Dave Eggers: Der Circle
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
, 560 Seiten, 22,99 Euro
Tyrannei der Transparenz
Dave Eggers hat mit "Der Circle" eine düstere Satire über große, weltumspannende Internetkonzerne wie Google oder Facebook geschrieben - und er entlarvt mit seinem Roman, wie Transparenz in totalitäre Überwachung umschlägt.
Die größte Gefahr in puncto Überwachung geht nicht etwa von der NSA aus, sondern von uns selbst. Wenn wir bereitwillig unsere Daten preisgeben, um die endlosen Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen. Wenn wir in den sozialen Netzwerken unser Inneres nach außen kehren. Wenn wir dem euphorischen Gelaber der Social-Media-Firmen und Silicon-Valley-Gurus aufsitzen, all den großspurigen Versprechungen von Weltverbesserung durch Technologie, vom menschlichen Wert des Teilens und “verbesserten sozialen Erfahrungen” dank Datenanalyse. In seiner dystopischen Satire Der Circle zeigt Dave Eggers, wie die kalifornische Ideologie der totalen Transparenz direkt in totalitäre Überwachung führt.
Die junge Mae Holland ist überglücklich, dank einer Freundin einen Job beim Circle, dem “beliebtesten Unternehmen der Welt” ergattert zu haben. Der Circle vereint und übertrifft, was Google, Facebook, Apple und Twitter heute auszeichnet: Er ist hip, radikal, innovativ. Und dominant. Dank TruYou, einer eindeutigen Online-Identität für jeden Nutzer, hat der Circle die Herrschaft über das Netz übernommen.
Ein Thiller über den Virus der Transparenz
Der Campus, die Firmenzentrale in der Bay Area, ist der feuchte Traum der Generation Y: kühne Architektur, mehr Spielwiese als Arbeitsplatz, kaum jemand ist über Dreißig, jeden Abend werden Partys gefeiert und jede Woche weltverändernde Innovationen vorgestellt. Eine davon heißt SeeChange, winzige Kameras, die millionenfach überall auf der Welt installiert werden und unaufhörlich Livebilder ins Netz senden. Mit ihnen geht keine menschliche Regung und Äußerung mehr verloren. Die Folgen: Kriminalität schwindet, Krankheiten werden wirksam bekämpft und das Zusammenleben – von der Liebe bis zur Politik – optimiert. Der Preis: vollständige Geheiminislosigkeit, das Ende der Privatsphäre.
Eggers inszeniert seine Geschichte als Thriller. Wir folgen seiner naiven, vollständig vom Transparenz-Virus infizierten Heldin durch die gläserne Welt des Circle. Unübersehbar sind die Anspielungen auf die Datengiganten Facebook und Google, ebenso wie auf Klassiker des Genres wie 1984 oder Schöne Neue Welt. Sprachlich hat Eggers sich eng angeschmiegt an die Ideologie, die er entlarven möchte.
Instruktiver als die in endlosen, recht hölzern geratenen Reden, Diskussionen und Briefen verhandelten Fragen nach den Folgen der ubiquitären Überwachung ist die schöne neue Arbeitswelt, die Eggers liebevoll ausmalt. Hier herrscht unerbittlich der Imperativ der Kreativität und Selbstoptimierung. In den Boden sind inspirierende Befehle geätzt: “Träumt” “Seid fantasievoll”, “Atmet”. Maes Vorgesetzter schärft ihr ein, “dass Du hier ein Mensch sein kannst”. Gleichzeitig wird sie jede Woche von neuen Monitoren auf ihrem Schreibtisch mit Datenströmen bombardiert und muss ihre Quote an Kommentaren, “Smiles” und Bewertungen ständig steigern. Schließlich trägt sie eine Kamera um den Hals, die ihr gesamtes Leben für ihre Viewer ins Netz streamt.
Eggers führt die Unmenschlichkeit dieser Kontrollgesellschaft vor. Wieso die ganze Welt sich so widerstandslos unters Datenjoch begeben sollte, vermag sein unterkomplex bleibender Thesenroman jedoch nicht zu erklären.