gelegentlich ein Buch weniger, anstatt Jahr für Jahr einen neuen Schmöker vorzulegen, könnte da Abhilfe schaffen.
T.C. Boyle: Talk Talk
Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Hanser Verlag, München 2006
398 Seiten, 21,50 Euro
Doch wie schreibt man darüber, wie es ist, in absoluter Stille zu leben? Wie stellt man eine Welt dar, die so gar nichts mit der eigenen Erfahrung zu tun hat? Boyles Lösung ist einfach, allzu einfach: "Talk Talk" ist eben kein Buch über das Leben und Erleben Gehörloser, sondern ein schlichter Thriller. Die Hauptfigur könnte genauso gut auch blind sein oder ein Holzbein haben, so äußerlich bleibt ihre Behinderung.
Boyle benennt, was man mit ein bißchen Recherche wissen kann: Wie peinlich es ist, angestarrt zu werden oder wie schwer das Lippenlesen sein kann. Auch die besondere Sensibilität Gehörloser und die Feinheit ihrer anderen Sinne ist ihm bekannt. Doch es gelingt ihm an keiner Stelle, etwas davon erzählerisch spürbar zu machen.
Stattdessen wirft er sich ganz auf die Konstruktion der Geschichte. Die gehörlose Dana Halter überfährt mit dem Auto ein Stoppschild und gerät deshalb in eine Polizeikontrolle. Statt ein Bußgeld zu bekommen, werden ihr Handschellen angelegt. Sie muss ins Gefängnis, und es dauert Tage, bis sich herausstellt, dass sie das Opfer einer Verwechslung ist. Ein Betrüger hat sich ihrer Daten und ihres Namens bemächtigt und sich unter der geraubten Identität allerlei zuschulden kommen lassen.
Nachdem sie endlich wieder frei ist und ihre Konten und Kreditkarten in Ordnung gebracht hat, will sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Zusammen mit ihrem Freund Bridger, einem "Hörenden", macht sie sich auf die Suche nach dem Identitätsdieb. Das ist der Ausgangspunkt einer wilden Jagd, die quer durch die USA, von Kalifornien nach New York führt. Dana ist so eine Art Michael Kohlhaas. Sie ist bereit, für ihre Rache alles andere zu opfern. "Du bist wie Käpt’n Ahab", sagt Bridger einmal zu ihr. Sie müsse aufpassen, am Ende nicht an den Wal gebunden zu werden und mit ihm unterzugehen.
Boyle erzählt in ständigem Wechsel mal aus der Perspektive von Dana und Bridger, dann wieder aus der Perspektive des Betrügers, der eigentlich Peck Wilson heißt. Der möchte seinen zusammengescheffelten Luxus nebst blitzschöner Russin genießen und findet es ziemlich ungerecht, von seinen Opfern aus dem süßen Leben aufgeschreckt zu werden. Der Rest sind inszenierte Begegnungen und Fluchten. Das liest sich wie das Drehbuch für einen ziemlich flachen Film mit Schnitt und Gegenschnitt, Verfolgungsjagd über den Highway und Prügelei im lauschigen Vorgarten.
Boyle muss alles benennen und jedes Detail ausschmücken, um die Leere, die dieser Roman in jeder Zeile ausströmt, zu verdecken. Jedes Salatblatt auf dem Teller wird erzählt, jede Strähne im Haar und jeder Schweißtropfen geschildert. Da bleibt kein Raum für die Phantasie, wie in schlechtem Kino. Auch die Spannung hält sich in Grenzen, und Spannung wäre doch das mindeste, was man von einem Thriller erwarten darf.
Wie konnte das passieren? Boyle hat stets gesellschaftlich brisante Themen bearbeitet. Zuletzt erschien sein Kinsey-Roman "Dr. Sex", der sich mit der Prüderie der amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzte. "Talk Talk" ist ein Roman ohne Thema.
Der Identitätsdiebstahl, auf dem Cover als "beängstigend aktuell" angepriesen, fungiert allenfalls als Schrittmacher, so wie die Taubheit der Heldin bloße Staffage bleibt. T.C. Boyle ist geschickt genug, einen Romane auch dann schreiben zu können, wenn er eigentlich nichts zu erzählen hat. Gelegentlich ein Buch weniger, anstatt Jahr für Jahr einen neuen Schmöker vorzulegen, könnte da Abhilfe schaffen.
T.C. Boyle: Talk Talk
Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Hanser Verlag, München 2006
398 Seiten, 21,50 Euro