Rudolf Carnap zum 50. Todestag

Zwischen Logik und Musik

04:58 Minuten
Rudolf Carnap (1891 - 1970). Amerikanischer Philosoph, deutscher Herkunft.
Lebensreform durch Abstraktion: Rudolf Carnap, vor 50 Jahren verstorben, pflegte eine Art philosophischen Bauhausstil. © Getty Images / Photo 12
Von Luca Rehse-Knauf · 13.09.2020
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Manche Philosophen wären besser zum Musiker geeignet, so dachte Rudolf Carnap – und verband damit eine rigorose Kritik des spekulativen Denkens. Vor 50 Jahren ist der analytische Philosoph gestorben.
Für Rudolf Carnap machte Mozart etwas richtig, das viele Philosophen falsch machten: Er drückte sein Lebensgefühl musikalisch aus. Viele der großen, schwer lesbaren Philosophen à la Hegel und Heidegger schienen ähnlich inspiriert, so Carnap, von einem Gefühl, einer Empfindung, drückten dies aber durch das falsche Medium aus: die Philosophie.

Lieber Musik als Metaphysik

Und diese Kritik an der sogenannten Metaphysik, der Disziplin, die sich an Begriffen wie Gott, dem Sein und dem Absoluten abarbeitet, zieht sich durch Carnaps ganze Biografie. Er will die Philosophie unbedingt als Wissenschaft verstanden wissen, so Carnap-Forscher Christian Damböck von der Universität Wien:
"Was er dann sagt, ist, dass die Metaphysiker in gewissem Sinn schlechte Dichter oder auch schlechte Musiker sind. Und nur weil sie da sozusagen in das falsche Gebiet hineingehen, ist das, was sie machen, abzulehnen. Wenn das ein Dichter machen würde – und er nennt dann als Beispiel den Nietzsche –, dann wäre es in Ordnung, Metaphysik zu betreiben. Aber man müsste dann klar sagen: Das, was ich hier jetzt mache, ist nicht mehr Philosophie oder Wissenschaft, das ist Dichtung."
Viele Probleme der traditionellen Philosophie sind demnach für Carnap bloße Scheinprobleme. In seinem ersten Hauptwerk "Der Logische Aufbau der Welt" von 1928 versucht er die traditionelle Debatte um die Erkenntnis der Welt neuartig aufzurollen. Sehr vereinfachend könne man sagen: Ausgehend von der sinnlichen Erfahrung soll mit Hilfe logischer Regeln die Welt wissenschaftlich dargestellt werden, erklärt Elke Brendel, Professorin für Logik an der Universität Bonn.
"Da entwirft Carnap mit logischen und mathematischen Mitteln - er nennt es - 'Konstitutionssysteme', in denen er versucht, wirklich alle Begriffe des menschlichen Wissens systematisch miteinander zu verbinden und auf eine bestimmte begriffliche Basis zurückzuführen."

Philosophie als Lebensreform

Dieses Vorhaben ist sehr theoretisch, hat aber durchaus lebensweltliche Auswirkungen. Der streng rationale Ansatz hat das Potenzial, das gesellschaftliche Leben zu verbessern. Es sind die Ziele, die in der Kunst der Bauhausstil verfolgt, so Christian Damböck:
"In gewissem Sinn versucht Carnap das, was Kandinsky beispielsweise in der Malerei macht oder Le Corbusier in der Architektur, nämlich diese Reduktion auf abstrakte Formen, auf abstrakte Zusammenhänge, in der Philosophie umzusetzen. Aber natürlich auch, was diese Lebensreform betrifft: Im Bauhaus war das ja genuin so, dass man diesen Hang zur Abstraktion nicht als Selbstzweck verstanden hat, sondern als eine lebensreformerische Angelegenheit."

In der Logik gibt es keine Moral

Später wendet sich Carnap der Sprache zu. Er formuliert sein Toleranzprinzip. Dieses besage, einfach formuliert, dass man über etwas reden könne, wie man wolle, man müsse vorher nur erklären, wie man es tue, erklärt Christian Damböck:
"In der Logik gibt es keine Moral. Das heißt, es gibt nicht eine Festlegung, sondern wir sind da völlig offen. Solange es konsistent ist, haben wir da jeden erdenklichen Spielraum. Und das betrifft dann eine ganze Menge von Dingen. Es betrifft die Wahl der Logik – und es betrifft insbesondere natürlich auch die Wahl der moralischen Werte."

Rigoroser Denker, auch im Privaten

Die strenge Rationalität, mit der Carnap seine Ideen vollzog, ließ sich laut Berichten auch in seinem Charakter wiederfinden. So erzählte seine Freundin Maria Reichenbach, dass er, als sie ihn einmal zu einer harmlosen Notlüge aufforderte, antwortete: "Maria, du hast einen kriminellen Charakter."
Rudolf Carnap beschäftigte sich nach seinem Sprachprojekt weiterhin mit künstlichen Sprachen wie dem Esperanto, mit induktiver Logik und Wahrscheinlichkeitstheorie. Vor dem Hintergrund des aufkommenden Faschismus emigrierte Carnap, der zum linken Flügel des Wiener Kreises gehörte und sich als Pazifist und Antimilitarist bezeichnete, in die USA.
Sein rigoroses Denken ist nach wie vor lesenswert. Und wenn man es mal gefühliger will, gibt es ja immer noch Mozart.
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