Dinaw Mengestu: "Unsere Namen"
Aus dem Amerikanischen von Verena Kilchling
Verlag Kein & Aber, Zürich 2014
335 Seiten, 22,90 Euro
Verwirrspiel um Herkunft und Identität
Zwei Schauplätze, zwei Männer, ein Name: In seinem dritten Roman erzählt Dinaw Mengestu, wie ein geheimnisvoller Äthiopier in den 1970er-Jahren über den Umweg Uganda in den USA landet. Dort verliebt sich die Sozialarbeiterin Helen in ihn.
Als der junge Mann in seinem äthiopischen Dorf aufbricht, um sein Glück anderswo zu suchen, da hat er dreizehn Namen – mehr als jeder andere Dorfbewohner.
"Jeder Name stammte von einer anderen Generation meiner Familie. Und alle waren der Meinung, dass meine Familie sich glücklich schätzen durfte, eine so lange Geschichte vorweisen zu können."
Doch als er die Grenze nach Uganda überschreitet, legt er alle seine Namen ab.
"Als ich in Kampala ankam, war ich ein Niemand. Und genau das wollte ich auch sein."
Es ist ein Akt der Befreiung. Mit den Namen schüttelt der junge Mann auch die Bürde von zwölf Generationen Familiengeschichte ab: Als ein Niemand kann er sich in Uganda neu erfinden und, so hofft er, Teil des panafrikanischen Traums werden, der nach dem Ende des Kolonialismus auch an der Universität von Kampala geträumt wurde, als dieses sozialistische Reformprojekt den ganzen Kontinent begeisterte und junge Leute von überallher anzog. Doch in Uganda hat sich inzwischen Idi Amin an die Macht geputscht. Jetzt geht es nicht mehr um utopische Befreiungsideen, jetzt geht es um Bürgerkrieg, ethnischen Massenmord und blutiges Gemetzel.
Viele Spitznamen für einen Niemand
Auf dem Campus der Universität werden dem namenlosen Niemand eine Reihe von Spitznamen verpasst. Bis ihm sein einziger ugandischer Freund in der Stunde der größten Gefahr seinen eigenen Namen schenkt – Isaac – und ihm damit das Leben rettet. Mit dem Pass und dem amerikanischen Studentenvisum des Freundes kann sich der Äthiopier aus den ugandischen Wirren in die USA retten, in die kleine College-Stadt Laurel im tiefen Mittelwesten, während sich der echte Isaac in Uganda immer tiefer in die Rebellion gegen den Diktator Idi Amin verstrickt.
"Unsere Namen" ist der dritte Roman von Dinaw Mengestu, einem amerikanischen Autor äthiopischer Herkunft, und sein erster, der mindestens teilweise in Afrika spielt, in den 1970er-Jahren, in dem schmalen Zeitfenster der afrikanischen Reformträume, ehe die neu errungene Unabhängigkeit an den Gräueltaten diverser Putsch-Diktatoren zuschanden ging. In den beiden Vorgängerromanen hatte Mengestudie afrikanische Diaspora in Amerika zu seinem großen Thema gemacht.
Auch der Held von Mengestus neuem Roman ringt unter dem falschen Namen um seine Identität. Ist am Ende das, was die anderen jeweils in ihm sehen, seine Identität? Für Helen, eine junge Sozialarbeiterin, die ihn in Laurel unter ihre Fittiche nimmt und sich in ihn verliebt, ist der falsche Isaac ein unzugänglicher Fremdling, der um seine Herkunft und Geschichte ein Geheimnis macht.
"Unsere Namen" hat zwei Erzählstränge, die sich kapitelweise abwechseln, zwei Erzähler und zwei Schauplätze. In den Amerika-Kapiteln erzählt Helen ihre schwierige heimliche Liebesgeschichte mit dem falschen Isaac, die dadurch zusätzlich erschwert wird, dass der Rassismus in der amerikanischen Provinz die offen gelebte Beziehung zwischen einer Weißen und einem Dunkelhäutigen in den 1970er-Jahren (noch) nicht duldete. In den Uganda-Kapiteln erzählt der Namenlose aus Äthiopien die Geschichte seiner schwierigen Freundschaft mit dem echten Isaac.
Porträt eines rebellischen Streuners
Mit dieser Romangestalt ist Dinaw Mengestu ein faszinierendes Porträt gelungen: Ein junger, revolutionär entzündeter Streuner aus einem der Elendsviertel von Kampala, ein Lügner und Hochstapler, der sich auf den Uni-Campus schwindelt, ohne Student zu sein. Sich dort aber binnen kürzester Zeit das Charisma eines flammenden Aufrührers erwirbt, hauptsächlich durch aktionistische Performances, die ihn als originellen rebellischen Kopf ausweisen.
Aus dem spielerischen Witz seiner frechen Campus-Aktionen wird blutiger Ernst, als Isaac allmählich in den Bannkreis der Milizen driftet, die sich gegen Amins Schreckensherrschaft formieren. Bald zeigt sich, dass die Rebellen-Milizen dem Regime an Gewalttätigkeit nicht nachstehen. Für Isaac ist es da für eine Flucht zu spät. Er ist bereits zu tief in Gräueltaten verwickelt. Dass Isaac dem Namenlosen seine Identität schenkt, statt selbst auszureisen, ist sein größtes Freundschaftsopfer. Der falsche Isaac wird sich lange damit quälen, es angenommen zu haben.