Ronald D. Gerste: Amerika verstehen. Geschichte, Politik und Kultur der USA
Klett-Cotta, Stuttgart 2017
208 Seiten, 9,95 Euro
Trumps Wähler verstehen
Wie konnten die Amerikaner nur einen wie Donald Trump zum Präsidenten wählen? Mögliche Antworten und Erhellendes über die US-Gesellschaft gibt Ronald Gerste in "Amerika verstehen". Auch für die USA-Berichterstattung gibt es wichtige Denkanstöße.
"Ich begreife die Amis nicht mehr!" Wohl selten hörte man diesen oder einen ähnlichen Satz so häufig wie nach der Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten. Da kommt womöglich denjenigen, die es wirklich genauer wissen wollen und doch keine Gelegenheit haben, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen, ein Taschenbuch mit dem Titel "Amerika verstehen. Geschichte, Politik und Kultur der USA" gerade recht. Doch was können die von Ronald Gerste zwar engbeschriebenen, aber letztlich doch nur 171 Seiten leisten, um diesem Anspruch (und Versprechen) zu genügen?
"Die" Amerikaner gibt es nicht
Der Klett-Cotta-Verlag bezeichnet seinen Autor als "Amerika-Experte"; vielleicht nicht die beste Verkaufsidee, nachdem so gut wie alle "Experten" im vorigen Jahr bei der Einschätzung des mutmaßlichen Wählerwillens daneben lagen. Doch der seit Längerem bei Washington, D.C. lebende Ronald Gerste hat bereits kenntnisreiche Zeitungsreportagen und Bücher über die USA bzw. über US-amerikanische Persönlichkeiten veröffentlicht. Auch dieses kleine, handliche Buch zeigt: Der Mann versteht nicht nur, dass es sich um ein komplexes Staatsgebilde und Kulturphänomen handelt, sondern auch, dass der größte Denkfehler darin besteht, über die Amerikaner zu reden.
Die Tea-Party-Bewegung spart Gerste leider aus
Bei seinem Parforceritt durch die US-Geschichte überspringt Ronald Gerste manch wichtige Station. Verständlich, aber im Zusammenhang mit der Boston Tea Party bedauerlich. Vermutlich hätte der Verlag noch vor kurzem Wert auf eine Erwähnung gelegt, als man auch in Deutschland viel über die 2008 entstandene Tea Party Movement sprach, deren Anhänger in den meisten Medienberichten durchweg als irregeleitete, rassistische Anti-Obama-Hardliner charakterisiert worden sind. Das übrigens auch in den USA weitverbreitete Nichtverstehen(-wollen) dieses Phänomens dürfte ein Vorbote jener selbstverursachten Blindheit gewesen sein, mit der viele Journalisten, Akademiker, Politiker und Wahlkampfstrategen 2016 auf die Gemütslage der wahlberechtigten Bürger blickten.
Überwiegend gut lesbarer Überblick
Doch auch so gelingt "Amerika verstehen" mindestens zweierlei: Ein überwiegend gut lesbarer Überblick über prägende Ereignisse, Institutionen und Personen. Dabei reißt der Autor die vielschichtigen, für manchen Leser sicher sogar überraschenden Gründe für den wohlbekannten Hang vieler Amerikaner etwa zu Waffenbesitz, Verschwörungstheorien und Misstrauen gegen Big Government an. Zum anderen spießt Ronald Gerste dankenswerterweise Phänomene auf, über die in Deutschland zu selten (sachlich) berichtet wird: Etwa die Auswüchse der political correctness, die laut Gerste unter anderem dazu geführt haben, dass "die akademische Freiheit unter dem Diktat der dogmatischen Rücksichtnahme (auf Gefühle und Sensibilitäten aller möglichen Minderheiten, d. A.) zu einer bedrohten Spezies geworden" ist. Oder über die "von politischen Aktivisten, Hochschullehrern und Journalisten orchestrierte Strömung, die jene 12,3 Prozent der US-Bevölkerung, die als Afroamerikaner gelten, in eine permanente, institutionalisierte Opferrolle zu drängen sucht".
Solche gut begründeten Denkanstöße sind in einer USA-Berichterstattung, die in Sachen Präsident Trump oft ideologiebefrachtet daherkommt, besonders wichtig. Wer will, kann an anderer Stelle in die Tiefe gehen. Entsprechende Literatur- und Quellenhinweise sind im Anhang übersichtlich aufgelistet.
Solche gut begründeten Denkanstöße sind in einer USA-Berichterstattung, die in Sachen Präsident Trump oft ideologiebefrachtet daherkommt, besonders wichtig. Wer will, kann an anderer Stelle in die Tiefe gehen. Entsprechende Literatur- und Quellenhinweise sind im Anhang übersichtlich aufgelistet.