Roms vergessener Feldzug

Von Volkhard App |
Bislang nahm man an, nach der Varusschlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Christus hätten sich die Römer nicht mehr nach Germanien gewagt. Doch neue archäologische Funde beweisen: 200 Jahre nach der Schlacht erlitten die Römer erneut eine vernichtende Niederlage.
"Roms vergessener Feldzug": der Charakter dieses Ereignisses wird fern aller Verklärung vollends deutlich bei den eingeschlagenen Schädeln in einer der Vitrinen. Lanzenteile und Geschossspitzen direkt von der mit Wald bedeckten Fundstelle vertiefen den Eindruck vom barbarischen Geschehen, aber auch Nägel, eine Hacke und ein Hufschutz für Maultiere gehören zur Bandbreite.

Etwa 300 der präsentierten Objekte stammen direkt vom einstigen Schlachtfeld am Harzhorn, an dem römische Truppen von Germanen in einen Hinterhalt gelockt wurden. Dazu kommen 460 weitere Objekte aus internationalen Sammlungen, darunter Teile der Kriegskleidung, von Schuppenpanzern. Museumsdirektorin Heike Pöppelmann:

"Die 460 Leihgaben stammen aus über 80 Museen und Institutionen und 10 europäischen Ländern. Und ich muss sagen, ‚Harzhorn‘ hat schon eine solche Wirkungskraft entwickelt, dass unser Konzept und allein schon das Wort ein ‚Sesam öffne Dich!‘ waren. Die Kolleginnen und Kollegen haben gerne Highlights aus ihren Dauerausstellungen genommen, damit wir sie hier präsentieren können."
Überrascht zeigte man sich vielerorts, als man von diesem vergessenen Feldzug erfuhr – so übermächtig war das Geschichtsbild von der für den römischen Einfluss verheerenden Varus-Schlacht im Jahre 9, die doch ein Schlusspunkt zu sein schien. Dass die Römer mehr als zwei Jahrhunderte später erneut gegen die Germanen zu Felde zogen, hat mit Rachegelüsten zu tun, denen der von den Soldaten gewählte Kaiser Maximinus Thrax folgen wollte, im Gegensatz zu seinem gemeuchelten Vorgänger. Thilo Reichelt vom Braunschweigischen Landesmuseum:

"Maximinus Thrax hat Rache genommen für die Zerstörung der Wetterau, einer Landschaft in Hessen, noch unter seinem Vorgänger. Dort sind Germanen über die Limes-Grenze des Römischen Reiches gezogen und haben eine Spur des Raubes und der Zerstörung hinterlassen"

Der Kaiser selbst ist in einer mächtigen Büste gegenwärtig: entschlossen wirkt er, listenreich, weitsichtig.

Heike Pöppelmann: "Man sieht den energischen Militär dahinter, der mit dieser Darstellung das Kaiser-Bild im 3. Jahrhundert prägt."

Der Anfang vom Ende des Römischen Reiches
Eine Ausstellung mit mehreren Dimensionen. Nicht nur die Geschichte steht im Mittelpunkt, die archäologische Arbeit selbst wird in Braunschweig auf Fotos anschaulich: Da stecken farbige Markierungen im Waldboden, Experten durchforsten mit Sonden das Terrain, Flatterband schirmt die brisanten Fundstellen ab. In Begleittexten heben die Fachleute hervor, wie gut doch die historischen Abläufe inzwischen rekonstruiert seien. Weiß man etwas über die Zahl der Opfer? Stefan Winghart, Präsident des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege:

"Wie groß die Opferzahl gewesen ist, lässt sich nicht rekonstruieren. Mit welchen Waffen die Gegner aufeinander trafen, wie der Verlauf der Schlacht war, welcher Pass erobert werden sollte - das alles lässt sich sehr wohl entschlüsseln. Ansonsten sind aufgrund der Bodenbeschaffenheit keine Skelettreste auf uns gekommen. Über Opferzahlen können wir also nur spekulieren."

Auf eine plastische Nachbildung der Landschaft werden im Museum pünktlich zur Eröffnung Bilder über den Schlachtenverlauf projiziert. Als bislang übersehener geschichtlicher Stoff ist diese Auseinandersetzung an sich schon von Bedeutung:

Stefan Winghart: "Zum Zweiten werfen wir einen Blick in die Zeit, in der sich aus heutiger Sicht der Untergang des Römischen Reiches abzuzeichnen beginnt. Das ist letztendlich die Zeit, aus der dann die mittelalterlichen Reiche entstehen und das Abendland, wie wir es kennen. Wir leben im Endeffekt in den Auswirkungen jener Zeit."

Es ist dennoch keine Selbstverständlichkeit, wenn sich Museumsbesucher in den nächsten Monaten mit diesem Geschehen vor rund 1800 Jahren beschäftigen.

Heike Pöppelmann: "Wir haben die Ausstellung ‚Roms vergessener Feldzug‘ benannt - und natürlich, who cares? Warum soll man sich an einen Feldzug erinnern, den kaum jemand im Blick hatte und den kaum jemand ernst genommen hat. Im Grunde genommen können wir hier eine Geschichte rekonstruieren, die seit Adam und Eva eine Rolle spielt, die Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt. Das ist ja gerade wieder besonders aktuell, wenn wir in die Zeitpolitik schauen."

Der von dem Philosophen Walter Benjamin einst beschriebene Engel der Geschichte kann beim Blick zurück keinen Fortschritt in der menschlichen Entwicklung erkennen, sondern sieht ein einziges Trümmerfeld. Die Schlacht im 3. Jahrhundert zwischen Germanen und Römern gehört dazu. Unter welchem Blickwinkel man diese nachdenklich stimmende Ausstellung auch betrachtet, das archäologische Abenteuer selbst ist noch nicht beendet. Noch immer werden Stücke geborgen: Jüngst waren es Teile eines Panzerhemdes, die demnächst ebenfalls im Braunschweigischen Landesmuseum gezeigt werden. Fortsetzung folgt.

Service:
Die Ausstellung "Roms vergessener Feldzug - die Schlacht am Harzhorn" ist bis zum 19. Januar 2014 im Braunschweigischen Landesmuseum zu sehen.

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