Krimiautor rechnet mit deutschen Geheimdiensten ab
Der Krimiautor Wolfgang Schorlau schreibt über die NSU-Mordserie einen Roman, der im Herbst erscheinen soll. Seine Ausgangsthese: Die Sicherheitsbehörden haben beim Kampf gegen die Neonazis nicht versagt – sie wollten, was geschehen ist.
Wolfang Schorlaus Held heißt Georg Dengler. Der Privatermittler bekommt einen anonymen Auftrag: Er soll klären, wie die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tatsächlich gestorben sind. Im Zuge seiner Recherchen muss Dengler dann in einem "schmerzhaften Prozess" begreifen, dass alles, was rund um den NSU geschehen ist, "einen Sinn und einen Zweck hatte". So viel verrät Schorlau schon einmal über den nächsten Fall von Georg Dengler. Schorlau hat den NSU-Komplex selbst recherchiert – er wurde deswegen sogar vor den baden-württembergischen Untersuchungsausschuss geladen.
Letztlich führt er Dengler nun dorthin, wo er selbst schon ist. Nämlich zu der Erkenntnis, dass man die Geschichte des NSU nur begreifen kann, wenn man davon ausgeht, dass die Sicherheitsbehörden vollkommen unfähig sind. Oder: Wenn man davon ausgeht, dass alles von Behördenseite so gewollt war. Dafür hat sich Schorlau entschieden: "Ich glaube nicht an Pannen." In Wahrheit sei alles Absicht gewesen – ein planvolles Vorgehen der Sicherheitsbehörden. Erst nach dieser Ausgangsthese habe sich langsam auch ein Bild zusammengefügt, berichtet Schorlau.
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Auf den ersten Blick ist es ja eigentlich naheliegend, die Mordserie der NSU – muss das nicht jeden Krimiautor in seinen Bann schlagen? Aber auf den zweiten Blick könnte man ja auch Zweifel bekommen, denn der Stoff ist ja ziemlich komplex. Nicht für Georg Dengler – vielleicht kennen Sie ja den Ermittler aus der Feder von Krimiautor Wolfgang Schorlau – er stellt die Fragen, die viele beschäftigen: Wo hatte der Verfassungsschutz seine Finger im Spiel? Warum haben die Behörden nicht gegen die Täter ermittelt?
Im Herbst erscheint Schorlaus neuer Krimi – noch während des laufenden Prozesses gegen die einzige Überlebende des Terrortrios, Beate Zschäpe – und für seinen Krimi hat Schorlau wieder mal gründlich recherchiert, wie er das ja immer tut, unter anderem beim NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg. Der tagt heute mal wieder, und ganz am Anfang, das war im Februar, war Wolfgang Schorlau auch dort zu Gast. Ich grüße Sie!
Wolfgang Schorlau: Guten Morgen, Frau Brink, ich grüße Sie auch!
Brink: Warum hat der Untersuchungsausschuss einen Krimiautor eingeladen?
Schorlau: Ja, das – um ehrlich zu sein – habe ich mich auch gefragt. Allerdings war ich nicht der Einzige, sondern es waren zwei Tage, an denen Autoren unterschiedlicher Richtungen, auch eine Reihe von Journalisten, dem Ausschuss berichtet haben über ihre Recherchen, und das habe ich auch getan.
Brink: Sie haben recherchiert schon vorher, vor Februar, für Ihren neuen Roman – wie schwierig war diese Recherche?
NSU-Komplex: Es gibt noch viele Geheimnisse
Schorlau: Ja, die Recherche war nicht ganz einfach, also an die Akten zu kommen, war nicht so ganz einfach. Allerdings, das Verblüffende war auch immer, dass es noch große Geheimnisse in diesem Fall gibt. Ausgangspunkt für mich war eine Begegnung mit Ali Demir, das ist ein Steuerberater in der Kölner Keupstraße, in dem dieses schreckliche Nagelbombenattentat war, und Ali Demir hat zwei bewaffnete Zivilpersonen direkt zum Zeitpunkt des Attentats vor seinem Steuerberatungsbüro gesehen. Er dachte, das seien zwei Polizisten. Und das Schlimme ist, wir wissen bis heute nicht, wer diese beiden Männer waren, die im Grunde genommen alles gesehen haben. Aber es wurde nicht nach ihnen gesucht, es wurde nicht nach ihnen gefahndet, es ist bis heute völlig unklar, wer diese Augenzeugen waren. Das war für mich der Ausgangspunkt, dann noch mal ein bisschen gründlicher in diese ganze Materie einzusteigen.
Brink: Was heißt gründlich, was hat Sie dann weiterhin hineingezogen in diesen Fall?
Schwierig wurde es, als der Thüringer Heimatschutz plötzlich Sprengstoff hatte
Schorlau: Ja, ich hatte die Gelegenheit, mit einigen Polizisten zu sprechen, die in Thüringen schon lange gegen das sogenannte Trio oder gegen die Neonaziszene ermittelt haben. Und diese Polizisten wussten von Anfang an, teilweise weil sie die Telefonate der Neonazis abgehört haben, dass ein großer Teil des Thüringer Heimatschutzes, also der Organisation der Neonazis in Thüringen, dass die führenden Köpfe davon Vertrauensleute des Verfassungsschutzes waren. Das bekamen die mit, und ihnen, also diesen Polizisten war diese merkwürdige Doppelstruktur in Thüringen ziemlich klar, aber sie konnten nichts machen. Das fand ich sehr interessant, und insbesondere wurde es auch dann schwierig, als der Thüringer Heimatschutz plötzlich sprengfähiges TNT, also scharfen Sprengstoff hatte.
Brink: Das sind also all diese Fragen, die ja uns auch alle schon beschäftigen, wie konnte so viel passieren, ohne dass irgendjemand etwas mitbekommen hat. Nun schreiben Sie ja noch an Ihrem neuen Roman, der im Herbst erscheint – Sie werden uns natürlich nicht den Plot verraten, aber trotzdem interessiert ...
Schorlau: Das tue ich nicht, nein.
Brink: Wäre ja auch schade, dann müssten wir es ja nicht mehr lesen – aber trotzdem interessiert mich natürlich, wie geht denn der Georg Dengler damit um, also wie packt man diese ja unglaublich komplexe Geschichte, die Sie uns auch gerade erzählt haben, in einen Roman, einen Krimi?
Versagen der Sicherheitsbehörden: "Ich glaube nicht an Pannen"
Schorlau: Ich versuche eine Ausgangsthese zu formulieren, und die ist, dass es in diesem ganzen Fall keine ... Ich glaube nicht an Pannen, und ich sage, das, was wir heute sozusagen als Pannen haben, war in Wirklichkeit Absicht. Was wir heute manchmal sagen, unglaubliches Staatsversagen, sage ich, auch das war Absicht, das ist Staatstätigkeit. Ich gehe nicht davon aus, dass es Schlamperei ist, sondern planvolles Handeln der Sicherheitsbehörden war, was wir dort erlebt haben – mit Aktenschreddern und so weiter.
Und erst, als ich diese Ausgangsthese für mich formuliert habe, das alles, was passiert ist, auch Absicht war, dann fügte sich langsam ein gewisses Bild. Und mein Held, Georg Dengler, der muss in einem schmerzhaften Prozess eben genau das verstehen, dass alles, was geschehen war, auch einen Sinn und einen Zweck hatte. Und er selber wird ... durch einen anonymen Auftrag kommt er zu diesem Fall. Ein anonymer Anrufer, der ihm auch eine große Menge Geld gibt, möchte von ihm, dass er noch einmal ermittelt, wie Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tatsächlich zu Tode gekommen sind Eisenach-Stregda. Das ist der Ausgangspunkt des Buches, ein solcher anonymer Auftrag für meinen Privatermittler Dengler.
Brink: Der ja auch mal beim BKA war, also auch mal Teil dieses Sicherheitsapparates ja war. Was Sie ja beschreiben gerade, ist ja eine steile These.
Schorlau: Ja, aber sonst versteht man das, glaube ich, nicht. Es gibt so viele irrwitzige Dinge in diesem NSU-Komplex, die man entweder nur sich erklären kann, wenn man sagt, die Sicherheitsbehörden sind völlig unfähig oder sie verfolgen einen gewissen Zweck. Ich glaube, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Und ich habe mich entschlossen zu sagen, sie verfolgen einen bestimmten Zweck.
Brink: Was ist der Zweck?
Seit 1945 arbeiten die Geheimdienste mit Alt- und Neonazis zusammen
Schorlau: Bei dem Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg trat auch Stefan Aust auf, und der sagte einen interessanten Satz, der sagte nämlich: Die einzige Verschwörungstheorie im NSU-Komplex ist die von ihnen selbst behauptete Unfähigkeit der Sicherheitsorgane. Diese These habe ich mir zu eigen gemacht.
Brink: Aber Sie gestatten mir noch die Frage, welchen Zweck verfolgen die denn?
Schorlau: Ja, es gibt in der Bundesrepublik traditionell, im Grunde genommen direkt seit 1945, eine Zusammenarbeit von Geheimdiensten, früher alten Nazis und heute Neonazis, die meistens innenpolitische Zwecke verfolgt haben. Das ging schon relativ früh los. Der Bund deutscher Jugend, die Militärübungen gemacht haben, die Tötungslisten von Sozialdemokraten und Kommunisten angelegt haben und so weiter und so fort, das gibt es eigentlich schon ziemlich lange, teilweise wurde das auch geleitet von amerikanischen Diensten.
Brink: Der Krimiautor Wolfgang Schorlau, vielen Dank! Sein Krimi, in dem auch der bekannte Ermittler Georg Dengler auftritt vor dem Hintergrund der NSU-Mordserie, erscheint im Herbst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.