"Roméo et Juliette" von Hector Berlioz

Dramatische Sinfonie – sinfonisches Drama?

Zeitgenösssiche Karikatur des Komponisten Hector Berlioz (1803-1869) in seiner Eigenschaft als Dirigent
Der Komponist ungewöhnlicher Musik war ein Dirigent zum Abheben: Hector Berlioz in einer zeitgenössischen Karikatur © imago/United Archives
Gast: Michael Stegemann, Musikwissenschaftler; Moderation: Olaf Wilhelmer |
Das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur – nicht als Schauspiel, nicht als Oper, nicht als Ballett, sondern als Chorsinfonie. Kann das funktionieren? Hector Berlioz, einer der größten Romantiker überhaupt, bewies das 1839 in "Roméo et Juliette".
Mit der "Symphonie fantastique" betrat er die große Bühne, mit einer "Symphonie dramatique" schuf er sein vielleicht ambitioniertestes Werk. Hector Berlioz, der vor 150 Jahren gestorbene Pionier musikalischer Romantik, war zeitlebens von Shakespeares Dramen begeistert, ja geradezu besessen. Eine Oper wollte er zumindest aus "Romeo und Julia" aber nicht machen, vielmehr eine neue Form finden, die sich als imaginäres Theater an die Phantasie des Publikums wendet.

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Sonne der Liebe

So kommt es, dass in Berlioz‘ 1839 komponierter Chorsinfonie "Roméo et Juliette" das Titelpaar gar nicht singt, da seine Stimmen dem Orchester anvertraut sind – weil, wie Berlioz schrieb, "solche Duette schon tausendmal von den größten Meistern für Gesang komponiert worden sind, weshalb es sowohl ratsam als auch interessant schien, es mit einer anderen Ausdrucksweise zu versuchen."
Die Arbeit, die ein Geldgeschenk Niccolò Paganinis möglich gemacht hatte, forderte den französischen Künstler voll und ganz, wie er in seinen grandiosen Memoiren festhielt: "Welch leidenschaftliches Leben lebte ich während dieser ganzen Zeit! Mit welcher Kraft fuhr ich über das weite Meer der Poesie, liebkost von der übermütigen Brise der Phantasie, unter den heißen Strahlen dieser von Shakespeare entzündeten Sonne der Liebe, im Vertrauen darauf, stark genug zu sein, die Wunderinsel zu erreichen, wo sich der Tempel der reinen Kunst erhebt!"

Mühen der Ebene

Bei allem Überschwang war es dem Praktiker Berlioz klar, dass es seine "Symphonie dramatique" schwer haben würde: "Sie aufzuführen verursacht immense Schwierigkeiten, Schwierigkeiten aller Art, die in der Form und im Stil begründet liegen, und die man nur mittels einer langen, geduldigen und perfekt geleiteten Einstudierung überwinden kann. Um sie gut wiederzugeben, braucht man erstklassige Künstler."
Das Werk, das wohl auch wegen des instrumentalen und vokalen Aufwandes nie so populär wurde wie die "Symphonie fantastique", kam in den vergangenen 90 Jahren auf eine ansehnliche Diskographie, von Gabriel Pierné 1928 über den "Klassiker" Charles Münch hin zum Herold der modernen Berlioz-Interpretation Colin Davis, der das Werk gleich drei Mal eingespielt hat. Einen wichtigen Akzent setzte John Eliot Gardiner, der sich 1995 mit dem originalen Instrumentarium von "Roméo et Juliette" beschäftigte. Nachdem zu Beginn des neuen Jahrhunderts weniger Aufnahmen produziert worden waren, hat mit Michael Tilson Thomas aus San Francisco jüngst wieder ein prominenter Dirigent das Liebespaar musikalisch auferstehen lassen.
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