Das Buch "Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten" von Benno Köpfer und Peter Mathews ist bei dtv erschienen und kostet 14,95 Euro.
Was motiviert Jugendliche, Dschihadisten zu werden?
Ein 16-Jähriger radikalisiert sich zum islamistischen Dschihadisten - davon handelt der Roman von Benno Köpfer und Peter Mathews. Die Fiktion sei nah an der Realität, sagt Islamismus-Experte Köpfer. Motiviert zum Buch hätten ihn auch Gespräche mit besorgten Eltern und Lehrern.
Benno Köpfer ist Islamwissenschaftler beim Verfassungsschutz in Baden-Württemberg. Sein mit Co-Autor Peter Mathews veröffentlichter Roman "Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten" erzählt davon, wie ein 16-Jähriger aus Hamburg zum Selbstmordattentäter wird und zeichnet nach, wie und warum sich junge Menschen in Deutschland dem islamistischen Terror anschließen.
Laut Köpfer ist die Fiktion nah an der Realität. Mehrere sehr reale Fälle haben übereinandergelegt die Vorlage für Kadir ergeben, sagte der Islamwissenschaftler im Deutschlandradio Kultur über den Protagonisten. Der Roman handelt davon, wie ein türkischstämmiger Jugendlicher aus Hamburg sich unter dem Einfluss radikaler Islamisten in einen IS-Dschihadisten und Selbstmordattentäter verwandelt. In der Eingangsszene des Romans steht Kadir vor dem Hamburger Fußballstadion auf St. Pauli. Die Sporttasche zu seinen Füßen, reckt er die Hand mit dem Handy in die Höhe und ruft: »Allahu Akbar!« Gott ist groß!
Hinter der Hauptfigur stünden jene über 800 Biografien junger Menschen, die von Deutschland aus nach Syrien gereist seien, um sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Rund ein Viertel davon hätten wie Kadir türkische Wurzeln, sagte der Islamwissenschaftler, der beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg als wissenschaftlicher Analyst mit an der Bekämpfung islamistischen Terrors arbeitet.
Warum "Salafisten das bessere Angebot machen"
Anlass, ein Buch über die Radikalisierung eines Jugendlichen zu schreiben, seien auch seine Erfahrungen und Gespräche mit Betroffenen gewesen, darunter mit besorgten Eltern, die Rat suchten oder bei Veranstaltungen mit Sozialarbeiter oder Lehrern, die von einer Radikalisierung in ihrem Umfeld berichteten. Dies habe ihn auch nach Dienstschluss nicht mehr losgelassen.
Exakte Antworten auf die genauen Beweggründen junger Menschen, sich radikalen Dschihadisten anzuschließen und in den bewaffneten Kampf im Namen Allahs zu ziehen, könne auch der Roman nicht geben. Auch im Buch lasse sich über den genauen Auslöser nur spekulieren, weshalb dieser junge Mann mit einem eher unauffälligen Hintergrund mit Freunden und Familie diesen Weg eingeschlagen habe: "Waren es Internetvideos, die er übermäßig konsumiert hat, war es die tolle Propaganda, die der IS ihm möglicherweise vorgespiegelt hat, die falschen salafistischen Freunde, mit denen er Islamseminare besucht hat, der Vater, der nicht mehr da war?", sagte Köpfer. Auch Verunsicherung über das Erwachsenwerden könne eine Rolle spielen, dafür, dass am Ende tatsächlich offenbar "Salafisten das bessere Angebot machen."
Kontakt zu radikalisierten Jugendlichen nicht abreißen lassen
Köpfer rät Angehörigen, Freunden und Lehrern dazu, keinesfalls das Gespräch und den Kontakt zu radikalisierten Jugendlichen aufzugeben. Eine solche Lossagung entspreche nur dem salafistischen Konzept, das vorschreibe, "Freundschaft gibt’s nur noch für Muslime, und alles was nicht muslimisch ist, muss ich hassen. Und als Angehöriger, als Freund, kann ich sagen, der Hass, der perlt an mir ab, ich interessiere mich weiter für dich als Freund." Es gelte, "den Draht weiter zu halten" , sich weiter zu interessieren, zu hinterfragen und idealerweise auch wieder andere Alternativen anzubieten.
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: Da steht ein junger Mann vorm Fußballstadion, während die Fans zu Tausenden hineinströmen, und vor ihm liegt seine Sporttasche. Er reckt sein Handy in die Höhe und schreit "Allahu Akbar". Natürlich Paris, im letzten November, Anschläge des IS in Europa. Als sich Benno Köpfer und Peter Mathews die geschilderte Szene für ihren Roman ausgedacht haben, da waren die Pariser Anschläge noch nicht passiert. Benno Köpfer ist Islamwissenschaftler, Archäologe und er analysiert für den baden-württembergischen Verfassungsschutz den islamistischen Terror und seine hiesigen Ausprägungen. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Benno Köpfer: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Herr Köpfer, Sie haben die Szene an den Anfang Ihres Buches über die Radikalisierung eines Jungen gesetzt. Als diese Szene dann Wirklichkeit wurde, was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?
Köpfer: Wir sind ganz schön erschrocken, Peter Mathews und ich. Wir haben dann gleich an dem Tag, als die Anschläge in Paris stattgefunden haben, uns Mails geschrieben und waren dann kurz mal am Überlegen, ob wir unsere Geschichte überhaupt so noch weiter laufen lassen können, wie wir sie uns eigentlich ausgedacht haben.
Was treibt einen jungen Mann in die Arme des IS?
Heise: Kadir, so heißt ja der fiktive Dschihadist, er ist Sohn türkischer Einwanderer, in Hamburg aufgewachsen, großes Fußballtalent, hat sehr gute Freunde, auch gute Freunde unter den sogenannten Bio-Deutschen, hat eine funktionierende Familie. Er sieht in einem Schulabschluss momentan keinen Sinn, er weiß auch nicht, was er machen soll, aber das sind eigentlich keinerlei Auffälligkeiten. Was treibt diesen Jungen in die Arme des IS?
Köpfer: Das sind die offenen Fragen, die wir in dem Buch umkreisen, wenn man so möchte. Und da wird man jetzt auch in einem Interview oder wenn wir länger drüber reden würden, kaum eine klare Antwort finden können. Beim Fußballtraining oder wenn er dann von seinen Freunden distanziert, nicht mehr da ist, dann kann man sich vielleicht so was vorstellen, dass hier was mit ihm passiert sein muss. Aber was es genau war, der eigentliche Auslöser – waren es Internetvideos, die er übermäßig konsumiert hat, war es die tolle Propaganda, die der IS ihm möglicherweise vorgespiegelt hat? Waren es die falschen salafistischen Freunde, mit denen er Islamseminare besucht hat, der Vater, der nicht mehr da war? Auch die Unsicherheit, in welche Richtung werde ich mich als Sohn, als künftiger Mann und vielleicht auch wieder Vater entwickeln müssen. Und dann kommen möglicherweise jetzt in unserem Fall bei Kadir tatsächlich Salafisten, die hier ein besseres Angebot machen als jede Jugendarbeit und sogar als dieser so heiß geliebte Fußballverein mit seinem Trainer, der ja nicht immer nur sympathisch für Kadir war.
Eine Menge Realität hinter der Fiktion
Heise: Wie viel aus Ihrer beruflichen Wirklichkeit ist eigentlich in den Roman "Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten" eingeflossen?
Köpfer: Aus der beruflichen Wirklichkeit sind – für die Insider könnte man sagen, mehrere sehr reale Fälle, die hier übereinandergelegt worden sind, ein bisschen gemischt wurden, und dann eben auch die Orte, die wären austauschbar. Wir haben ja inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland über 800 Biografien, die ähnlich wären wie Kadir. Und wenn wir jetzt Kadir noch ein bisschen konkreter machen, also als Bild für jemanden, der einen türkischen Hintergrund hat, türkische Familien, türkische Vorfahren, dann haben wir etwa – ich glaube, es sind momentan etwa ein Viertel dieser 850 oder 860 Personen, die eben so einen Hintergrund haben. Von daher sind das sehr reale Fälle, die hier übereinander gelegt die Vorlage für Kadir ergeben haben.
Heise: Wenn wir noch mal bei Ihrem Arbeitsalltag bleiben. Was genau analysieren Sie eigentlich? Gehen Sie auch in Familien oder studieren Sie vor allem soziale Netzwerke?
Köpfer: Sowohl als auch. Wir als wissenschaftliche Analystinnen und Analysten, also meine Kolleginnen und ich, wir gehen auch teilweise in Familien, wir werden angerufen, um Rat gebeten. Und da wir auch in der Öffentlichkeitsarbeit tätig sind, zum Beispiel, indem wir Sozialarbeiter oder Lehrerinnen fortbilden, Schulen sensibilisieren für die Thematik, vergeht eigentlich kaum eine Veranstaltung, bei der nicht hinterher jemand kommt und sagt, Herr Köpfer, Folgendes, da ist mir dies und das passiert. Und aus diesen Gesprächen entstehen dann manchmal auch längere Gesprächssituationen. Und konkret jetzt für Kadir war es eben auch eine Familie. Und es sind halt eben Geschichten, wenn ich die mitbekomme, das beschäftigt einen eben auch noch nach dem sprichwörtlichen Dienstschluss um 17 Uhr. Das beschäftigt einen auch noch übers Wochenende.
Heise: Ja, Sie sind beim Verfassungsschutz. Da müssen Sie eingreifen? Oder helfen, oder geht das zusammen?
Anlaufstellen für Rat und Hilfe suchende Angehörige oder Lehrer
Köpfer: Nein, der Verfassungsschutz, das ist insofern ein bisschen eine bequemere Situation als bei der Polizei, da wir ja keine Exekutivbefugnisse haben. Das Eingreifen, wenn es denn zu einem Eingreifen kommen muss, zu einer Intervention, das müssen wir an andere weitergeben. Also sage ich jetzt, eine Straftat, wir erkennen hier, es handelt sich um jemand, der sich einer terroristischen Gruppe angeschlossen hat oder der tatsächlich Anschlagspläne verfolgt, dann ist es ganz klar, dass die Polizei als Strafverfolgungsbehörde hier Ermittlungen aufnimmt. Aber wir haben eben auch den Spielraum, die Möglichkeit, zu sagen, hier haben wir zwar Hinweise, Indikatoren, aber, und das ist jetzt glücklicherweise seit ein paar Monaten auch in Baden-Württemberg, aber auch bundesweit seit zwei, drei Jahren haben wir auch zivilgesellschaftliche Akteure, an die wir zum Beispiel Rat und Hilfe suchende Eltern, Angehörige, Lehrer weitervermitteln können.
Heise: Wie greift der Staat, wie greifen Sie ein? Es geht ja eigentlich viel früher los. In Ihrem Roman, "Kadir", da ist es die Schwester und der gute Freund, der beste Freund, die aufmerksam werden, die ihn aber nicht mehr erreichen. Wie greift man denn als Angehöriger ein, wenn man irgendwas merkt?
Sich weiter interessieren und versuchen, "den Draht zu halten"
Köpfer: Ganz wichtig, nicht den Fehler zu begehen, den eigentlich, ein sich salafistisch Orientierender, Radikalisierender voraussetzt: Er möchte sich trennen. Da gibt es auch ein schönes salafistisches Konzept " al-Walā' wa-l-barā', - "Freundschaft gibt es nur noch für Muslime", und alles, was nicht muslimisch ist, muss ich hassen. Und als Angehöriger, als Freund, als Umfeld kann ich natürlich sagen, der Hass, der prallt an mir jetzt erst mal ein bisschen ab. Ich interessiere mich weiter für dich als in unserem Fall Kadir. Ich interessiere mich weiter, was machst du, erzähle mir. Also diesen – man spricht dann immer davon, diesen Draht versuchen zu halten. Das kann sehr schwer und wird auch manchmal sehr hart sein, den halten zu können, weil natürlich jemand dann auch andere vor den Kopf stößt oder eben mit Absicht von sich weghalten möchten. Aber Angehörige und vor allen Dingen auch Lehrer sollten dann halt versuchen, sich weiter für so jemanden zu interessieren, ihn auch einfach auch immer zu hinterfragen und idealerweise dann irgendwann auch mal wieder Alternativen anzubieten zu dem Weg, den er vermeintlich gehen muss.
Heise: Benno Köpfer, vielen Dank für dieses Gespräch!
Köpfer: Ja, danke Ihnen!
Heise: Der Roman "Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten" ist jetzt gerade bei DTV erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.