Angelika Klüssendorf: "April"
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
219 Seiten, 18,99 Euro
Vermintes Gelände der Gefühle
Die Protagonistin aus Angelika Klüssendorfs neuem Romans hat etwas von einer zähen, kampfbereiten Katze, die sich durchs Leben beißt und immer stärker wird. Die eigentliche Heldin neben ihr ist jedoch die Sprache.
Sie nennt sich "April", nach ihrem Lieblingssong von Deep Purple, und der Name passt zu ihr: Denn ihre Stimmungen sind so wechselhaft wie das Wetter im April. Das namenlose Mädchen aus Angelika Klüssendorfs letztem Roman ist nun eine junge Frau.
Sechs Jahre umfasst der neue Roman, von ihrem 18. bis zum 24. Lebensjahr, vom ersten eigenen Untermietzimmer in Leipzig, über die Geburt eines Sohnes, den sie Julius nennt, bis zur Ausreise nach West-Berlin und einer Reise nach Sizilien, wo sie zum ersten Mal dem Glück wenigstens für Augenblicke zu trauen beginnt.
Wie schon in ihrem 2011 für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman "Das Mädchen" ist auch in "April" die Sprache neben der Hauptfigur die eigentliche Heldin. Die 1958 in Ahrensburg geborene Autorin, die 1985 von Leipzig nach West-Berlin übersiedelte, beherrscht die Kunst der Auslassung. Sie reduziert die Sprache aufs Allernötigste.
Was sie erzählt, wirkt umso plastischer. Wir sehen April durchs Leben taumeln. Momente des Glücks sind ihr suspekt. Bevor andere ihr wehtun, brodelt sie voller Wut und Zorn, explodiert wie ein Vulkan, um danach in Scham zu versinken.
Eine eigentümliche Intensität
Der Roman ist im Präsens und in der dritten Person erzählt. Er ist ganz nah an der Gegenwart seiner Heldin und hält doch Distanz zu ihr. So entsteht eine eigentümliche Intensität. Der Leser balanciert mit April durch eine Gefühlslandschaft, die vermintem Gelände gleicht. Er fühlt sich solidarisch mit ihr, ohne moralisch erpresst zu werden.
Nach einem misslungenen Selbstmordversuch in der Küche ihrer Vermieterin findet sie einen beinahe pragmatischen Grund zum Weiterleben: "Wenn sterben genauso anstrengend wie leben ist, kann sie durchaus noch eine Weile leben."
"April" ist kein deprimierendes Buch. Die Heldin hat etwas von einer zähen, kampfbereiten Katze, die sich durchs Leben beißt und immer stärker wird. Sie nimmt, was sie kriegen kann: zunächst die Stelle als Bürohilfskraft in einem VEB Kombinat für Starkstromanlagenbau, dann die ärztliche Betreuung in der Psychiatrie, wo sie für eine Weile landet, sich versorgt fühlt und mit einer Gruppe älterer Frauen anfreundet.
In den Augen des Kindes, das sie einmal war
Auch der als Rehabilitationsmaßnahme gedachte Job im Museum für Völkerkunde ist ihr recht. Wenn sie ihre inneren Spannungen nicht erträgt, trinkt sie bis zum Umfallen. Aber irgendjemand fängt sie immer auf: eine Freundin oder einer ihrer zahlreichen Männer.
Als sie schwanger wird, bekommt sie das Kind. Glücklicherweise hat es einen Vater, der sich einigermaßen darum kümmert.
Ganz am Ende wird sie von einem Italiener "Mama April" genannt. Da ist ihr Sohn schon vier. Als sie von ihrer Sizilienreise zurückkehrt, hat sie Kraft getankt. Und auf dem Kinderfoto, das sie nach dem Tod ihres Vaters aus seinem Nachlass erhält, entdeckt sie ein Lächeln in den Augen des Kindes, das sie einmal war.
Der Sohn heißt wohl nicht umsonst Julius: als stabiler Hoffnungsschimmer, dass sich der Wiederholungszwang elterlicher Gewalt brechen lässt – nicht zuletzt durch die befreiende Kraft der Literatur.