Rosie March-Smith: Träume deuten und sich selbst verstehen
Aus dem Englischen von Wolfgang Beuchelt und Brigitte Rüßmann
Dorling Kindersley, München 2020
224 Seiten, 19,95 Euro
Erkenne Dich selbst im Schlaf
05:47 Minuten
Träume sind genauso wichtig wie guter Schlaf, glaubt die englische Psychologin Rosie March-Smith – wenn man sie versteht. Ihre 69 Traumdeutungen sollen dabei helfen.
Träume sind unsere magischen Verbündeten, schreibt Rosie March-Smith gleich zu Anfang ihres auffallend schön gestalteten Buches – und sie will deshalb ihre Leserinnen und Leser dazu befähigen, ihre Träume zu erinnern und sie für sich deuten zu lernen. Denn erst wenn man seine Träume richtig kenne, könne man sich selbst besser verstehen.
Ein schöner Gedanke. Auch wenn es der Forschung bisher nicht gelungen ist, zu entschlüsseln, warum Menschen tatsächlich träumen. Klar ist nur, wir tun es: vier bis sechs Mal in der Nacht, jeweils fünf bis 20 Minuten lang. "Wir alle träumen, weil es wichtig ist für unsere emotionale, geistige und körperliche Gesundheit", schreibt die englische Psychologin. Träume sind demnach genauso wichtig wie guter Schlaf.
Ganzheitliche Körperwahrnehmung
Tatsächlich hat sich der Mensch schon immer mit beidem – Schlaf wie Traum – ausführlich beschäftigt: Die Ägypter verfassten vor rund 3000 Jahren das "Hieratische Traumbuch", die Römer und Griechen sahen Träume als Omen und Vorzeichen an, und Sigmund Freud veröffentlichte 1900 sein Buch "Die Traumdeutung".
Für den Begründer der analytischen Psychologie, Carl Gustav Jung, drückten Träume das Unbewusste aus. Heute bezeugt die "Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin" mit den von ihr anerkannten 299 Schlaflaboren auch hierzulande die Bedeutung des Themas.
Geht es Medizinern häufig um die Beseitigung von Schlafstörungen, steht für Psychologen eher eine ganzheitliche Körperwahrnehmung im Zentrum – und da gehören Träume fest dazu. Erlauben sie doch Einblicke in unser Unterbewusstsein, so Rosie March-Smith in ihrer "Theorie der Träume". Letztere umfasst knapp 20 Seiten – und gibt einen kurzen zeitlichen Überblick zum Thema.
Viele ausführliche Traumdeutungen
Weil aber viele Träume vage und flüchtig sind, gilt es, sie festzuhalten und genau zu verstehen. Wie, das erklärt die Autorin präzise. Indem sie Tipps dazu gibt, wie man ein Traumtagebuch anlegt; wie man "luzides" Träumen lernt – also das "Klarträumen", bei dem der Träumende weiß, dass er träumt. Oder indem sie anhand von 69 Traumsituationen konkret erklärt, was ein Traum meint: also etwa fliegen zu können, zu spät zu kommen, eine Toilette zu suchen oder durch leere Zimmer zu wandern.
Zu jedem dieser Träume gibt es dann ausführliche Deutungen, die jeweils eine Doppelseite einnehmen.
Bei Träumen von leeren Zimmer geht es oft um das "Unbekannte", das einen entweder auf die eigene innere Orientierungslosigkeit aufmerksam machen soll oder als Aufmunterung verstanden werden kann, etwas Neues zu wagen, so Rosie March-Smith: "Die leeren Zimmer müssen auf seelischer Ebene mit Farbe und Wärme gefüllt werden."
Der Traum vom zu spät zu kommen wiederum warne davor, "Aufgaben übernehmen zu wollen, die man gar nicht leisten kann". Der Traum helfe also dabei, sich kommenden Herausforderungen zu stellen und sich selbst besser einschätzen zu lernen.
Schön gestaltet und leicht verständlich
Klingt interessant, liest sich gut und hat doch viel von einer schön gemachten Zeitschrift. Was für ein Buch ist das eigentlich, das der Verlag selbst einen visuellen Ratgeber nennt? Ein klassisches Wissenschaftsbuch ist es nicht – trotz Expertise der Autorin.
Vielmehr – und das ist ein interessantes Phänomen auf dem derzeitigen Buchmarkt – ist es eine Art schön gestaltetes Coffee-table-book: kein Abschnitte ist zu lang, jeder Text für Laien verständlich geschrieben, schön illustriert. Eine Art Bilderbuch für Erwachsene also. Für solche, die Lust haben, sich über Körper und Geist zu informieren, ohne gleich in die tiefe Wissenschaft abgleiten zu müssen. All das erfüllt Rosie March-Smiths Buch. Fraglos.
Und doch bleibt am Ende der 224 Seiten ein Gefühl der Beliebigkeit zurück. Klar kann der Traum vom Fliegen für das Verlangen nach Freiheit und Selbstverwirklichung stehen, aber ist das immer so? In meinen Träumen vom Fliegen ging es oft weniger um das Fliegen selbst als um die Sorgen vor der Landung. Auch konnte ich oft wegfliegen vor einer Gefahr. Solche kleinen Details aber kommen bei Rosie March-Smith nicht vor. Vielleicht weil sie nicht typisch genug sind?
Insofern kann und sollte man Bücher dieser Art als das nehmen, was sie sind: als angenehme Lektüre, die perfekt passt in unsere Zeit, wo viele Menschen nach Sinn, Glück und Ganzheitlichkeit streben – ohne sich dabei groß anstrengen zu müssen.