Die Kegelkönige aus Sachsen-Anhalt
Den Sportverein Rot-Weiß Zerbst kennt kaum jemand. Dabei ist er erfolgreicher als der FC Bayern - im Kegeln. Seit 2007 räumen die Spieler jedes Jahr den Weltpokal ab. Wie machen die das?
"Sie sehen die Weltpokale hier oben. Das ist 2. und 3. Platz im Weltpokal, das ist der Champions League Pokal hier, der Rest sind die deutschen Meisterschaften, die deutschen Pokale."
Lothar Müller ist sichtlich stolz: Der Präsident und Manager des Vereins Rot-Weiß Zerbst, des deutschen Rekordmeisters, der vielleicht weltbesten Vereinsmannschaft im Kegeln. Müller trägt eine randlose Brille, in der Hand hält er einen schwarzen Aktenkoffer. Im Vereinszimmer glänzt es wegen der dutzenden Pokale fast wie in einer ritterlichen Prunkkammer.
"2005 Vizemeister. Und ab 2006 jedes Jahr der deutsche Mannschaftsmeister. Also bis einschließlich in diesem Jahr. Und parallel dazu liefen auch die Weltpokale, zwischenzeitlich sind es sechs und waren achtmal im Final Four der Champions League."
Europäische Spitzenspieler aus Slowenien kommen nach Zerbst
Der 61-jährige Lothar Müller ist so etwas wie der Beckenbauer Sachsen-Anhalts. Der frühere DDR-Nationalspieler im Kegeln - ist der Vater des Erfolgs. Die etwa 18 Spieler – allesamt Nationalspieler - kommen aus ganz Deutschland. Aber auch europäische Spitzenspieler, etwa aus Slowenien, sind dabei. Stars vom Balkan, neben Ungarn eine Hochburg des Kegelsports.
Trainiert wird in einer Art Lagerhalle am Rand des 24.000 Einwohner großen Zerbst, dem anhaltischen, durch den Krieg komplett zerstörten Residenzstädtchen, wo einst Katharina die Große einige Jahre ihrer Kindheit erlebt hat. 40 Kilometer südöstlich von Magdeburg.
"Konstant zu spielen. Wurf für Wurf sich neu zu konzentrieren, die Geschwindigkeit beizubehalten, nicht zu schnell zu werfen, nicht zu langsam ..."
… darauf kommt es an, sagt der 25-jährige Stefan Kurz. Einer der Top-Spieler in Zerbst. Er trägt das rot-weiße Trikot des Vereins, mit dem Zeichen der anrollenden Kugel und den zwei fallenden Kegeln.
"Bei uns ist es ja nicht so, dass ein guter Wurf das ganze Spiel ausmacht. Sondern 120 Wurf konstant das Gleiche macht. Immer wieder und die die Ruhe bewahrt."
Mehr als nur ein Kneipensport
Als Kneipensport verrufen, als Spaßsport bekannt, hat das Kegeln auch eine professionelle Seite. Mit dickbäuchigen rauchenden und trinkenden Männern hat das Kegeln auf Top-Niveau nichts zu tun. Stattdessen fließt der Schweiß. Akribisch und stundenlang wird immer wieder die Kugel geworfen.
"Das Wichtigste ist, dass jeder seinen Stil pflegt. Ziel ist es ja, die meisten Kegel zu treffen. Jeder hat sein Stil und den muss er perfektionieren. Und das ist wichtig. Die kleinste falsche Bewegung endet ein, zwei Zentimeter daneben. Und schon ist die Zahl schlecht ..."
... sagt Andreas Förster, Spielerbetreuer, Trainer, Platzwart. Mädchen für alles im Verein Rot-Weiß Zerbst.
Die Kugel rollt in Zerbst nicht gemächlich über eine holprige Holzbahn. Nein, sie schlittert mit Top-Speed von etwa 30 km/h über eine 20 Meter lange blaue Kunststoffbahn. Am Ende knallt die Kugel mit voller Wucht gegen die Kunststoffkegel. Komplizierte elektronische Anlagen zeigen die Spielstände an. Die Disziplin nennt sich Classic-Kegeln.
"Das ist ein Spiel Mann gegen Mann. Es sind sechs Spieler in der Mannschaft, sie spielen sogenannte vier Sätze, diese vier Sätze bestehen aus 120 Wurf. Und der Sieger eines Satzes erhält einen sogenannten Satzpunkt."
Dreieinhalb Stunden dauert ein Wettkampf
Simpel gesagt: Man muss am Ende möglichst viele Kegel abräumen. Etwa dreieinhalb Stunden dauert ein Wettkampf. 100.000 aktive Kegler gibt es noch in Deutschland, Tendenz fallend. Zu den Heimspielen in Zerbst, erzählt Ex-Nationalspieler Lothar Müller, kommen etwa 100 bis 120 zahlende Zuschauer.
Die Kegelhalle in Zerbst hat noch etwas verstaubten DDR-Charme. 1999 hat sich der Verein Rot-Weiß Zerbst gegründet. Der Etat des Vereins beträgt etwa 120.000 Euro, das entspricht etwa dem eines Fußball-Fünftligisten.
"Keiner der Spieler ist in irgendeiner Form ein Profi, jeder muss arbeiten. Und die trainieren dreimal in der Woche und müssen sich auch fit halten mit Fitnessstudio, Joggen, was eben ein Hochleistungssportler machen muss. Keiner der Spieler erhält in irgendeiner Form ein Honorar. Was wir hier machen, ist eine einfache Entschädigung der Reisekosten, das muss einfach dabei rauskommen."
Bald kommt es zur Meisterfeier. Denn zwei Spieltage vor Saisonende hat Rot Weiß Zerbst, der FC Bayern des Kegelns, den Meistertitel in Sack und Tüten.
"In der nächsten Woche werden wir für den zehnten Titel geehrt. Das hat es in Deutschland noch nie gegeben. Noch nie."
Schade nur, sagt noch der Vater des Erfolgs, Wolfgang Müller, dass man zwar eine der weltbesten Mannschaften sei, in guten Tagen so gut wie unschlagbar, aber dennoch so gut wie unbekannt ist.