Der Film "Nackt unter Wölfen" von Regisseur Philipp Kadelbach ist am Mittwoch, dem 1. April, um 20:15 Uhr in der ARD zu sehen.
Neuverfilmung von "Nackt unter Wölfen" will Wahrheit näher kommen
Das ritualisierte Gedenken an die Opfer des Faschismus war eine der Grundsäulen der DDR-Geschichtspolitik. Dazu gehörten sowohl das Buch als auch der Film "Nackt unter Wölfen". Der MDR hat die Geschichte nun neu verfilmt.
"Kameraden, wir sind frei! Die SS ist geflohen. Wir haben das Lager in unserer Hand."
Das Filmende zeigt noch einmal deutlich, wie unterschiedlich die MDR-Neuproduktion und der DEFA-Film sind. Der Lagerälteste, gespielt heute von Sylvester Groth, verkündet zögerlich das Ende des Schreckens im KZ Buchenwald. Über Lautsprecher, aber dennoch leise, als könnte er seinen eigenen Worten noch nicht trauen. Mit ebenso zögerlichen Schritten treten die Häftlinge, die noch die Kraft dazu haben, aus ihren Baracken, laufen ziellos über den Appellplatz.
Wie anders trat da der DEFA-Film von 1963 auf: "Kameraden, wir sind frei! Frei! Frei! Frei!"
Das Filmende zeigt noch einmal deutlich, wie unterschiedlich die MDR-Neuproduktion und der DEFA-Film sind. Der Lagerälteste, gespielt heute von Sylvester Groth, verkündet zögerlich das Ende des Schreckens im KZ Buchenwald. Über Lautsprecher, aber dennoch leise, als könnte er seinen eigenen Worten noch nicht trauen. Mit ebenso zögerlichen Schritten treten die Häftlinge, die noch die Kraft dazu haben, aus ihren Baracken, laufen ziellos über den Appellplatz.
Wie anders trat da der DEFA-Film von 1963 auf: "Kameraden, wir sind frei! Frei! Frei! Frei!"
Die Häftlinge, deren illegale Widerstandsorganisation eben noch die SS in die Flucht geschlagen hat, stürmen auf das Lagertor zu. Nichts kann sie halten in ihrem Jubel.
Im Hörspiel "Nackt unter Wölfen" von 1958 singen sie sogar die "Internationale". In der DDR war der Film von Frank Beyer höchst populär, auch dank hervorragender Schauspieler wie Erwin Geschonneck, Fred Delmare und Armin Müller-Stahl.
Gründungsmythos für das angeblich "bessere Deutschland"
Der Roman war Pflichtlektüre in der Schule bis 1989. In "Nackt unter Wölfen", der Geschichte, in der Kommunisten heldenmütig ein Kind retten und sich selbst von der SS befreien, fand die SED-Führung den Gründungsmythos für das angeblich "bessere Deutschland", das Land der Kommunisten, der Humanisten und der Antifaschisten. So sieht es auch der britische Historiker Bill Niven, der ein Buch über das Buchenwaldkind verfasst hat:
"Die DDR ist ein Staat, der irgendwie antifaschistisch entstanden ist, also durch den Kampf gegen Hitler. Buchenwald ist natürlich der ideale Ort dafür, da wurde Hitler auch bekämpft, da wurde Hitler auch besiegt, direkt im Lager – laut Selbstbefreiung, wenn es wirklich eine Selbstbefreiung war. Und wir haben sozusagen innerhalb Buchenwalds auch einen neuen Staat aufgebaut, den wir dann in die Welt hinausgetragen habe – oder zumindest in die DDR hinaus. Da hängt die Geschichte Buchenwalds sehr eng mit einem Gründungsmythos der DDR zusammen. Und die Idee auch der Kindesrettung – das hat was Humanistisches auch. 'Wir sind nicht nur harte Kommunisten, hin und wieder sind wir bereit, sogar die Parteidisziplin zur Seite zu stellen, wenn das sein muss, weil der Humanismus uns doch wichtiger ist als die Partei.' So könnte man den Roman auch interpretieren. Und aus all diesen Gründen war es für die DDR eine sehr wichtige Geschichte, ein sehr wichtiger Mythos, wenn man will."
So gewann die DDR in Buchenwald nachträglich den Zweiten Weltkrieg und befreite Buchenwald ohne die Amerikaner. Zwar hatten Roman und Film auch international erheblichen Erfolg, aber ausgerechnet beim Filmfestival in Moskau 1963 scheiterten die Preis-Ambitionen an Jan Rybkowski, einem polnischen Jury-Mitglied, der "Nackt unter Wölfen" vorwarf, "eine Lackierung der Wirklichkeit" zu sein.
Der Film zeige eben nicht, "wie in Buchenwald die Toten mit Bulldozern in Bergen weggeschafft worden seien". Die Holocaust-Überlebende Ruth Klüger nannte "Nackt unter Wölfen" einen "Kitschroman", der den Völkermord an den Juden "infantilisiert, verkleinert und verkitscht" und der die Ostdeutschen nachträglich zu Siegern der Geschichte macht.
"Nein, ich bin kein Dieb! Laßt mich los! Nein!"
Ein Häftling wird von seinen Kameraden in der Latrine ersäuft. Immer wieder streut die MDR-Neuverfilmung Szenen wie diese ein, die das Lager als Ort der allgegenwärtigen Grausamkeit zeigen, in dem der Stärkere und Skrupellosere überlebt, in dem nicht – wie in Bruno Apitz‘ Roman – Helden "ihr Leben lassen", sondern Menschen jämmerlich verrecken.
Erst die Neuverfilmung zeigt die Brutalität des Lagers
Die Neuverfilmung zeigt, anders als der DEFA-Film, das unermessliche Leid vor allem der Juden, er zeigt die Brutalität der SS in einer verstörenden und schwer zu ertragenden Genauigkeit, er zeigt Kollaboration und Verrat und stellt klar, dass alles im Lager seinen Preis hatte – auch die Rettung eines Kindes.
Drehbuchautor Stefan Kolditz zeigt das Lager nicht in Schwarz-Weiß-Kontrasten, sondern als Dschungel, in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf ist: "Es gibt Beschreibungen von härtester Selbstjustiz unter den Häftlingen – ob das Kameraden waren, die einfach nur Häftlingen das Brot weggenommen haben, um selber zu überleben - das bedeutete für den anderen vielleicht das Todesurteil -, ob das Kameraden waren, die sich der SS angedient haben oder ob das Denunziatoren waren und da gab es einen Schwarzmarkt, Kämpfe zwischen den einzelnen Gruppen aus den einzelnen europäischen Ländern. Also, das war keine Gemeinsamkeit, wie man das vielleicht auch in der DDR wahrgenommen hat: die Gruppe der Häftlinge, die alle zusammengehalten haben, und da gab es die SS auf der anderen Seite. Das Lager war ein hochexplosiver und –differenzierter Organismus."
Auch wenn am Ende des Films die Befreiung der im Lager verblieben 21.000 Häftlinge steht, entlastet das den Zuschauer nicht. Drehbuchautor Stefan Kolditz und Regisseur Philip Kadelbach sind jeder Jubel, jeder Triumph fremd. Nach dem Ende des eindrücklichen Films bleiben Schweigen und Ratlosigkeit. Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, hat das Filmprojekt trotz anfänglicher Bedenken unterstützt. Doch es gäbe so viele Geschichten aus Buchenwald zu erzählen. Trotzdem würde immer wieder die gleiche erzählt – aber heute wenigstens nicht mehr mit dem Anspruch, die wahre Geschichte des Buchenwald-Kindes Stefan Jerzy Zweig zu erzählen:
"Das Ganze löst sich in Einzelgeschichten auf; und das ist gewissermaßen die Entideologisierung und Modernisierung. Das kann man als Spielfilm sicher machen; mit der Wirklichkeit Buchenwalds hat das nur bedingt zu tun."