Roth fordert "Geste der Entschuldigung" gegenüber Kurnaz
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat sich für die Aufnahme unschuldiger Guantanamo-Häftlinge in der Europäischen Union ausgesprochen. "Deutschland würde gut daran tun, auch in Europa in dieser Frage eine Vorreiterrolle zu nehmen", sagte Roth.
Hanns Ostermann: In der Politik ist es ähnlich wie im Sport. Wer erfolgreich ist, möchte beim nächsten Mal noch höher hinaus. Für die Bündnis-Grünen und die Europawahl Anfang Juni heißt das, wir wollen mehr als 11,9 Prozent der Stimmen. Konkret: Künftig sollen 16 Frauen und Männer im Europaparlament sitzen, hofft man. Bislang sind es 13.
Überwiegend Harmonie und Selbstbewusstsein kennzeichneten den Parteitag am Wochenende und ganz sicher dürfte auch das hessische Wahlergebnis zur guten Stimmung beigetragen haben. Nur reicht das als Fundament für dieses Superwahljahr? Ist die Europapolitik nicht möglicherweise so etwas wie ein Ruheraum? Denn bei uns in Deutschland geht es ja nicht zuletzt um die Frage, wer mit welcher Partei kann, und dieses Thema spielte in Dortmund kaum eine Rolle. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur ist Claudia Roth, die Bundesvorsitzende der Bündnis-Grünen. Guten Morgen, Frau Roth!
Claudia Roth: Schönen guten Morgen.
Ostermann: Bei Ihnen gab es früher Parteitage, da flogen die Fetzen, da stritten die Vertreter der Flügel erbittert über den richtigen Weg. Wie kommt es, dass es heutzutage bei Ihnen vergleichsweise ruhig bleibt?
Roth: Ich glaube, weil es tatsächlich jetzt am Wochenende nicht darum gehen konnte, irgendwelche astrologischen Farbspiele oder Koalitionspoker auszuhandeln, sondern es ging darum, deutlich zu machen und uns selber und in unserem Programm zu vergegenwärtigen, welche Bedeutung europäische Politik hat, dass wir in einer Zeit sind, in der es große globale Krisen gibt, die der Nationalstaat definitiv nicht allein behandeln kann, dass nur ein geeintes, ein starkes, ein ökologischeres, ein sozialeres, ein demokratischeres Europa tatsächlich in dieser Welt Einfluss nehmen kann und eine bessere Politik beschreiben kann.
Ostermann: Auf neu Hochdeutsch heißt das "green new Deal", Sie vereinen früher einander diametral gegenüberstehende Fakten oder bestimmte Eigenschaften. Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, dann, wenn ich an die noch ausstehenden vier Landtags- und an die Bundestagswahlen denke, denn dann konkurrieren Sie ja nicht zuletzt mit der FDP um Platz drei.
Roth: Mit Verlaub, es geht in Europa auch um veränderte Mehrheiten. Der Zustand dieses Europas hat ja auch damit zu tun, dass es eine konservative Mehrheit gibt, dass dann konservative Regierungschefs oder Präsidenten wie Frau Merkel, Herr Berlusconi oder Herr Kaczynski Anti-Klima-Bündnisse schließen, wie in Posnan anstatt Vorreiter zu sein. Also es geht uns in Europa nicht nur um eine andere Europapolitik, sondern auch um andere Mehrheiten. Im Europaparlament haben wir faktisch eine Große Koalition und wie der Zustand Europas ist, das sehen wir jetzt bei der Klimapolitik, das sehen wir übrigens auch bei Guantanamo.
Das ist für mich ein kalter Zynismus, denn auch europäische Länder, auch Mitgliedsländer der Europäischen Union waren beteiligt, wissend oder zulassend, an CIA-Gefängnissen, an Entführungen von Menschen. Und Deutschland würde gut daran tun, auch in Europa in dieser Frage eine Vorreiterrolle zu nehmen und zu sagen, selbstverständlich nehmen wir unschuldige uigurische Gefangene auf als Geste der Entschuldigung gegenüber Murad Kurnaz, der jahrelang in Guantanamo war. Das zu Europa.
Aber jetzt ist natürlich Hessen. Allein schon Hessen war ein riesengroßer Auftakt für dieses Jahr und Europa soll ein nächster Höhepunkt sein, der uns dann mit einem guten Ergebnis, das wir wollen als die Europapartei, in einem ganz schweren Jahr tatsächlich Rückenwind gibt für die Landtagswahlen, die wir Ende August haben, und dann für die Bundestagswahl Ende September.
Ostermann: Und wenn Sie im Bund zusammen mit der SPD regieren wollen, brauchen Sie eine dritte Partei, denn Sie wollen nicht nur in Europa, sondern auch im Bund die Große Koalition "sprengen". Steht Ihnen da eigentlich die Linkspartei näher oder die FDP?
Roth: Erst mal noch einmal: wir haben uns auf diesem Parteitag nicht um Farbkonstellationen gestritten, anders als Herr Westerwelle, der vor Übermut ja wieder mal grade nicht laufen kann.
Ostermann: Frau Roth! Aber die Delegierten reden doch auch über das, was im Laufe des Jahres auf alle zukommt?
Roth: Ja, natürlich. Aber erst mal sagen wir, was sind unsere Inhalte, was wollen wir durchsetzen, und dann sagen wir nach der Wahl, wo gibt es Schnittmengen, wo gibt es Übereinstimmungen, und wir reden im Gegensatz zu anderen mit allen Parteien. Das haben wir in Hamburg gemacht, das haben wir in Hessen gemacht, und dann sehen wir, wo gibt es Möglichkeiten. Wir wollen die schwarz-gelbe, neoliberale Eiszeit verhindern, wir wollen die Große Koalition verhindern, denn dort ist die SPD doch nicht armes Opfer einer Hü- und Hott-Politik, die bodenlos konzeptionslos ist, sondern sie ist Täter. Und dann gehen wir rein und sagen so, wir wollen in Deutschland einen Richtungswechsel. Mit welchen Parteien ist dieser Richtungswechsel möglich? Und anders als die FDP, die sich ja jetzt wieder mit der CDU und CSU einschließt und den Schlüssel wegwirft, sagen wir, es geht uns darum, die Politik in diesem Land und die Richtung in diesem Land zu verändern, und dafür sind wir offen.
Ostermann: Sie sagen, die FDP wirft den Schlüssel weg. Ich könnte umgekehrt argumentieren, dass den Bündnis-Grünen möglicherweise genau alle Optionen offen zu halten schaden könnte, denn die FDP hat nicht zuletzt deshalb die hohe Zustimmung, weil sie sich eindeutig festlegt. Das gilt jedenfalls für Hessen.
Roth: Ich möchte, dass die Menschen darüber abstimmen, über die Politik und nicht über irgendwelche potenziellen Farbkonstellationen. Ich möchte, dass die Menschen entscheiden, wollen wir eine Klimapolitik, oder wollen wir das, was die Frau Merkel als ehemalige Klimaqueen-Darstellerin tut. Ich möchte, dass die Menschen entscheiden, wollen wir eine Politik, die Gerechtigkeit in diesem Land endlich mehr herstellt, aber nicht, indem man Steuern für die senkt, die eh schon viel haben, sondern den Geringverdienern, den ALG-II-Empfängern, den Rentnern mehr Möglichkeit gibt, in einer Wirtschaftskrise überhaupt Kaufkraft zu geben. Und dann sagen wir, wo geht das denn, und schauen Sie mal mit Verlaub: Wenn ich mir die Union anschaue von Frau Merkel und von Herrn Seehofer, dann ist die ziemlich weit weg in der Zwischenzeit von uns mit ihrem Atomkurs, mit ihrer Verweigerung, Mindestlohnregelungen durchzusetzen. Nur die SPD, die uns näher steht, ja, aber die ist auch verantwortlich für eine falsche Politik, beispielsweise, wenn es um überwachungsstaatlichen Abbau von Bürgerrechten geht.
Ostermann: Sie haben darauf hingewiesen, was Ihnen an der CDU nicht gefällt, an der SPD nicht gefällt und insbesondere auch bei den Liberalen missfällt. Die Linkspartei taucht nicht auf. Das heißt, da ist was?
Roth: Ach so! Ich muss Ihnen sagen, die Linkspartei auf Bundesebene vertritt eine Politik, gerade was Europa angeht, die mit uns einfach gar nicht kompatibel ist.
Ostermann: Das heißt, die scheiden als potenzieller Koalitionspartner aus?
Roth: Ich mach doch nicht im Januar – noch einmal! -, ich stelle mich doch nicht im Januar in einem Interview mit Ihnen ans Telefon und sage, die und die und die scheiden aus. Noch einmal: Ich gehe hin und sage jetzt, die nächsten Monate, die und die und die Politik möchte ich vertreten. Wenn die Linkspartei nach wie vor auf europäischer Ebene gegen den Lissabon-Vertrag ist, wenn sie eine tendenziell national angehauchte Außenpolitik vertritt, wenn sie das Blaue vom Himmel herunter verspricht in der Sozialpolitik, wenn sie selber sagt, sie will überhaupt nicht regieren, dann renne ich doch der Linkspartei nicht hinterher.
Ostermann: Die Politik ist ein schwieriges Geschäft. Vielen Dank! Claudia Roth war das, die Bundesvorsitzende der Bündnis-Grünen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Roth: Wünsche ich Ihnen auch. Tschüss!
Ostermann: Tschüss!
Überwiegend Harmonie und Selbstbewusstsein kennzeichneten den Parteitag am Wochenende und ganz sicher dürfte auch das hessische Wahlergebnis zur guten Stimmung beigetragen haben. Nur reicht das als Fundament für dieses Superwahljahr? Ist die Europapolitik nicht möglicherweise so etwas wie ein Ruheraum? Denn bei uns in Deutschland geht es ja nicht zuletzt um die Frage, wer mit welcher Partei kann, und dieses Thema spielte in Dortmund kaum eine Rolle. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur ist Claudia Roth, die Bundesvorsitzende der Bündnis-Grünen. Guten Morgen, Frau Roth!
Claudia Roth: Schönen guten Morgen.
Ostermann: Bei Ihnen gab es früher Parteitage, da flogen die Fetzen, da stritten die Vertreter der Flügel erbittert über den richtigen Weg. Wie kommt es, dass es heutzutage bei Ihnen vergleichsweise ruhig bleibt?
Roth: Ich glaube, weil es tatsächlich jetzt am Wochenende nicht darum gehen konnte, irgendwelche astrologischen Farbspiele oder Koalitionspoker auszuhandeln, sondern es ging darum, deutlich zu machen und uns selber und in unserem Programm zu vergegenwärtigen, welche Bedeutung europäische Politik hat, dass wir in einer Zeit sind, in der es große globale Krisen gibt, die der Nationalstaat definitiv nicht allein behandeln kann, dass nur ein geeintes, ein starkes, ein ökologischeres, ein sozialeres, ein demokratischeres Europa tatsächlich in dieser Welt Einfluss nehmen kann und eine bessere Politik beschreiben kann.
Ostermann: Auf neu Hochdeutsch heißt das "green new Deal", Sie vereinen früher einander diametral gegenüberstehende Fakten oder bestimmte Eigenschaften. Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, dann, wenn ich an die noch ausstehenden vier Landtags- und an die Bundestagswahlen denke, denn dann konkurrieren Sie ja nicht zuletzt mit der FDP um Platz drei.
Roth: Mit Verlaub, es geht in Europa auch um veränderte Mehrheiten. Der Zustand dieses Europas hat ja auch damit zu tun, dass es eine konservative Mehrheit gibt, dass dann konservative Regierungschefs oder Präsidenten wie Frau Merkel, Herr Berlusconi oder Herr Kaczynski Anti-Klima-Bündnisse schließen, wie in Posnan anstatt Vorreiter zu sein. Also es geht uns in Europa nicht nur um eine andere Europapolitik, sondern auch um andere Mehrheiten. Im Europaparlament haben wir faktisch eine Große Koalition und wie der Zustand Europas ist, das sehen wir jetzt bei der Klimapolitik, das sehen wir übrigens auch bei Guantanamo.
Das ist für mich ein kalter Zynismus, denn auch europäische Länder, auch Mitgliedsländer der Europäischen Union waren beteiligt, wissend oder zulassend, an CIA-Gefängnissen, an Entführungen von Menschen. Und Deutschland würde gut daran tun, auch in Europa in dieser Frage eine Vorreiterrolle zu nehmen und zu sagen, selbstverständlich nehmen wir unschuldige uigurische Gefangene auf als Geste der Entschuldigung gegenüber Murad Kurnaz, der jahrelang in Guantanamo war. Das zu Europa.
Aber jetzt ist natürlich Hessen. Allein schon Hessen war ein riesengroßer Auftakt für dieses Jahr und Europa soll ein nächster Höhepunkt sein, der uns dann mit einem guten Ergebnis, das wir wollen als die Europapartei, in einem ganz schweren Jahr tatsächlich Rückenwind gibt für die Landtagswahlen, die wir Ende August haben, und dann für die Bundestagswahl Ende September.
Ostermann: Und wenn Sie im Bund zusammen mit der SPD regieren wollen, brauchen Sie eine dritte Partei, denn Sie wollen nicht nur in Europa, sondern auch im Bund die Große Koalition "sprengen". Steht Ihnen da eigentlich die Linkspartei näher oder die FDP?
Roth: Erst mal noch einmal: wir haben uns auf diesem Parteitag nicht um Farbkonstellationen gestritten, anders als Herr Westerwelle, der vor Übermut ja wieder mal grade nicht laufen kann.
Ostermann: Frau Roth! Aber die Delegierten reden doch auch über das, was im Laufe des Jahres auf alle zukommt?
Roth: Ja, natürlich. Aber erst mal sagen wir, was sind unsere Inhalte, was wollen wir durchsetzen, und dann sagen wir nach der Wahl, wo gibt es Schnittmengen, wo gibt es Übereinstimmungen, und wir reden im Gegensatz zu anderen mit allen Parteien. Das haben wir in Hamburg gemacht, das haben wir in Hessen gemacht, und dann sehen wir, wo gibt es Möglichkeiten. Wir wollen die schwarz-gelbe, neoliberale Eiszeit verhindern, wir wollen die Große Koalition verhindern, denn dort ist die SPD doch nicht armes Opfer einer Hü- und Hott-Politik, die bodenlos konzeptionslos ist, sondern sie ist Täter. Und dann gehen wir rein und sagen so, wir wollen in Deutschland einen Richtungswechsel. Mit welchen Parteien ist dieser Richtungswechsel möglich? Und anders als die FDP, die sich ja jetzt wieder mit der CDU und CSU einschließt und den Schlüssel wegwirft, sagen wir, es geht uns darum, die Politik in diesem Land und die Richtung in diesem Land zu verändern, und dafür sind wir offen.
Ostermann: Sie sagen, die FDP wirft den Schlüssel weg. Ich könnte umgekehrt argumentieren, dass den Bündnis-Grünen möglicherweise genau alle Optionen offen zu halten schaden könnte, denn die FDP hat nicht zuletzt deshalb die hohe Zustimmung, weil sie sich eindeutig festlegt. Das gilt jedenfalls für Hessen.
Roth: Ich möchte, dass die Menschen darüber abstimmen, über die Politik und nicht über irgendwelche potenziellen Farbkonstellationen. Ich möchte, dass die Menschen entscheiden, wollen wir eine Klimapolitik, oder wollen wir das, was die Frau Merkel als ehemalige Klimaqueen-Darstellerin tut. Ich möchte, dass die Menschen entscheiden, wollen wir eine Politik, die Gerechtigkeit in diesem Land endlich mehr herstellt, aber nicht, indem man Steuern für die senkt, die eh schon viel haben, sondern den Geringverdienern, den ALG-II-Empfängern, den Rentnern mehr Möglichkeit gibt, in einer Wirtschaftskrise überhaupt Kaufkraft zu geben. Und dann sagen wir, wo geht das denn, und schauen Sie mal mit Verlaub: Wenn ich mir die Union anschaue von Frau Merkel und von Herrn Seehofer, dann ist die ziemlich weit weg in der Zwischenzeit von uns mit ihrem Atomkurs, mit ihrer Verweigerung, Mindestlohnregelungen durchzusetzen. Nur die SPD, die uns näher steht, ja, aber die ist auch verantwortlich für eine falsche Politik, beispielsweise, wenn es um überwachungsstaatlichen Abbau von Bürgerrechten geht.
Ostermann: Sie haben darauf hingewiesen, was Ihnen an der CDU nicht gefällt, an der SPD nicht gefällt und insbesondere auch bei den Liberalen missfällt. Die Linkspartei taucht nicht auf. Das heißt, da ist was?
Roth: Ach so! Ich muss Ihnen sagen, die Linkspartei auf Bundesebene vertritt eine Politik, gerade was Europa angeht, die mit uns einfach gar nicht kompatibel ist.
Ostermann: Das heißt, die scheiden als potenzieller Koalitionspartner aus?
Roth: Ich mach doch nicht im Januar – noch einmal! -, ich stelle mich doch nicht im Januar in einem Interview mit Ihnen ans Telefon und sage, die und die und die scheiden aus. Noch einmal: Ich gehe hin und sage jetzt, die nächsten Monate, die und die und die Politik möchte ich vertreten. Wenn die Linkspartei nach wie vor auf europäischer Ebene gegen den Lissabon-Vertrag ist, wenn sie eine tendenziell national angehauchte Außenpolitik vertritt, wenn sie das Blaue vom Himmel herunter verspricht in der Sozialpolitik, wenn sie selber sagt, sie will überhaupt nicht regieren, dann renne ich doch der Linkspartei nicht hinterher.
Ostermann: Die Politik ist ein schwieriges Geschäft. Vielen Dank! Claudia Roth war das, die Bundesvorsitzende der Bündnis-Grünen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Roth: Wünsche ich Ihnen auch. Tschüss!
Ostermann: Tschüss!