Roman

Thriller und Familiensaga

Der Bestsellerautor Frank Schätzing im Januar 2012 auf einer Pressekonferenz
Frank Schätzing verknüpft in "Breaking News" zwei große Erzählstränge. © picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Von Gerrit Bartels |
Einen seltsamen Zwitter hat der Bestsellerautor Frank Schätzing mit "Breaking News" abgeliefert. Ein aktueller politischer Thriller, der historische und private Hintergründe vollständig abbilden will – auf Kosten des Tempos.
Ein Kriegsreporter ist 2008 unterwegs in Afghanistan. Sein Name: Thomas Hagen. Er ist einer der Stars seiner Zunft. Afghanische Kontaktleute fahren ihn mit seinem Kameramann Krister Björklund zu drei von Taliban entführten Entwicklungshelfern. Es geht um eine Story, ein Interview mit den Entführten. Die Zeit drängt, denn "Le Monde" berichtet, dass eine der Geiseln die Tochter eines französischen Politikers ist, was den Preis für die bisher noch ahnungslosen Taliban in die Höhe treiben – und die Begegnung in letzter Minute verhindern könnte.
Das Treffen klappt. Die anschließende Befreiungsaktion durch Bundeswehr und US-Einheiten aber geht tödlich schief. Schuld trägt Thomas Hagen.
Rückblende ins Jahr 1929
Damit beginnt "Breaking News". Dann setzt Frank Schätzing einen harten Schnitt. Es geht zurück ins Jahr 1929, nach Kfar Malal, Palästina, 30 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv. Jüdische Siedler müssen sich vor Übergriffen ihrer arabischen Nachbarn schützen, es sind die Kahns und die Scheinermanns, die sich hier wie viele andere jüdische Familien eine neue Existenz aufbauen wollen:
"Jede Menge kleine Tolstois strömten ins Land, um von früh bis spät den Buckel krumm zu machen und der Natur im sengenden Wüstenwind ihr Bestes abzuringen, wahrer, marxistischer Zionismus. Die Christen verzogen sich fast alle nach Jerusalem, die Glücksritter und Intellektuellen träumten von einer schimmernden Perle am Mittelmeer und stampften Tel Aviv aus dem Boden, die Pioniere machten das Land urbar."
Keine Rede mehr von "Breaking News", von Sensationsnachrichten und Eilmeldungen, und Schätzing kennt im Folgenden auch keine Eile mehr. Er schildert, wie es den Kahns und den Scheinermanns ergeht in Palästina, wie sich ihre Kinder entwickeln, aber auch, wie sich Araber, jüdische Siedler und die britische Mandatsmacht in Palästina bekämpfen, wie schließlich der Staat Israel gegründet wird. Dann kommt plötzlich Thomas Hagen zurück ins Spiel. Noch ein Zeitsprung: Nach dem karriereschädlichen Vorfall in Afghanistan berichtet er für ein "drittklassiges Onlinemagazin" aus Syrien, Libyen und vom Arabischen Frühling.
Politisch-historischer Anspruch
Tatsächlich hat Frank Schätzing nach seinen beiden Öko- und Sci-Fi-Erfolsgromanen "Der Schwarm" und "Limit" zweierlei geschrieben: schon auch einen Thriller mit Agenten, Attentaten, Verfolgungsjagden, ein paar Guten und vielen Bösen. Vor allem aber einen politisch-historischen Roman über Israel, seine Geschichte und den Nahostkonflikt. Schätzing lässt keins der markanten historischen Ereignisse aus: Sechs-Tage-Krieg, Libanon-Krieg, die Massaker in Sabra und Schatila, erste und zweite Intifada, das Friedensabkommen in Oslo – und Ariel Scharons Gesinnungswandel bei der Siedlungspolitik.
Neben Thomas Hagen ist dieser – ganz reale – Ariel Scharon die zweite Hauptfigur. Als Ariel Scheinermann wurde Scharon nämlich 1928 in Kfar Malla geboren, und entlang seiner Lebensgeschichte und umgeben von einem fiktiven Figurenensemble erzählt Schätzing von Israel. Das Problem des Romans ist, dass die beiden Erzählstränge erst nach der Hälfte des gut tausendseitigen Romans ineinander übergehen und Schätzing erst zu diesem Zeitpunkt auch seinen Plot zu entwickeln beginnt. Immer wieder muss er vom Gaspedal runter, auch weil die israelische Siedlungsproblematik und der Nahost-Konflikt viel zu komplex sind, als dass sie sich in einem typischen Thriller-Tempo erzählen ließen.
Akribische Recherche
Schätzing hat akribisch recherchiert, und manchmal erschließt sich in dem Scharon-und-Familie-Strang, wie eng Privates und Politisches miteinander verknüpft sind. Trotzdem wirken viele Dialoge gestelzt, als bloße Fakten- und Informationsübermittler: wie in der "Lindenstraße", wenn es um Politik oder Gesellschaftsrelevantes geht. Und obwohl Vieles wissenswert und aufschlussreich ist, sehnt man sich doch stets nach dem Thomas-Hagen-Part, nach dem Thriller. "Breaking News" ist ein seltsamer Zwitter, der vor allem unter seinem Vollständigkeitsanspruch leidet. Erst ganz am Ende, bei den letzten zwei-, dreihundert Seiten, drückt Schätzing noch einmal richtig auf die Tube: Atemloses Lesen und Blättern, Sprache und Inhalt stimmen überein. Nur: Bis dahin muss man erstmal kommen.

Frank Schätzing: "Breaking News"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
965 Seiten, 26, 99 Euro

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