Ulrike Draesner: "Schwitters"
Penguin Verlag, München 2020
470 Seiten, 25 Euro
Geschustert, geflickt und gefälscht
Einen Roman über den Dichter und Bildenden Künstler Kurt Schwitters hat Ulrike Draesner geschrieben – beziehungsweise collagiert, ganz im Geiste ihres Titelhelden. "Schwitters" erzählt eine Geschichte von Vertreibung, Verlust, Liebe und Neuanfang.
Ein Roman über Flucht und Exil, Sprachtransfer und Sprachverlust, ein Roman über einen leidenschaftlich Kunstschaffenden und leidenschaftlich Liebenden, das ist "Schwitters". Ein Roman, Achtung Zitat, "der zusammengeschustert und gefälscht ist von einer Frau".
Diese Frau ist die Lyrikerin, Schriftstellerin, Essayistin und Übersetzerin Ulrike Draesner. Das Zitat über die "Fälschung" entstammt ihrem sehr lustigen und ironischen Nachwort zu dem Roman über den Künstler Kurt Schwitters, das ihrem Helden wohl auch gefallen hätte – oder?
"Das hoffe ich. Das Nachwort nimmt seinen Geist auf", sagt Ulrike Draesner. "Das Schustern und Flicken, das muss ihm eigentlich gefallen haben. Das ist ja auch das Prinzip seiner Collagen, seines frühen Recycelns, das man damals noch nicht so nannte. Alle haben sich gewundert: Was arbeitet der Mann mit Abfall? Ich habe dieses Nachwort geschrieben, um damit zu spielen, was ich eigentlich in diesem Buch betreibe."
Es sei für sie ein neues Projekt gewesen, das Leben eines Menschen zu erzählen und vielleicht auch einzufangen, "der wirklich gelebt hat, wie wir so sagen", und dennoch einen Roman zu schreiben, aber entlang der Biografie und aus ihrer Kenntnis heraus.
"Anna Blume" und "Merz"-Kunst
Viele denken bei Kurt Schwitters an das bekannte Gedicht "An Anna Blume" oder an die "Ursonate", als Bildender Künstler ist er hierzulande weniger bekannt. Was hat es mit dem selbsternannten "Merz"-Künstler auf sich?
Ulrike Draesner erinnert sich an ein "kurzes Flackern des Entsetzens in diversen Augenpaaren", als sie davon erzählte, einen Roman über Schwitters, diesen "Dada-Poeten", zu schreiben: "Oh Gott, das wird unlesbar." Der Schriftsteller Kurt Schwitters interessiere sie jedoch weniger als der Bildende Künstler.
"Eine Kunst, die sich eben nicht gut in Kästchen einordnen lässt. Der Mann hat die begehbare Installation erfunden, die Skulptur begehbar gemacht. Er hat hybride gearbeitet, hat angefangen, über Wiederholungen ganz anders nachzudenken. Ich denke mir immer, wenn er nach Amerika ins Exil gegangen und Andy Warhol begegnet wäre, wäre ganz was anderes noch geschehen."
Vorläufer der Pop-Art
Seine "Merz"-Kunst sei eigentlich etwas Performatives, das ständig neu und umerfunden werde, sich über verschiedene Medien – Skulptur, Malerei, Collage – erstrecke und räumlich gedacht werde. In den USA und Großbritannien habe man Schwitters als Vorläufer der Pop-Art erkannt.
Ulrike Draesner schildert aber vor allem, wie Kurt Schwitters 1933 von den Nazis als "entarteter Künstler" verfemt wurde und Deutschland in Richtung Norwegen verlassen musste: "Die ganze Identität, die er sich erarbeitet und aufgebaut hatte, wurde ihm Stück um Stück weggenommen, ihm wird der Grund unter den Füßen weggezogen." Draesner fand es spannend zu zeigen, wie sich jemand im höheren Alter ganz neu erfinden musste: "Das erforscht dieser Roman über zehn Jahre hinweg."
(cre)