Ronya Othmanns Gedichtband "die verbrechen"

"Wer hat deine Stimmbänder durchgeschnitten?"

11:07 Minuten
Ronya Othmann schaut in die Kamera. Sie hat lange, dunkla Haare und trägt ein rosafarbenes Adidas-Shirt.
Ronya Othmann schreibt in vielen Textgattungen. Gedichte böten mehr Freiheit, sagt die 28-Jährige zu ihrem Lyrikband mit ungewöhnlichem Gegenstand und Titel. © Cihan Cakmak
Ronya Othmann im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Ronya Othmann weiß durch ihre Familiengeschichte viel darüber, zu wieviel Gewalt Menschen fähig sind. Ihre Urgroßeltern seien bereits Zeugen des Genozids an den Armeniern gewesen. Nun thematisiert sie in ihrem Lyrikdebüt Flucht und Zerstörung.
Ronya Othmann ist in vielen Textgattungen zu Hause: Im vergangenen Jahr hat sie ihren Debütroman "Die Sommer" veröffentlicht und ist dafür mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, sie schreibt Kolumnen und journalistische Texte. Jetzt ist auch ihr erster Gedichtband erschienen: "die verbrechen".
"Es sind mehrere Verbrechen, die da drin sind", sagt Othmann: der Genozid an den Jesiden, aber auch die Zerstörung der Natur. Der IS habe zum Beispiel Felder angezündet und das türkische Militär im kurdischen Teil der Türkei Wälder abgeholzt. Es gehe auch um archäologische Stätten, die Islamisten zerstört haben.

Inspiration aus der Familiengeschichte

Die Beschäftigung mit diesen Verbrechen habe einen persönlichen Hintergrund, sagt die 1993 in München geborene Autorin. Othmann ist Kind einer deutschen Mutter und eines kurdisch-jesidischen Vaters. Bis zum Beginn des Bürgerkriegs in Syrien sei sie dort noch bei Verwandten zu Besuch gewesen, auch in der kurdischen Autonomieregion im Irak.
"Es hat mit meiner Familiengeschichte zu tun, dass ich mit diesen Geschichten aufgewachsen bin", sagt sie. Ihre Urgroßeltern seien etwa bereits Zeugen des Genozids an den Armeniern geworden, und das sei auch weitergetragen worden – einerseits. "Aber es hat auch etwas damit zu tun, dass ich journalistisch dazu arbeite und dazu viel recherchiert habe", erklärt Othmann – andererseits.
In ihren Gedichten geht es oft um konkrete Orte, an denen Verbrechen geschehen. Allerdings wiesen diese Orte über den konkreten Ort hinaus, erklärt die 28-Jährige.

Von Granatapfel und Löwenmäulchen

Es kommen aber auch parallel Pflanzen vor. Die hätten für sie etwas mit Migration zu tun, mit den Traumatisierungen, die Menschen mitnehmen, wenn sie gehen. Thymian und Granatapfel hier, Löwenmäulchen und Wiesenschaumkraut da - Pflanzen, die nicht typischerweise zusammen wachsen. Für Othmann spiegelt sich darin eine vermischte Herkunft: Deutschland und Kurdistan.
"Je nachdem, in welcher Landschaft man zu Hause ist, kann man die Pflanzen benennen", erklärt sie und fügt ein Beispiel aus ihrem Leben hinzu: "In meiner Familie hat man wirklich Samen in Säckchen nach Deutschland mitgenommen und versucht, diese Pflanzen in einem Gewächshäus zu ziehen."

Ausdrucksstarke Titel

Ronya Othmanns Gedichte haben sehr ausdrucksstarke Titel, eines heißt etwa "Alle Vögel schweigen", ein anderes "Wer hat deine Stimmbänder durchgeschnitten?" Das letztgenannte beziehe sich auf einen syrischen Revolutionssänger, den das Assad-Regime getötet und dem man die Stimmbänder durchtrennt habe.
Sie wisse nicht, ob man das Ausmaß der Gewalt, die stattgefunden habe, in Gedichten erfassen könne, sagt Othmann. Gedichte erfassten eine andere Ebene als Prosa, sie böten mehr Freiheiten: "Ein Gedicht muss vielleicht nicht so lesbar sein." Im Roman wiederum gehe es eher um das Erzählen. "In Gedichten ist man, finde ich, noch einmal mehr auf die Sprache fokussiert."

Ronya Othmann: "die verbrechen"
Carl Hanser, München 2021
112 Seiten, 20 Euro

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