Ruanda

Die Stimme des Völkermords

Fotos zeigen in Ruandas Hauptstadt Kigali Opfer des Genozids.
Fotos zeigen in Ruandas Hauptstadt Kigali Opfer des Genozids. © picture alliance / dpa / Dai Kurokawa
Von Frank Kaspar |
In seinem Buch zeigt der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau, wie der Radiosender RTLM den Völkermord in Ruanda in einer monatelangen Hetzkampagne vorbereitete - und wirft wichtige Fragen an die internationale Gemeinschaft auf.
Mit Popmusik und rassistischer Hetze fachte der Radiosender RTLM 1994 den Völkermord in Ruanda an. Der Regisseur Milo Rau griff die Geschichte des Senders in seinem Theaterstück "Hate Radio" auf und präsentiert nun in einem Buch Dokumente zu den Hintergründen des Genozids, dem die Weltgemeinschaft tatenlos zusah.
1994 fand in Ruanda ein Völkermord statt. Innerhalb von drei Monaten wurden zwischen 800.000 und einer Million Angehörige der Tutsi-Minderheit umgebracht. Unter dem Vorwand, die von Exil-Tutsi gegründete Rebellen-Armee FPR und ihre Kollaborateure zu bekämpfen, griffen das Militär und Milizen der regierenden Hutu-Partei die eigene Bevölkerung an. Im Radio wurden die Hörer aufgefordert, sich mit Macheten und Knüppeln zu bewaffnen und alle Tutsi zu töten.
In seinem Buch "Hate Radio" zeigt der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau, wie der Sender "Radio Télévision Libre des Milles Collines" (RTLM) den Völkermord in einer monatelangen Hetzkampagne vorbereitete und befeuerte. Rau versammelt Interviews mit Zeugen sowie Essays von Medien- und Politik-Experten. Der kanadische Historiker Frank Chalk erklärt, wie RTLM mit Sportreportagen und internationaler Popmusik den Nerv eines jungen Publikums traf.
Der Schweizer Regisseur und Autor Milo Rau.
Der Schweizer Regisseur und Autor Milo Rau.© picture alliance / ZB / Michael Reichel
RTLM gab sich humorvoll, modern und interaktiv, ganz anders als das Staatsradio, das lange Pamphlete und einseitige Berichte ausstrahlte. Internationale Beobachter waren begeistert, nach der Einführung des Mehrparteiensystems schien Anfang der 1990er-Jahre auch die Medienlandschaft in Ruanda vielstimmiger zu werden. Doch gerade im Übergang zur Demokratie seien autoritäre Gesellschaften und ihre Medien besonders anfällig für Rassenhass und Gewaltexzesse, warnt Chalk.
Analyse der Schlüsselbegriffe des Genozids
Die ruandische Sprachwissenschaftlerin Assumpta Mugiraneza analysiert die Schlüsselbegriffe des Genozids. Codierte Wörter wie "Kakerlake" für Tutsi und "Arbeiten" für Massakrieren und Umbringen waren Eingeweihten sofort verständlich, wurden vom Ausland aber viel zu spät registriert, zumal die Hetze zunächst nur in der Landessprache Kinyarwanda stattfand. Das gesprochene Wort stehe in Ruanda im Zentrum der Kultur, schreibt Mugiraneza. Viele Menschen seien Analphabeten, weshalb RTLM enormen Einfluss gewann.
Milo Rau hat dem "Hate Radio" bereits ein Theaterstück gewidmet. Auf der Bühne zeigte er, wie RTLM die Verstecke von angeblichen Tutsi-Rebellen bekannt gab und seine Hörer zum Töten aufrief. Überlebende des Völkermords schlüpften in die Rolle der Agitatoren, darunter der ruandische Schauspieler und Regisseur Dorcy Rugamba, der damals fast alle Verwandten verlor. In seinem Buchbeitrag schildert Rugamba Ausgrenzungen und Gewaltbereitschaft unter ruandischen Studenten im Vorfeld des Genozids.
Das vor allem von Anteilseignern aus der regierenden Hutu-Partei finanzierte Privatradio RTLM war Teil einer umfassenden Propaganda-Strategie. Unterstützung erhielt es aber auch von Entwicklungshilfe-Organisationen, unter anderem aus Deutschland und der Schweiz. Milo Raus kompaktes und facettenreiches Buch wirft wichtige Fragen an die internationale Gemeinschaft auf, die 1994 sehr wohl über den Genozid informiert war, aber die Menschen kläglich im Stich ließ – mit fatalen Folgen bis heute für das von Nachfolgekonflikten zerrüttete Nachbarland Kongo.

Milo Rau: "Hate Radio"
Verbrecher Verlag, Berlin 2014
256 Seiten, 18 Euro

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