Royal Shakespeare Theatre in Stratford

Hamlet als afrikanischer Hipster

William Shakespeare als Wachsfigur
Im 400. Todesjahr William Shakespeares: Die "Hamlet"-Inszenierung in Stratford fällt durch die konsequente Besetzungsidee auf. © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
Von Christoph Leibold |
Auf der Bühne im Royal Shakespeare Theatre ist zwar von "Dänemark" die Rede: In Simon Godwins Inszenierung spielt "Hamlet" aber irgendwo in Afrika. Das funktioniert erstaunlich gut – trotz unvermeidlicher Trommelmusik und weißer Überheblichkeit.
Über der Bühne im Royal Shakespeare Theatre zu Startford-upon-Avon hängt das Wappen der Universität Wittenberg. Hamlet mit Doktorhut - einziger Schwarzer unter lauter weißen Studenten – Hamlet nimmt sein Diplom in Empfang. Doch schon wird ein gläserner Sarg mit Hamlets totem Vater vorbeigetragen. Trommelmusik. Cut. Nach diesem Vorspiel geht es rein ins Stück und: zurück in Hamlets Heimat.
Die Grillen zirpen, an der Decke drehen sich Ventilatoren und König Claudius, der Hamlets Vater ermordet und sich dessen Thron samt Witwe unter den Nagel gerissen hat, Claudius in grüner Uniform mit vielen Orden an der Brust sieht aus wie ein Diktator vom schwarzen Kontinent. Auch wenn auf der Bühne weiterhin von "Dänemark" die Rede ist: In Simon Godwins Inszenierung spielt "Hamlet" irgendwo in Afrika.

Hamlet als ein Entwurzelter

Bei Shakespeare studiert Hamlet im protestantischen Wittenberg und kehrt zurück nach Helsingör, wo ihm der Geist seines toten Vaters von der sehr katholischen Einrichtung des Fegefeuers erzählt und einen altmodischen Racheauftrag auferlegt. Hamlets berühmtes Zaudern hat auch mit seiner Zerrissenheit zwischen alten und neuen Glaubensvorstellungen zu tun. Das Programmheft der Royal Shakespeare Company berichtet davon, wie während der britischen Kolonialzeit afrikanische Eliten ihre Sprösslinge gern zum Studium nach England schickten. Von dort kamen sie dann zurück in eine Heimat, die ihnen fremd geworden war. Zerrissene auch sie.
Darin liegt der Schlüssel zu Godwins Inszenierung: Er zeigt Hamlet als einen Entwurzelten, der das alte Abschütteln will, ohne davon ganz los- und im Neuen angekommen zu sein. Die Übertragung der Handlung von Dänemark nach Afrika funktioniert dabei erstaunlich gut. Unproblematisch ist sie gleichwohl nicht, weil Simon Godwin kein Afrika-Klischee auslässt. Das beginnt mit der scheinbar unvermeidlichen Trommelmusik und hört mit dem nebelumwaberten Auftritt des Vatergeistes noch lange nicht auf, der in seinem scheckigen Wallegewand an einen Voodoo-Priester erinnert.
Auf deutschen Bühnen sind vor wenigen Jahren erst die sogenannten Post-Migranten angekommen, die Kinder und Kindeskinder von Einwanderern, die das Theater lange Zeit ignoriert hat. In England, mit seiner viel weiter zurückreichenden multikulturellen Geschichte, muss man wohl eher von Post-Postmigranten reden. Wenn der ghanaisch-stämmig Pappa Essiedu nun also den Hamlet bei der RSC beinahe als modernen Hipster spielt und die Figur phasenweise ganz nah an unsere Hier und Heute heranzieht, wundert man sich schon, wie das damit zusammengehen soll, wenn die Regie behauptet, in diesem jungen Mann würde zugleich noch das alte Afrika toben.

Zwiespältiges Für und Wider

Die Frage ist also: Reflektiert Godwin den klischierten weißen Blick auf Afrika - oder reproduziert er ihn nicht viel mehr? Für Letzteres spricht die Afrika-Folklore, die der Regisseur bedient. Entlastend wirkt hingegen, dass er die überhebliche, weiße Position kritisch in den Figuren von Rosencrantz und Guildenstern mitinszeniert. Hamlets Kommilitonen werden als einzige von weißen Darstellern verkörpert. Wie Touristen kommen sie am Hof von Claudius an und verteilen erstmal Shortbread, als gelte es Eingeborene mit den Segnungen europäischer Backkunst zu beglücken. In diesem Für und Wider hinterlässt die Inszenierung einen zwiespältigen Eindruck. Wozu letztlich auch Hauptdarsteller Pappa Essiedu beiträgt.
Während er im Dialog mit seinen Mitspielern Shakespeares Verse geradezu hinreißend vergegenwärtigt, verfällt er in Hamlets Monologen immer wieder in tremolierendes Pathos. Das ist leider ganz alte Royal-Shakespeare-Schule. Wie die Inszenierung überhaupt eine Ehrfurcht vor dem Text erkennen lässt, die im angelsächsischen Theater nach wie vor verbreitet ist, während das deutsche Regietheater sie längst abgelegt hat. Die dezidiert eigene Lesart Simon Godwins zeigt sich allein an der konsequenten Besetzungsidee. Die aber bietet genug Reibungsfläche. Weshalb dieser Jubiläums-"Hamlet" die Auseinandersetzung lohnt. Als Beitrag zur Denkmalpflege lässt es sich jedenfalls nicht so ohne Weiteres abtun.

Hamlet
Von William Shakespeare
Regie: Simon Godwin
Premiere am 22.3. im Royal Shakespeare Theatre in Stratford-upon-Avon

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