Roman

Vom Vollrausch zum Leserausch

Peter Wawerzinek - Oktober 2010 auf der Frankfurter Buchmesse
Der Schriftsteller Peter Wawerzinek geht mit dem Thema Alkoholsucht gelassen um. © picture alliance / dpa-Zentralbild
Von Michael Opitz |
Der Roman über den Kampf mit "König Alkohol" ist ein Lesevergnügen – mit leichten Längen. Peter Wawerzinek erzählt vom Absturz in die Alkoholsucht und davon, wie er sich schreibend wieder nach oben arbeitete.
Entscheidend ist der Inhalt. Diesen Satz unterschreibt jeder Trinker. Denn ob sich Wasser oder ein "scharfer Schnaps" im Glase befindet, ist ein gravierender Unterschied. Aber auch die meisten Schriftsteller würden angesichts dieser Behauptung nicht widersprechen, denn es neben der Form geht es in der Literatur immer auch um den Inhalt. Der dem Alkohol Verfallene, der nicht vom Hochprozentigen lassen kann, und der Dichter, der sich am Klang der Worte berauscht, beide sind Süchtige. Schriftsteller wie H. Fallada, J. London oder E. Hemingway haben sich auch deshalb dem Alkohol hingegeben, um die auf dem Trockenen liegende Muse wiederzubeleben.
Über gutgefüllte Flaschen und ausgetrunkene Gläser, über Likör, Most, Wodka und Rumtopf hat der 1954 in Rostock geborene Peter Wawerzinek einen Roman geschrieben, der wie sein 2010 erschienenes Comeback "Mutterliebe" autobiografisch grundiert ist.
"Schluckspecht" handelt von Wawerzineks Säuferdasein und seiner Wandlung zum maßvollen Trinker. Bereits als Junge kommt er bei seiner Pflegemutter "Tante Luci" auf den Geschmack von Eierlikör, den sie im Keller lagerte und in den sie nur ungern ging. Sollte er aus dem Keller etwas holen, genehmigte er sich unten ab und an einen Schluck. Etwa zu der Zeit kostete er nach Familienfeiern neugierig von den in den Gläsern gebliebenen Resten.
Beim Musikhören ließen sie sich langsam volllaufen
In der Schule war einer seiner Freunde der Sohn des Inhabers einer Mosterei, sodass Obstwein im Überfluss zur Verfügung stand. Als Jugendlicher stieg er auf härtere Sachen um – Wodka mit Büffelgras hieß das Lieblingsgetränk, durch das er zum Alkoholiker wurde. Es war die Zeit von Jimi Hendrix’ und der legendären Rockgruppe "The Who", deren Musik wie eine Droge wirkte, und der sich der Ich-Erzähler noch inniger verbunden fühlte, wenn er und seine Freunde sich beim Musikhören langsam volllaufen ließen. Sie rebellierten gegen Spießer und wollten die Alltagstristesse vergessen, wobei der Alkohol gute Dienste leistete.
Mit dem Thema Sucht geht Wawerzinek in seinem Roman gelöst, geradezu gelassen um. In dem Buch, das von einem Abstieg handelt und davon, wie es Wawerzineks Alter Ego gelingt, von unten wieder nach oben zu kommen, wird nichts aus Scham zurückgehalten. Bei der "Rückkehr" geholfen hat das Schreiben. An seinem lustvollen Umgang mit der Sprache zeigt sich Wawerzineks besondere Fähigkeit, die Welt zu poetisieren. Seine Sprache vermag die Sinne zu beleben und insofern ist der Roman seine Antwort auf den die Sinne tötenden Alkohol.
Dass es Wawerzinek gelungen ist, "König Alkohol" in die Grenzen zu verweisen, dass er es geschafft hat, ihm den Dienst zu verweigern, ist ein Glück für die Literatur. Mit "Schluckspecht" hat Wawerzinek erneut überzeugend unter Beweis gestellt, dass er als Dichter, der fast im Vollrausch untergegangen wäre, wieder da ist. Der Leserausch, dem man bei der Lektüre von "Schluckspecht" verfällt, wäre noch nachhaltiger ausgefallen, hätte der Autor eine gewisse Lust gespürt, Maß zu halten – Kürzungen hätten dem Buch nicht geschadet.

Peter Wawerzinek: Schluckspecht
Galiani, Berlin 2014
456 Seiten, 19,99 Euro

Mehr zum Thema