Ruben Östlund zu "Triangle of Sadness"

Auf der Luxusjacht über Marxismus diskutieren

11:16 Minuten
Eine junge Frau und ein junger Mann liegen mit Badebekleidung auf Liegestühlen am Meer.
Charlbi Dean und Harris Dickinson als Influencer-Pärchen in "Triangle of Sadness". Foto: Ruben Östlund / Triangle of Sadness © Triangle of Sadness/Ruben Östlund
Moderation: Susanne Burg · 28.05.2022
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Ruben Östlunds neuer Film "Triangle of Sadness" spielt in der Modewelt und dem Universum der Schönen und Reichen. Der Schwede liebt es, Fragen zu Marxismus und Kapitalismus zu platzieren – im Film ebenso wie beim Filmfestival in Cannes.
Zielgeraden beim 75. Filmfestival in Cannes: 21 Filme befinden sich im Rennen um die Goldene Palme, darunter auch „Triangle of Sadness“ von Ruben Östlund.
Östlund hat 2017 bereits eine Goldene Palme gewonnen für sein satirisches Drama „The Square“, das in der Kunstszene spielt. Sein neuer Film „Triangle of Sadness“ spielt in der Welt der Mode und der Schönen und Reichen.
Im Zentrum steht das Paar Yaya und Carl: Beide sind Models, beide wissen, dass ihre Schönheit ihr Kapital ist, beide spielen erfolgreich damit – auch auf in sozialen Medien. Im zweiten Teil des Filmes lassen sie sich auf eine Luxusjacht einladen, auf der vieles schiefgeht.
Der Film wirft Fragen zu dem Universum der Mode- und Luxuswelt auf, etwa wie Körper zu Kapital stehen und was der Kapitalismus mit dem gesellschaftlichen Gefüge anstellt. Der Welt der Reichen und Schönen wird im Laufe des Filmes der schöne Schleier entrissen und dahinter lässt der schwedische Regisseur ziemliche Fratzen hervorgucken. Der Premierenort Cannes wirft auf der Metaebene interessante Fragen auf.

Marxistische Theorie in Cannes präsentieren

Susanne Burg: Wie stimmig war es für Sie, Herr Östlund, dass "Triangle of Sadness" ausgerechnet hier in Cannes Premiere feiert, im Epizentrum der Jachten und der Schönen und der Reichen.
Ruben Östlund: „Triangle of Sadness“ spielt in der Modewelt und auf einer Luxusjacht. Es gibt Models. Am Ende landen sie auf einer verlassenen Insel und alle alten Hierarchien sind weg und neue entstehen: eine Frau, die auf der Jacht als Reinigungskraft gearbeitet hat, steht jetzt oben in der Hierarchie, weil sie angeln und Feuer machen kann.
Es war toll, dass wir die Premiere in Cannes vor einem Publikum in Smokings und Abendkleidern hatten: Es hat mich gefreut, sie mit dem Film ein bisschen in die Enge zu treiben und sie und mich zu zwingen, Fragen zu stellen, Themen wie Hierarchie und Schicht zu diskutieren, uns ein bisschen an marxistische Theorie zu erinnern und zu lachen, auch über uns selbst. Es war also eine kleine Achterbahnfahrt mit Diskussion.

Systemfragen statt Charakterfragen

Burg: Es ist auch ein Film, in dem es um ein geschlossenes System geht. Es ist die Modewelt beziehungsweise die Welt der Reichen und Schönen. In „The Square“ ging es um die Kunstwelt. Ihre Figuren agieren in diesen Systemen. Was interessiert Sie an diesem Ansatz?
Östlund: Wir leben in einer Zeit, in der wir dazu tendieren, alle Probleme auf eine sehr individualisierte Art und Weise zu erklären. Individuen stehen stellvertretend für ein Problem. Das heißt, wenn wir das Individuum ändern, das etwas falsch macht, oder wenn wir den bösen und gierigen Kapitalisten an der Spitze entfernen, dann können wir das System beibehalten.
Gesellschaftliche Probleme werden so auf einzelne Menschen heruntergebrochen, statt den Kontext zu sehen und im Fall des Kapitalisten eine materialistische Perspektive einzunehmen. Was passiert, wenn ein Milliardär sein ganzes Geld für wohltätige Zwecke spendet? Haben wir dadurch das Problem gelöst? Nein. Wir erklären die Welt auch häufig so, dass reiche Menschen egoistisch und oberflächlich sind und arme Menschen großzügig und spirituell. Das ist natürlich nicht wahr.
In den 60er-Jahren gab es viele Filme wie Luis Buñuels „Viridiana“, die uns sagten: „Wenn es um Klasse geht, folgt nicht solch dummen Erklärungsmustern. Sie stimmen nicht.“ Heute heißt es häufig: „Warum porträtiert ihr die armen Menschen auf so gemeine Art und Weise?“ Ich bin zumindest gerecht: Ich porträtiere alle Menschen als gemein. Ich behandele meine Figuren also gerecht.

Optimistischer Blick auf die Menschen

Burg: Das erinnert mich an einen Satz, der ganz am Anfang bei einer Modelshow im Hintergrund hängt: „Zynismus verkleidet als Optimismus“. Wie verhält sich Ihr Film zu diesem Satz? Man könnte meinen, Sie glauben nicht recht an Optimismus.
Östlund: Da stimme ich nicht zu. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich missverstanden werde. Ich bin ein missverstandener Künstler (lacht). Ich glaube, dieses Zitat „Zynismus verkleidet als Optimismus“ sagt etwas über unsere Zeit.
In der Werbung sieht man Slogans wie „Alle sind gleich“ oder „Stoppt den Klimawandel“ und gleichzeitig „Kaufe unser Produkt“. Ich habe mich wahnsinnig geärgert, als ich sah, wie Modelabels solche Phrasen benutzen. Im Film sehe ich das Verhalten der Figuren als Beispiel dafür. Ich sehe es nicht als meinen Standpunkt.
Ich habe einen sehr optimistischen Blick auf Menschen. Ich glaube, wir sind sehr interessiert daran, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen. In mancher Hinsicht hat uns der Kapitalismus dabei geholfen. Der Film ist Fiktion, inspiriert von soziologisch-experimentellen Ansätzen. Ich hoffe, dass die Menschen nicht die Figuren mit meiner Blickweise verwechseln.

Menschen in Extremsituationen

Burg:  Sie sagen, es ist ein soziologischer Ansatz. Sehr häufig werden Ihre Figuren in eine Extremsituation geworfen, in Ihrem Film „Höhere Gewalt“ ist das eine Schneelawine, hier der Unfall der Luxusjacht. Wenn es Ihnen um Systeme geht: Wie entwickeln Sie in diesem Zusammenhang Ihre Charaktere?
Östlund: Das ist eine interessante Frage. Denn wenn man in der Filmindustrie eine Figur auf konventionelle Weise entwickelt, dann beginnt man immer damit: Er oder sie wurde in diese oder jene Familie hineingeboren, dann passierte das und ein psychologischer Prozess schuf die Persönlichkeit der Figur – diese Eigenschaft behält die Figur im Film bei. Sie darf vielleicht gerade noch ein besserer Mensch werden.
Ich möchte, dass die Figuren sich immer zu dem materialistischen Rahmen verhalten, in dem sie sich bewegen. Zum Beispiel: Du bist Chef-Steward auf der Jacht und darfst nicht „Nein“ sagen, wenn ein Gast etwas will. Dann ist es wichtig, warum das so ist. Es liegt an dem extremen Servicegeist in der Industrie. Der schränkt deinen Handlungsraum ein.
Diese Situation bestimmt meine Figuren. In dem Fall die Chef-Stewardess auf der Jacht und die Frage, was mit ihr passiert, wenn sie auf der verlassenen Insel landet: Darf sie bestimmen, ist sie Opportunistin? Was sind da ihre Möglichkeiten?

Trilogie über Männlichkeit

Burg: Es ist interessant, wie Sie die Beziehung von Carl und Yaya entwickeln. Sie arbeiten auch Fragen danach ein, wie eine moderne Beziehung aussehen kann: Wie kann sich ein Mann in der heutigen Gesellschaft positionieren, wie kann er sich richtig verhalten? Was interessiert sie an Fragen der Männlichkeit in der heutigen Welt?
Östlund: Ich dachte mir schon bei „Höhere Gewalt“ und „The Square“, dass ich eine Trilogie machen möchte, die Männlichkeit zum Thema hat. Es ist interessant, die Männerfiguren in allen drei Filmen zu vergleichen. Dass ich mich damit auseinandersetze, liegt vor allem daran, dass ich selbst ein Mann bin. Wenn ich schreibe, benutze ich gern Situationen, die ich selbst erfahren habe. Die Szene, in der Yaya und Carl darüber streiten, wer die Rechnung zahlt, stammt direkt aus meinem Leben.
Wenn Sie heute ins Hotel Martinez in Cannes gehen, finden Sie wahrscheinlich noch immer einen 50-Euro-Schein im Fahrstuhl. Ich hatte vor fünf Jahren einen Streit mit meiner Frau und war so sauer, dass ich einen 50-Euro-Schein in den Fahrstuhl steckte und schrie: „Es geht mir nicht ums Geld. Ich will, dass wir gleichberechtigt sind.“

Diskussionen um Marxismus und Kapitalismus

Burg: Wenn Sie sagen, dass Dialoge häufig aus dem realen Leben stammen, wie passt eine andere sehr lustige Szene in diesen Rahmen: Der Dialog zwischen dem Kapitän auf der Jacht, gespielt von Woody Harrelson, und einem russischen Oligarchen, die über die Lautsprecheranlage über Marxismus und Kapitalismus diskutieren, während ein Sturm und Chaos auf der Jacht herrscht.
Mehrere Menschen stehen im Freien und schreien in Richtung Kamera. Zum Teil ballen sie die Faust.
Ruben Östlund, ganz rechts, auf dem Fiilmfestival in Cannes. Neben ihm von links Jean-Christophe Folly. Vicki Berlin und Woody Harrelson© picture alliance / Invision / AP / Vianney Le Caer
Östlund: Ja, Woody Harrelson ist ein marxistischer Kapitän. Ich komme aus einer Familie, in der politische Diskussionen immer eine große Rolle spielten. Meine Mutter ist in den 60er-Jahren Sozialistin und Kommunistin geworden. Sie sieht sich noch immer als Kommunistin. Mein Bruder ist jetzt ein sehr rechter Konservativer. Wir haben immer sehr diskutiert.
Ich habe mir dann auch Zitate von Ronald Reagan durchgelesen. Er ist ziemlich lustig. Er sagte Sätze wie: „Sozialismus funktioniert nur im Himmel, wo sie ihn nicht brauchen. Und in der Hölle, wo sie ihn bereits haben." Ich wollte diese Zitate benutzen. Wenn der Kapitän mit dem russischen Oligarchen trinkt, werfen sie sich diese Zitate an den Kopf und lachen.
Ich bin in den 80er-Jahren groß geworden, als die beiden Ideologien - Kapitalismus und Kommunismus - ständig gegeneinander antraten. Ich dachte bis vor kurzem, dass wir diese Polarisierung hinter uns haben. Aber da die Menschen gern vereinfachen, nehmen sie nicht das Beste aus beiden Welten, sondern es wird zu einem ideologischen Kampf. Der Kapitän und der Russe stehen ein bisschen für diese Haltung.

Oligarchen und ihre Jachten

Burg: Es gibt derzeit geopolitische Entwicklungen, die einen weiteren interessanten Blick auf den Film werfen lassen: Der russische Oligarch will die Jacht kaufen und das in einer Zeit, in der viele Jachten russischer Oligarchen beschlagnahmt wurden.
Östlund: Ja, die Tragik dessen, was gerade passiert und wie wir plötzlich wieder anfangen, alles von einer östlichen und westlichen Perspektive zu sehen, hat den Film plötzlich sehr aktuell gemacht. Plötzlich haben wir sehr viel über russische Oligarchen und ihre Jachten diskutiert. Für mich war es wichtig, sie nicht als unsympathisch darzustellen. Er und der Brite, der Handgranaten und Landminen verkauft, sollte nicht gemeiner rüberkommen als die anderen Figuren.

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