Leichtfuß trifft Titanen
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1822 besucht Gioacchino Rossini Wien. Seine Opern und er selbst waren höchst willkommen. Der schillernde Star er wollte unbedingt Beethoven persönlich kennenlernen. Ein kurzes, markantes Treffen fand statt.
Anno 1822 in Wien. Rossini reist als Star in jene Stadt, in der Beethoven lebte. Rossini bewunderte den Wiener Komponisten:
"Ich hatte schon Beethoven-Quartette in Mailand gehört, ich muss Ihnen nicht sagen, mit welcher Bewunderung! Ich kannte auch einige Klavierwerke von ihm. In Wien habe ich zum ersten Mal die Aufführung einer seiner Symphonien, der Eroica, miterlebt. Diese Musik hat mich überwältigt. Ich hatte nur einen Gedanken: dieses große Genie kennen zu lernen, es zu sehen - und wäre es auch nur einmal."
Kontaktversuche
Rossini versuchte aktiv, Kontakt aufzunehmen, und wandte sich zuerst an Antonio Salieri, bei dem Beethoven als junger Mann Unterricht genommen hatte. Schließlich musste Rossini auch die Sprachbarriere überwinden, denn er sprach kein Deutsch.
Der alte kränkelnde Salieri aber sagte bedauernd ab und vermittelte Rossini an den befreundeten italienischen Musikkenner, Schriftsteller und Dichter Giuseppe Carpani weiter. Er war ein von Beethoven geschätzter Verfasser einer Haydn-Biographie. Carpani nahm sich der Vermittlung an und konnte ein Treffen arrangieren
Zwei musikalische Welten
Hier begegneten sich schließlich Welten. Hier der Südländer, der Italiener, dort Beethoven, der transalpine Teutone; hier der sinnliche Melomane, dort der subtile Denker; hier ein Opernkomponist, der sich der "Flitterwelt" des Theaters verschrieb, dort der Tonschöpfer, der sich der angeblich reinen Instrumentalmusik widmete.
Mit dem Südländer verband man klischeehaft Leichtsinn, Witz und Lebensfreude. Mit dem Teutonen Tiefsinn, Ernst und Philosophie.
Auf zu Beethoven
Eine merkwürdige Beklommenheit beschlich jedoch den umjubelten Starkomponisten des "Barbier" und der "Cenerentola" auf einmal. Rossini schrieb in seinen Memoiren:
"Nur mit Mühe konnte ich meine Erregung unterdrücken, als ich die Treppe zu der ärmlichen Unterkunft hinaufstieg, in der der große Mann lebte, ja es fiel mir plötzlich schwer, meine Gefühle zu beherrschen. Als die Tür sich öffnete, befand ich mich in einer Art Verschlag, der sehr schmutzig war und von einer entsetzlichen Unordnung zeugte. Ich erinnere mich besonders daran, dass die Zimmerdecke unmittelbar unter dem Dach große Risse aufwies, durch die der Regen in Strömen eindringen mußte."
Wie so oft befand sich auch jetzt gerade Beethoven in einer anderen Sphäre, vertieft in den Kosmos seiner Notenwelt.
Abseits der glanzvollen Salons
Rossini erinnert sich weiter: "Als wir eintraten, stand er ohne vorher uns zu beachten, für einige Momente über einem Notenheft (musikalischen Gedanken) gebeugt, in dem er gerade Korrekturen vornahm. Dann sah er auf und sagte plötzlich in ziemlich verständlichem Italienisch zu mir: 'Ah! Sie sind Rossini, der Komponist des Barbiere di Seviglia? Gratuliere, das ist eine ausgezeichnete komische Opera. Ich habe sie mit Vergnügen gelesen und mich daran erfreut. Solange es italienische Opernhäuser gibt, wird man sie spielen. Versuchen Sie niemals, etwas anderes als komische Opern zu schreiben. In anderen Gattungen erfolgreich sein zu wollen, hieße Ihrem Schicksal Gewalt antun.'"
Die Begegnung war kurz, auch weil ein großer Teil des Gesprächs schriftlich geführt wurde. Rossini gab seine Bewunderung zum Ausdruck und seinen Dank für den Besuch. Man tauschte sich kurz über die Opernwelt in Italien und über Mozart aus – das wars. Beethoven habe am Ende tief geseufzt und sich verabschiedet. "Oh! Un infelice! (Ach, ich bin nur ein Unglücklicher)"
Erschrocken über Lebensumstände
Rossini beeindruckte diese Begegnung schwer. Der große Geist, der unter fast katastrophalen Bedingungen lebte.
Doch der Tenor in der Wiener Gesellschaft war die, die schon sein Begleiter Carpani verlautbaren ließ: Beethoven sei ein Griesgram und Menschenfeind, zu wahrer Freundschaft nicht fähig.
Rossinis Bemühungen, Beethoven eine Rente zukommen zu lassen, verhallten. Rossini blieb fassungslos darüber, ein Leben lang.