Romantik und Verklärung in der Berliner Republik

Von Peter Lange, Chefredakteur Deutschlandradio Kultur |
Karl Theodor zu Guttenberg musste zurücktreten. Nicht weil es eine Hetzkampagne oppositioneller Parteien oder Medien gegen ihn gab, sondern weil er es sich mit den bürgerlich-konservativen Ständen aus Bildung, Wissenschaft und Medien verdorben hat.
Die haben ihm den privat begangenen Regelverstoß gegen das, was ihnen emotional wert und teuer ist, nicht verziehen. Die Union hätte das womöglich mit einer weiteren Abwanderung konservativer Stammwähler bei den anstehenden Wahlen bezahlen müssen. Deshalb war er sowieso nicht zu halten, und seine unglückliche Selbstverteidigung tat ein Übriges dazu.

Aber verloren war der CSU-Politiker schon lange vorher. Er war im Grunde schon nicht mehr zu retten, seit ernstzunehmende Journalisten ihm angedichtet hatten: Er kann Kanzler! Da hatte Guttenberg als Minister gerade mal die Probezeit bestanden. Dieser geradezu galaktischen Erscheinung wurden so viele ideale Eigenschaften, Erwartungen und Projektionen angeheftet, dass deren Schwerkraft geradezu zwangsläufig zum Absturz geführt hätte. Dass ihn schon seine Promotion überfordert hat, ist nur eine ironische Pointe.

Der Fall Guttenberg offenbart eine romantische Grundstimmung bis in die seriösen politischen Medien hinein, die der Demokratie nicht gut tut. Die unverhohlene Sehnsucht nach charismatischen Lichtgestalten, die über dem tagtäglichen kleinen Karo der Alltagspolitik schweben - sie steht einer angemessenen, realistischen Beschreibung und Analyse des Politikbetriebs entgegen.

Nehmen wir nur mal den gegenteiligen Fall, den phänomenalen Aufstieg des Rainer Brüderle. Der FDP-Politiker, immerhin seit rund 30 Jahren im politischen Geschäft, galt immer als wein- und leutselig, aber als Spitzenpolitiker von allenfalls zweiter Wahl. Letztes Jahr plötzlich stieg er zum Schwergewicht im Kabinett Merkel auf und galt mit einem Mal als einzig wahrhaftiger Erbe von Ludwig Erhardt. Aber Rainer Brüderle ist deutlich über 60, und es ist unwahrscheinlich, dass er sich binnen weniger Monate total geändert hat.

Oder nehmen wir Helmut Schmidt. Da kommt zur Romantik auch noch ein Moment der Verklärung. Während seiner Kanzlerschaft galt er als Gegenbild zum charismatischen Willy Brandt, als rationaler, effizienter Macher, unsentimental und bar jeder emotionalen Strahlkraft. Jetzt hängen alle gebannt an seinen Lippen, weil er nur noch unbequeme, kluge Dinge sagt, und auf einmal hat er Charisma.

Die romantische Strömung in der Politikberichterstattung will nicht akzeptieren, dass der Normalfall des politischen Prozesses die tägliche Kleinarbeit ist, an der auch der Kanzler Schmidt gescheitert war; ein ständiges Ringen um Kompromisse in einem vorgegebenen Kraftfeld von formaler Macht und informellem Einfluss. Sie übersieht zudem mutwillig, dass – wo immer kommuniziert wird, weil Dinge zu entscheiden sind – die Sachebene und die Beziehungsebene zusammenwirken. Sprache ist da verräterisch: Wir reden von Sachentscheidungen, die vernünftig sind, weil vorgeblich ohne politische Einflüsse zustande gekommen – was in der Regel nicht stimmt. Und wer ein Ergebnis damit begründet, dass das eine politische Entscheidung sei, der meint damit: eigentlich unvernünftig, aber mehr war angesichts der Machtverhältnisse nicht drin. Die kleinteilige Politik wird in den Medien mal offen, mal unterschwellig dargestellt als ein unseriöses Geschäft allenfalls mittelmäßiger, grauer Apparatschiks. Es spricht daraus eine Verachtung des parlamentarischen Normalbetriebs und all jener Abgeordneter, die zäh, stetig, effizient und geräuschlos ihre Arbeit machen. Aber die Mühen der Ebene sind der Normalfall, nicht die großen Visionen, wegen derer man nach Helmut Schmidt besser den Arzt aufsuchen sollte.

Dem Verteidigungsminister Guttenberg wurde vorgehalten, dass er die Bundeswehrreform unter dem Diktat leerer Kassen angegangen ist. Auch das ist pure Romantik. Es gibt vermutlich keine einzige grundlegende Reform in dieser Republik, die nicht unter einem von der Regierung empfundenen Leidens- und Handlungsdruck angegangen wurde. Die Agenda 2010 lässt grüßen. Der Fall des Karl Theodor zu Guttenberg hat ganz viel mit enttäuschter Liebe zu tun. Er ist auch ein Lehrstück darüber, wie eine überdrehte Berichterstattung völlig überzogene Erwartungen züchtet, die letztlich nur verfehlt werden können. Eine Enttäuschung ist immer auch das Ende einer Täuschung. In diesem Fall auch einer Selbsttäuschung. Selbst schuld.