"Ich sehe dem Tod freudig entgegen"
Rosa von Praunheim kehrt zu seinen Wurzeln zurück: Sein jüngster Film, der autobiographische Film "Praunheim Memoires", handelt von seiner Jugend in Frankfurt. Er erzählt davon, wie es sich anfühlte, ein junger, schwuler Künstler im biederen Nachkriegsdeutschland zu sein. Im Interview zieht er Bilanz seines Künstlerlebens.
Rosa von Praunheim (O-Ton): Am Rande von Frankfurt am Main liegt der Stadtteil Praunheim, der mein Leben beeinflusst hat. Aus Dankbarkeit gab ich mir später den Künstlernamen Rosa von Praunheim. Den Vornamen Rosa wählte ich im Angedenken an den Rosa Winkel, den die Schwulen im KZ tragen mussten.
Timo Grampes: So kommt also einer der schillerndsten deutschen Filmregisseure zu seinem Namen. Und dieses Praunheim, das hat ihn beeinflusst, weil er da große Teile seiner Kindheit und Jugend verlebt hat. Für seinen neuen Film "Praunheim Memoires" ist Rosa von Praunheim nach Praunheim zurückgekehrt. Hallo, Herr von Praunheim!
von Praunheim: Hallo!
Grampes: In Praunheim sagen sich ja Hase und Igel gute Nacht, und der Männerchor trägt T-Shirts mit der Aufschrift "Vorsicht, Sänger!". Warum wollten Sie da wieder hingehen?
Die Jugend prägt einen ungeheuer
von Praunheim: Ja, ich meine, die Jugend ist eins der wichtigsten ... ich sag das auch immer meinen Studenten - ich meine, auch so provinziell auch immer der Ort war, wo ihr herkommt, da seid ihr am wichtigsten geprägt, auch das, was man hasst oder weil man isoliert ist oder so, das prägt einen ungeheuer. Und das ist wichtig fürs ganze Leben eigentlich. Praunheim war sehr idyllisch für mich, war sehr ruhig. Ich kannte ja niemand, auch die Verwandten und Freunde meiner Eltern waren eher sachlich interessiert, keiner war kulturell interessiert, und ich musste mir das alles erarbeiten.
Ich hab mir Zeitschriften abonniert für moderne Lyrik, hab selber viel Gedichte geschrieben, hab gemalt, aber alles in der Isolation, und ich dachte, wo sind denn die Leute, die vielleicht gleichgesinnt sind, und die habe ich dann erst sehr viel später kennengelernt.
Grampes: Was war denn die intensivste Begegnung für Sie bei dieser Rückkehr nach Praunheim? Ich fand den Lehrer ja sehr anrührend, Ihren ehemaligen Deutschlehrer.
von Praunheim: Genau. Ich hab aufgetan - ich war ja in der Schule sehr schlecht, bin dreimal sitzen geblieben, hab noch nicht mal die mittlere Reife. Der einzige Lehrer, der irgendwie erkannte, dass ich Fantasie hab, war mein Deutschlehrer, Herr Nickel, und den traf ich mit 86 Jahren.
Das war unheimlich rührend, diesen wunderbaren Mann wiederzusehen, der meine Aufsätze in der Schule sehr schätzte, das heißt also, er wusste nie, gibt er mir eine Eins oder eine Sechs, denn rein vom Germanistischen her war das nicht gut, aber es war von der Fantasie, von der Originalität her hervorragend, wie er meinte, und hat das auch in anderen Klassen vorgelesen.
Ich dachte immer, ich lerne, aber ich war einfach dann irgendwo in anderen Welten, und dementsprechend war ich auch schlecht in der Schule. Aber es ist dann doch wichtig, dass da jemand ist, der einen trotzdem schätzt, der einfach irgendwo auch weiß, das ist ein wertvoller Mensch und nicht nur ein Idiot.
Grampes: Und von diesem Menschen gab's ja einige, allerdings auch einige, die eben inzwischen verstorben sind. Die Begegnung mit dem Tod ist ja auch eine Begegnung, die Sie dort immer wieder erleben. Wie schwierig war das?
Alte Erinnerungen rausgeholt
von Praunheim: Besonders rührend war, am Grab zu stehen von meiner ehemaligen Freundin, Gräfin Nora Stolberg zu Stolberg, die ich mit 17 kennengelernt hatte. Die Römerstadt, - wo sie wohnt - ist ein Nachbarort von Praunheim, und das war eine 20 Jahre ältere, sehr sinnliche, sehr leidenschaftliche Halbjüdin, die mir dann auch viel klarmachte über die Nazizeit. Und da hab ich zum ersten Mal erfahren, was wirklich in der Nazizeit los war, wie schrecklich das war für Minderheiten, und hab da eigentlich so eine Ersatzmutter gefunden. Nächtelang haben wir geredet, haben wir Spiele gespielt, haben wir ihren Keller aufgeräumt, alte Erinnerungen rausgeholt. Sie war die, die mir einfach auch Mut machte zu meinem Schwulsein und zu meinem Anderssein und auch zu meiner Fantasie als Künstler, die eher so in der realistischen Umgebung meiner Eltern eher störend waren.
Grampes: Also es sind noch sehr lebendige Erinnerungen, und diese Konfrontation mit diesem Tod, die berührt sie in diesem Film ja auch sehr, das ist ja zu sehen, nicht nur an dieser Stelle. Sie haben 2012 mal in einem Interview gesagt, je älter ich werde, desto weniger möchte ich mich mit Behinderung oder Krankheit beschäftigen, und da scheint ja auch der Tod noch ganz weit weg. Ist der inzwischen näher gekommen?
von Praunheim: Komischerweise hab ich mich mit dem Tod sehr früh auseinandergesetzt. Ich hatte so in meiner Malerei immer ermordete Könige, in allen Variationen Tod dargestellt und hab auch viel drüber geschrieben, hab auch viel mit älteren Menschen Filme gemacht. Jetzt, wo ich selber so alt bin, kann ich das eigentlich kaum mehr sehen, auch meine Zeichnungen sind plötzlich friedlich, da sprießen Blümchen und lustige Tiere und so weiter. Das ist sehr wahrscheinlich so eine Verdrängung.
Grampes: Die Zeit ist kostbar, ist es aber auch schon die Zeit des Rückblicks, also immerhin "Praunheim Memoires", und so ein bisschen hab ich diesen Film auch als eine Art Lebensbilanzwerk empfunden.
Alle Träume können wahr werden
von Praunheim: Ja, nun hab ich ja oft Memoiren geschrieben. Ich hab schon sehr früh über mich geschrieben - das ist auch so ne Quelle, aus der schöpfe kreativ. Mein Leben, meine Begegnungen, das ist was ganz Wichtiges. Und ja, in dem Fall hat sich's natürlich angeboten, diese Kindheit und Jugend noch mal zu reflektieren mit sehr vielen Zeitzeugen. Dann bin ich ja in die Kunstschule nach Offenbach gekommen, wo sich plötzlich alles änderte - Offenbach, ein Nachbarort von Frankfurt -, wo ich plötzlich eben andere kreative Menschen kennengelernt hab und einfach gesehen hab, dass alles im Leben möglich ist, dass man sich nicht nach bürgerlichen Normen richten muss oder was Ordentliches Lernen in dem Sinne, sondern dass die Welt einem offensteht, und alle Träume können wahr werden.
Grampes: Aber irgendwann ist es vorbei. Ich würde gern noch auf den Tod, auch wenn er unbequem ist, zurückkommen. Was würden Sie tun, wenn es dieses Jahr vorbei wäre?
von Praunheim: Das wäre wunderbar. Ich sehe dem Tod freudig entgegen, hab eher Angst vor Siechtum und Krankheit und Depressionen. Nee, ich finde, es könnte jeden Tag vorbei sein, ich hab ein erfülltes Leben und freue mich jeden Tag auch, dass ich noch malen kann, dass ich schreiben kann, meine Filme vorbereiten kann, aber das soziale Umfallen auf der Bühne wäre was Schönes.
Grampes: Aber sich umbringen aus purer Langeweile, wie Sie es 1981 mal im Interview gesagt haben, das würden Sie nicht mehr machen?
von Praunheim: Na ja, ich glaub, zu meinem 40. Geburtstag wollte ich mich von einem Krokodil fressen lassen, das heißt, ich wollte mir ein Krokodil oder einen Alligator als Haustier halten und dann so eine gläserne Decke und meine Freunde einladen und dann öffentlich gefressen werden. Das fand ich schick, aber mein Freund fand das nicht so toll, insofern ist es dann nicht dazu gekommen.
Grampes: Bleiben Sie noch ein bisschen. Wir sehen in "Praunheim Memoires" jetzt ja auch Grabsteine des Öfteren, die sind mir auch ein bisschen ins Auge gefallen. Was sollte denn auf Ihrem stehen, Herr von Praunheim?
von Praunheim: Ja, ich schreib sehr viele Gedichte, und da war irgendwas Originelles, aber ... Nein, ich möchte beerdigt werden im alten St.-Matthäus-Friedhof, das ist ja so eine Art Schwulenfriedhof. Da hat mein Freund Ichgola Androgyn ein Café, Finovo heißt das, ich glaube, das einzige Friedhofscafé, das es überhaupt gibt, und da trifft sich Jung und Alt und viele, die an Aids verstorben sind.
Die Witwer treffen dann auf ältere Damen, die ihre Männer verloren haben, und da gibt es auch sehr viele Führungen und es ist ein sehr ungewöhnlicher, unkonventioneller Friedhof. Da kann man sich Grabstätten kaufen, und ich möchte da einen irgendwo in der Ecke und den selbst schon vorher bemalen, also schöne, witzige ...
Grampes: Welche Farbe?
von Praunheim: Ein paar pornografische Zeichnungen, deswegen werde ich auch da nach hinten irgendwo ... Also eigentlich möchte ich ja im Glassarg öffentlich verwesen, aber ich weiß nicht, ob das gestattet ist.
Grampes: Das weiß ich auch nicht, müsste man sich noch mal informieren. Wie wichtig ist es Ihnen denn, was von Ihnen bleibt, dass man zum Beispiel sagt, das war ein besonderer Künstler und das war auch jemand, der immer für Minderheiten gekämpft hat, der sich eingesetzt hat.
Schwules Leben dokumentiert
von Praunheim: Ich glaub schon, eine Qualität ist, dass ich so der bin, der am meisten schwules Leben dokumentiert hat, vielleicht weltweit oder so. Ich hatte natürlich die Gelegenheit bekommen durch Fernsehredakteure, durch Möglichkeiten, Filme zu machen über das Thema, schon Ende der 60er-Jahre. Insofern denke ich, wäre es eine schöne Erinnerung: Der hat ein bisschen was dafür getan, damit es Schwulen besser geht.
Denn wir wissen ja, dass weltweit wieder unheimliche Rückschritte sind, ob das Islam ist oder die christlichen Kirchen oder die Evangelikalen, die die Schwulen überhaupt nicht leiden können, und wo es sehr schwer ist für junge Menschen, schwul oder lesbisch aufzuwachsen.
Grampes: Herr von Praunheim, Sie haben jetzt im Film nach Ihrer Mutter gesucht, nach Ihrer Herkunft, Sie haben Praunheim besucht - was suchen Sie als Nächstes?
von Praunheim: Ja, was suche ich als Nächstes? Ich hab so viele Pläne. Ich hab ja in den letzten Jahren sieben Filme gemacht und hab einen Film, "Härte", der jetzt auf die Berlinale kommt, auf den ich sehr, sehr stolz bin, und ja, ich hab so viele Ideen, das ist so ein Glücksgefühl, kreativ sein zu dürfen, das eigentlich ist das Schönste.
Grampes: Rosa von Praunheim. Sein neuer Film "Praunheim Memoires" startet am 8. Januar in den Kinos, und die Premiere, die können Sie schon am kommenden Sonntag erleben an der Berliner Volksbühne. Danke, Herr von Praunheim!
von Praunheim: Danke auch!
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