Rudolf Egg: Die Unheimlichen Richter. Wie Gutachter die Strafjustiz beeinflussen
C. Bertelsmann Verlag, München 2015
288 Seiten, 17,99 Euro
Die Macht der Gutachter vor Gericht
Kriminalpsychologe Rudolf Egg gibt in seinem Buch "Die unheimlichen Richter" Einblick in die verschlossene Welt der Gerichtsgutachter - und beklagt die unheilige Allianz zwischen Gutachter und Gericht. Leider wird daraus keine übergreifende Analyse. Trotzdem ist das Buch lesenswert.
Kachelmann, Breivik, Mollath - in jedem dieser Kriminalfälle hat ein umstrittenes Gutachten eine wichtige Rolle gespielt, wie das Buch "Die unheimlichen Richter" zeigt. Ein Buch, das Antwort auf die Frage verspricht, ob heute nicht die Gerichts-Psychiater und Psychologen , das Urteil sprechen - und nicht mehr die Richter selbst. Autor ist der Kriminalpsychologe Rudolf Egg. Und er weiß, wovon er spricht: Egg hat selbst lange als Gutachter bei Gericht gearbeitet und die "Kriminologische Zentralstelle des Bundes und der Länder" geleitet.
Folgerichtig berichtet er von seinen eigenen Erfahrungen, allerdings ohne das Gutachterwesen insgesamt kritisch in den Blick zu nehmen. Das ist auch schwierig, weil die Gutachter selten weiß, was aus ihren Empfehlungen und dem untersuchten Menschen tatsächlich wird. Wo aber ein Feedback fehlt wird es schwer, die Qualität von Gutachten zu überprüfen.
Egg schreibt nicht über glamouröse Gentlemen-Verbrecher
Diese fehlende Rückkopplung ist eine überraschende Information, und wegen solcher Einblicke in die verschlossene Welt der Gutachter lohnt sich die Lektüre dann eben doch. Rudolf Egg erzählt von konkreten Schicksalen, von Menschen, die aus Not lügen und damit andere gefährden, von Intensivtätern, die es irgendwann schaffen, ein geregeltes Leben zu führen und von anderen, die trotz einer (fehl gerichteten) Therapie rückfällig werden und töten.
Diese Berichte haben vielleicht nicht die literarische Kraft eines Ferdinand von Schirach, aber sie gewähren Einblicke in Lebenswelten, die sonst meist durch das Raster fallen. Es sind eben nicht die glamourösen Gentlemen-Verbrecher, mit denen sich Gutachter meist beschäftigen müssen, sondern eher Verlegenheitstäter, für die Verbrechen eher eine Art Notlösung ist.
Egg zieht aus diesen Berichten keine allgemeine Lehren, aber er nutzt sie, um bestimmte Aspekte näher zu beleuchten: Wie erkennt man Lügen? Nicht am Gesichtsausdruck, sondern an der Gradlinigkeit der Aussagen, am Fehlen von Details. Oder wie können zwei Gutachter Andres Breivik völlig gegensätzlichen einschätzen? Weil, so Egg, Wissenschaft auf Vergleichsdaten beruht, die aber bei solch einzigartigen Verbrechen oft fehlen. Und sind Gutachten nach Aktenlage erlaubt? Eigentlich nicht, erklärt der Autor, da hat der Bundesgerichthof höhere Standards festgelegt. Aber wenn die Person das Gespräch verweigert, bleibt einem Gutachter oft nichts anders übrig.
Fallgeschichten machen das Alltagsgeschäft der Gutachter deutlich
Rudolf Egg zitiert die genauen Gesetzestexte, die für Gutachten entscheidend sind. Er liefert Einschätzungen zu Fällen, die für Schlagzeilen gesorgt haben und beklagt an mehreren Stellen eine unheilige Allianz zwischen Gutachter und Gericht. Die einen versuchen unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit das Urteil vorwegzunehmen und die anderen greifen das bereitwillig auf, weil sie froh sind, schwierige Entscheidung nicht selbst fällen zu müssen.
Genau diesen Aspekt ausführlicher zu beleuchten, verpasst Rudolf Egg leider. Eine übergreifende Analyse wäre wünschenswert gewesen. Dass sein Buch sich dennoch lohnt, liegt an den Fallgeschichten, die das Alltagsgeschäft eines Gutachters ausführlich beleuchten und Einblicke gewähren, die Laien oft verborgen bleiben.