Autor: Holger Siemann
Sprecherin und Sprecher: Frauke Poolmann, Maximilian Held und Holger Siemann
Ton: Jan Fraune
Regie: Friederike Wigger
Redaktion: Winfried Sträter
Die Geschichte eines deutschen Verlegers
30:09 Minuten
Rudolf Mosse gründete das Berliner Tageblatt, war Pazifist und Kunstsammler. Berlin hat dem Verleger und Mäzen sehr viel zu verdanken. Doch die Geschichte der jüdischen Familie ist heute kaum noch bekannt.
"Mosse ist definitiv ungewöhnlich. Es ist einer der ungewöhnlichsten und vielleicht sogar wichtigsten Namen, die in die deutsche Geschichte zurückzuschreiben sind. Das ist ein langfristiges Projekt. Ich hoffe, meine Kinder dafür zu interessieren", sagt Roger Strauch über den Verleger Rudolf Mosse.
Meike Hoffmann ergänzt: "Man sollte gar nicht glauben, wie viele Details es in der Geschichte des Dritten Reichs dann doch noch aufzuklären gibt. Man sagt und liest immer: Diese zwölf Jahre sind eigentlich die, die am besten aufgearbeitet sind. Das halte ich wirklich nicht für richtig, so etwas zu behaupten. Zumindest aus meinem Bereich kann ich sagen, dass wir da noch wahnsinnig viel nachzuholen haben und zu recherchieren haben."
"Wahrscheinlich, wie er politisch gedacht hat, der Rudolf Mosse. Das wäre gar nicht etwas gewesen, das ich gut gefunden hätte. Darum geht es nicht, sondern es geht einfach darum, dass er verschwunden ist, ja, dass man nicht mehr sieht, dass er da gewesen ist. Und das haben die Nazis gemacht. Das ist etwas, was man sozusagen wieder sichtbar machen muss", sagt Jonas Länge.
Vor einigen Jahren studierte ich bei Recherchen für mein neues Buch einen Berliner Stadtplan von 1925. Eigentlich kannte ich mich in meinem Kiez ganz gut aus, deshalb war ich doch ziemlich verwundert, als ich eine Rudolf-Mosse-Straße im Jahnsportpark entdeckte. Dort lief ich täglich meine Runden, aber wo die Straße hätte sein sollen, gab es nur Zäune, Sport- und Spielplätze und einen Wohnblock aus den 50ern.
Niemand in meiner Nachbarschaft hatte jemals von einer Rudolf-Mosse-Straße im Prenzlberg gehört.
Meike Hoffmann ergänzt: "Man sollte gar nicht glauben, wie viele Details es in der Geschichte des Dritten Reichs dann doch noch aufzuklären gibt. Man sagt und liest immer: Diese zwölf Jahre sind eigentlich die, die am besten aufgearbeitet sind. Das halte ich wirklich nicht für richtig, so etwas zu behaupten. Zumindest aus meinem Bereich kann ich sagen, dass wir da noch wahnsinnig viel nachzuholen haben und zu recherchieren haben."
"Wahrscheinlich, wie er politisch gedacht hat, der Rudolf Mosse. Das wäre gar nicht etwas gewesen, das ich gut gefunden hätte. Darum geht es nicht, sondern es geht einfach darum, dass er verschwunden ist, ja, dass man nicht mehr sieht, dass er da gewesen ist. Und das haben die Nazis gemacht. Das ist etwas, was man sozusagen wieder sichtbar machen muss", sagt Jonas Länge.
Vor einigen Jahren studierte ich bei Recherchen für mein neues Buch einen Berliner Stadtplan von 1925. Eigentlich kannte ich mich in meinem Kiez ganz gut aus, deshalb war ich doch ziemlich verwundert, als ich eine Rudolf-Mosse-Straße im Jahnsportpark entdeckte. Dort lief ich täglich meine Runden, aber wo die Straße hätte sein sollen, gab es nur Zäune, Sport- und Spielplätze und einen Wohnblock aus den 50ern.
Niemand in meiner Nachbarschaft hatte jemals von einer Rudolf-Mosse-Straße im Prenzlberg gehört.
Von Beginn an ein erfolgreicher Verleger
Rudolf Mosse. wurde am 8. Mai 1843 in der preußischen Provinz Posen geboren. 1867 etablierte er in der Berliner Friedrichstraße eine Zeitungs-Annoncen-Expedition, die schnell wuchs. Ab 1871 gründete und kaufte er zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften, die seinen Verlag zum wichtigsten Sprachrohr des liberalen und demokratischen Bürgertums im Kaiserreich machten.
Ich erinnerte mich an eines meiner Schulbücher mit Fotos vom Spartakusaufstand im Berliner Presseviertel. Hinter riesigen Papierrollen war die Fassade des Mosse-Druckhauses mit Einschusslöchern zu sehen.
Die Mosses zählten zu den Spitzenverdienern in Preußen. Einen großen Teil ihres Einkommens spendeten Rudolf und seine Frau Emilie Mosse für soziale Einrichtungen wie Waisenhäuser, Lehrlingswohnheime und Mädchenhorte. Außerdem förderten sie Schriftsteller und bildende Künstler und trugen eine der bedeutendsten Kunstsammlungen ihrer Zeit zusammen, die sie im Mosse-Palais am Leipziger Platz öffentlich zugänglich machten. Die Zeitgenossen nannten das Palais respektvoll "Mosseum".
"Es gibt Werke von Menzel, Liebermann habe ich eben genannt, von Böcklin, von Lovis Corinth, von Wilhelm Leibl. Wir haben alle diese großen Namen dabei, und wir haben auch wunderbare Werke darunter."
Ich treffe die Provenienzforscherin Meike Hoffmann in ihrem Büro an der Freien Universität Berlin. Hinter ihr hängt ein Grundriss des alten, im Krieg zerstörten Mosse-Palais am Leipziger Platz.
"Das war das mondäne Berlin. Nebenan war das große Kaufhaus Wertheim. Ja, da spielte sich das gesellschaftliche Leben ab, und hinten die Hof-Ausrichtung zur Voss-Straße. Das war schon das Regierungsviertel, denn hier lag ja schräg gegenüber auch die Kanzlei und nachher die Neue Reichskanzlei. Das ist also auch ganz interessant, dass Mosse sich dieses Grundstück ausgesucht hat. Das stellt natürlich auch seinen Status, seinen Selbst-Anspruch dar als Vertreter der Wirtschaftselite, der ja auch tatsächlich für eine konstitutive Monarchie gekämpft hat, also Mitspracherecht der Bürger Berlins und Übernahme der Verantwortung und gesellschaftlichen Pflichten. Dafür ist er eingetreten, und das wollte er auch erreichen. Also kein Kaisertreuer."
Rudolf Mosse war nicht der einzige in der Familie, der sich gesellschaftlich engagierte – und die Straße im Sportpark nicht die einzige, die nach ihm benannt wurde. Bruder Albert wurde Ehrenbürger in Berlin, Neffe Max begründete die moderne Sozialpädiatrie in Deutschland, Martha Mosse wurde erste weibliche Polizeirätin in Preußen.
Ich erinnerte mich an eines meiner Schulbücher mit Fotos vom Spartakusaufstand im Berliner Presseviertel. Hinter riesigen Papierrollen war die Fassade des Mosse-Druckhauses mit Einschusslöchern zu sehen.
Die Mosses zählten zu den Spitzenverdienern in Preußen. Einen großen Teil ihres Einkommens spendeten Rudolf und seine Frau Emilie Mosse für soziale Einrichtungen wie Waisenhäuser, Lehrlingswohnheime und Mädchenhorte. Außerdem förderten sie Schriftsteller und bildende Künstler und trugen eine der bedeutendsten Kunstsammlungen ihrer Zeit zusammen, die sie im Mosse-Palais am Leipziger Platz öffentlich zugänglich machten. Die Zeitgenossen nannten das Palais respektvoll "Mosseum".
"Es gibt Werke von Menzel, Liebermann habe ich eben genannt, von Böcklin, von Lovis Corinth, von Wilhelm Leibl. Wir haben alle diese großen Namen dabei, und wir haben auch wunderbare Werke darunter."
Ich treffe die Provenienzforscherin Meike Hoffmann in ihrem Büro an der Freien Universität Berlin. Hinter ihr hängt ein Grundriss des alten, im Krieg zerstörten Mosse-Palais am Leipziger Platz.
"Das war das mondäne Berlin. Nebenan war das große Kaufhaus Wertheim. Ja, da spielte sich das gesellschaftliche Leben ab, und hinten die Hof-Ausrichtung zur Voss-Straße. Das war schon das Regierungsviertel, denn hier lag ja schräg gegenüber auch die Kanzlei und nachher die Neue Reichskanzlei. Das ist also auch ganz interessant, dass Mosse sich dieses Grundstück ausgesucht hat. Das stellt natürlich auch seinen Status, seinen Selbst-Anspruch dar als Vertreter der Wirtschaftselite, der ja auch tatsächlich für eine konstitutive Monarchie gekämpft hat, also Mitspracherecht der Bürger Berlins und Übernahme der Verantwortung und gesellschaftlichen Pflichten. Dafür ist er eingetreten, und das wollte er auch erreichen. Also kein Kaisertreuer."
Rudolf Mosse war nicht der einzige in der Familie, der sich gesellschaftlich engagierte – und die Straße im Sportpark nicht die einzige, die nach ihm benannt wurde. Bruder Albert wurde Ehrenbürger in Berlin, Neffe Max begründete die moderne Sozialpädiatrie in Deutschland, Martha Mosse wurde erste weibliche Polizeirätin in Preußen.
Nach allem, was ich bisher über die Mosses erfahren habe, müsste der Name berühmt sein wie die Flicks, Karstadts oder Weizsäckers, aber es gibt einen wesentlichen Unterschied: Die Familie Mosse war jüdisch.
Als Vorsitzende der Jüdischen Reformgemeinde zu Berlin bekannten sich Rudolf Mosse und sein Nachfolger Lachmann-Mosse zur Gleichberechtigung der Geschlechter, zum interreligiösen Dialog und zur demokratischen Mitbestimmung in der Gemeinde. Sie sahen sich und das deutsche Judentum als legitimen und – in Entgegnung auf antisemitische Verleumdungen – vielleicht sogar besonders produktiven Teil der deutschen Kultur.
"Er hat auch selbst enge Kontakte zu Künstlern gehabt, hat Arbeiten in Auftrag gegeben, häufig auch, um die Künstler zu unterstützen, hat dann tatsächlich die beliebtesten Gemälde gewählt, die es auch in anderen Versionen schon gab, sodass man eben das Bild gewinnen kann, dass Rudolf Mosse aus seinem Selbstverständnis heraus, aus seiner Verantwortung der Gesellschaft gegenüber als Teil der Wirtschaftselite, des reichen Bürgertums, dass man so auch seine Kunstsammlung eigentlich verstehen kann.
Er hat ja dann auch sehr schnell seine Kunstsammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt oder öffentlich zugänglich gemacht. So müsste man das betonen. Daran war ihm sehr gelegen. Genauso seine große, umfangreiche Bibliothek, auch die durfte von Wissenschaftlern frei genutzt werden. Das war ihm ein ganz wichtiger Aspekt."
Der Katalog dieser Bibliothek erzählt von Mosses liberaler und pazifistischer Grundeinstellung. Zu deren Bestand gehörten Bücher der Freundin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha Suttner, und die 1913 erworbene Bibliothek des einstigen Rektors der Friedrich-Wilhelms-Universität Erich Schmidt, bei dem Gertrud Bäumer als eine der ersten Frauen Deutschlands promovierte.
Bei der Online-Recherche im Berliner Tageblatt fand ich unter dem Datum vom 8. Mai 1913 ein Glückwunschschreiben des Magistrats zum 70. Geburtstag Rudolf Mosses mit einem ersten Hinweis, warum die Straße in meinem Berliner Kiez nach Rudolf Mosse benannt worden war.
Als Vorsitzende der Jüdischen Reformgemeinde zu Berlin bekannten sich Rudolf Mosse und sein Nachfolger Lachmann-Mosse zur Gleichberechtigung der Geschlechter, zum interreligiösen Dialog und zur demokratischen Mitbestimmung in der Gemeinde. Sie sahen sich und das deutsche Judentum als legitimen und – in Entgegnung auf antisemitische Verleumdungen – vielleicht sogar besonders produktiven Teil der deutschen Kultur.
"Er hat auch selbst enge Kontakte zu Künstlern gehabt, hat Arbeiten in Auftrag gegeben, häufig auch, um die Künstler zu unterstützen, hat dann tatsächlich die beliebtesten Gemälde gewählt, die es auch in anderen Versionen schon gab, sodass man eben das Bild gewinnen kann, dass Rudolf Mosse aus seinem Selbstverständnis heraus, aus seiner Verantwortung der Gesellschaft gegenüber als Teil der Wirtschaftselite, des reichen Bürgertums, dass man so auch seine Kunstsammlung eigentlich verstehen kann.
Er hat ja dann auch sehr schnell seine Kunstsammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt oder öffentlich zugänglich gemacht. So müsste man das betonen. Daran war ihm sehr gelegen. Genauso seine große, umfangreiche Bibliothek, auch die durfte von Wissenschaftlern frei genutzt werden. Das war ihm ein ganz wichtiger Aspekt."
Der Katalog dieser Bibliothek erzählt von Mosses liberaler und pazifistischer Grundeinstellung. Zu deren Bestand gehörten Bücher der Freundin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha Suttner, und die 1913 erworbene Bibliothek des einstigen Rektors der Friedrich-Wilhelms-Universität Erich Schmidt, bei dem Gertrud Bäumer als eine der ersten Frauen Deutschlands promovierte.
Bei der Online-Recherche im Berliner Tageblatt fand ich unter dem Datum vom 8. Mai 1913 ein Glückwunschschreiben des Magistrats zum 70. Geburtstag Rudolf Mosses mit einem ersten Hinweis, warum die Straße in meinem Berliner Kiez nach Rudolf Mosse benannt worden war.
"Um das Andenken ihres Mitbürgers, von dessen lebendigem Gemeinsinn und warmen Interesse für seine Heimatstadt auch diese neueste Stiftung ein nachdrückliches Zeugnis ablegt, zu wahren, will der Magistrat in Anregung bringen, dass der Name des Stifters in einer der künftig neu zu benennenden Straßen fortlebe."
Mit "neuester Stiftung" war der selbst für einen reichen Mann im Jahr 1913 enorme Betrag von 1,7 Millionen Mark gemeint, den Rudolf Mosse an seinem Geburtstag für die verschiedensten Zwecke gespendet hatte. Zwei Jahre später schrieb der Magistrat erneut an Mosse.
Mit "neuester Stiftung" war der selbst für einen reichen Mann im Jahr 1913 enorme Betrag von 1,7 Millionen Mark gemeint, den Rudolf Mosse an seinem Geburtstag für die verschiedensten Zwecke gespendet hatte. Zwei Jahre später schrieb der Magistrat erneut an Mosse.
"Es gereicht uns zur Freude, Ihnen unseren kürzlich gefassten Beschluss mitzuteilen, dass wir für die neue Straße, die über den bisherigen Exerzierplatz an der Schwedter Straße führt, an Allerhöchster Stelle den Namen ´Rudolf Mosse Straße` vorschlagen wollen. Unsere Dankbarkeit gegen unseren hochherzigen und wohltätigen Mitbürger wird so einen sichtbaren und dauernden Ausdruck finden."
Warum hat der Magistrat gerade diese Straße, einen unbebauten Weg in einem Sportpark, für die Benennung ausgewählt? Gab es in der schnell wachsenden Stadt nicht Straßen mit richtigen Häusern, die die Mosse-Adresse hätten tragen können?
Warum hat der Magistrat gerade diese Straße, einen unbebauten Weg in einem Sportpark, für die Benennung ausgewählt? Gab es in der schnell wachsenden Stadt nicht Straßen mit richtigen Häusern, die die Mosse-Adresse hätten tragen können?
Mosses pazifistische Haltung gefiel nicht jedem
Seit der Jahrhundertwende hatte die Stadt Berlin versucht, den Exerzierplatz an der Schönhauser Allee vom preußischen Militär zu kaufen. Die Verhandlungen zogen sich hin, und als der Kauf 1912 endlich zustande kam, war die Gegend ringsum längst dicht bebaut. Im Arbeiterbezirk mangelte es an Sportstätten und Grünanlagen, weshalb der Stadtbaudirektor Brodersen eine Kombination aus beidem in einem Sportpark plante.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Rudolf Mosse mit seiner Millionenspende auch den Sportpark finanziell unterstützt hat und dafür geehrt wurde. 1915 jedenfalls konnte man auf dem ehemaligen Exer an der Schönhauser Allee unter breiten Baumreihen wie in einem Wald an Sport- und Tennisplätzen entlang flanieren.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Rudolf Mosse mit seiner Millionenspende auch den Sportpark finanziell unterstützt hat und dafür geehrt wurde. 1915 jedenfalls konnte man auf dem ehemaligen Exer an der Schönhauser Allee unter breiten Baumreihen wie in einem Wald an Sport- und Tennisplätzen entlang flanieren.
Doch es dauerte, bis der Magistratsbeschluss umgesetzt wurde, denn Rudolf Mosse machte sich mit seiner pazifistischen Haltung unbeliebt. In der Novemberrevolution 1918 gehörte er zu den Gründern der liberalen Deutschen Demokratischen Partei, die sich sehr mit der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik identifizierte und Grundgedanken ihrer Verfassung entwarf, die bis heute in unserem Grundgesetz nachwirken.
Am 31. Mai 1920 wurde die Straße nach Rudolf Mosse benannt.
Rudolf Mosse ist wenig später, am 8. September 1920, gestorben, im Alter von 77 Jahren. Nach seinem Tod übernahmen Tochter Felicia und Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse neben dem Verlag auch die zahlreichen mäzenatischen Verpflichtungen in Vorständen, Kuratorien und Stiftungen.
Rudolf Mosse ist wenig später, am 8. September 1920, gestorben, im Alter von 77 Jahren. Nach seinem Tod übernahmen Tochter Felicia und Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse neben dem Verlag auch die zahlreichen mäzenatischen Verpflichtungen in Vorständen, Kuratorien und Stiftungen.
Hans Lachmann-Mosse war ein begeisterter Musikförderer. Neben der Philharmonie unter seinem Freund Furtwängler profitierte davon die jüdische Reformgemeinde, für die er geistliche Musik auf Schallplatte einspielen ließ – mit einem hundertköpfigen Chor und prominenten Solisten der Zeit.
Anders als in den orthodoxen Gemeinden wurde in der Reformgemeinde unter Leitung eines Kantors gemeinsam gesungen. Auf den Schallplatten finden sich neben Werken von synagogalen Komponisten wie Louis Lewandowski und Solomon Sulzer auch Bearbeitungen von Händel, Beethoven und Johann Sebastian Bach.
Anders als in den orthodoxen Gemeinden wurde in der Reformgemeinde unter Leitung eines Kantors gemeinsam gesungen. Auf den Schallplatten finden sich neben Werken von synagogalen Komponisten wie Louis Lewandowski und Solomon Sulzer auch Bearbeitungen von Händel, Beethoven und Johann Sebastian Bach.
Verlag war Hitler schon früh ein Dorn im Auge
Ich brauchte leider nicht viel Phantasie, um mir auszumalen, wie die Nazis nach der Machtergreifung mit den prominenten Juden umgegangen waren.
Schon vor 1933 hatte der Mosse-Verlag zu Hitlers Lieblingsfeinden gehört. Die Nationalsozialisten arisierten die Firma als erstes jüdisches Großunternehmen sofort nach der Machtübernahme.
Schon vor 1933 hatte der Mosse-Verlag zu Hitlers Lieblingsfeinden gehört. Die Nationalsozialisten arisierten die Firma als erstes jüdisches Großunternehmen sofort nach der Machtübernahme.
Rudolf Mosses Tochter, ihr Mann und die Kinder entkamen, zunächst in die Schweiz. Ich fragte die Provenienzforscherin Meike Hoffmann von der Freien Universität nach dem Verbleib der großen Kunstsammlung, die Rudolf Mosse angelegt hatte.
"Die Sammlung ist 1933 eingezogen worden. 1934 wurde die Sammlung Mosse versteigert vom Berliner Auktionshaus Lepke. Wir wissen aber auch heute, dass diese Gelder zum Teil veruntreut worden sind und wir nicht genau nachvollziehen können, in welche Kanäle sie tatsächlich dann auch geflossen sind. Die Erben haben auf jeden Fall überhaupt nicht davon profitiert, sie waren zu diesem Zeitpunkt auch schon emigriert. Sie waren in Frankreich und konnten dann in die USA emigrieren."
Ins Mosse-Palais am Leipziger Platz zog der Nationalsozialistische Rechtswahrerbund. Dessen Vorsitzender Hans Michael Frank wurde später Generalgouverneur in besetzten Polen, er nahm die verbliebenen Kunstwerke einfach mit.
1935 tilgten die Nationalsozialisten alle jüdischen Straßennamen und so verschwand auch der Name Rudolf Mosse von den Stadtplänen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Namensänderungen wurde diese nach der Befreiung vom Nationalsozialismus nicht rückgängig gemacht.
"Die Sammlung ist 1933 eingezogen worden. 1934 wurde die Sammlung Mosse versteigert vom Berliner Auktionshaus Lepke. Wir wissen aber auch heute, dass diese Gelder zum Teil veruntreut worden sind und wir nicht genau nachvollziehen können, in welche Kanäle sie tatsächlich dann auch geflossen sind. Die Erben haben auf jeden Fall überhaupt nicht davon profitiert, sie waren zu diesem Zeitpunkt auch schon emigriert. Sie waren in Frankreich und konnten dann in die USA emigrieren."
Ins Mosse-Palais am Leipziger Platz zog der Nationalsozialistische Rechtswahrerbund. Dessen Vorsitzender Hans Michael Frank wurde später Generalgouverneur in besetzten Polen, er nahm die verbliebenen Kunstwerke einfach mit.
1935 tilgten die Nationalsozialisten alle jüdischen Straßennamen und so verschwand auch der Name Rudolf Mosse von den Stadtplänen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Namensänderungen wurde diese nach der Befreiung vom Nationalsozialismus nicht rückgängig gemacht.
Ab 1945 wurde der Sportpark als Sammelplatz für Trümmerschutt benutzt und die Mosse-Straße buchstäblich begraben. Anfang der 50er-Jahre räumten Angehörige der FDJ, der Jugendorganisation der SED, den Schutt wieder weg und es folgte der Bau des Stadions für die Weltfestspiele der Jugend.
Eine Rückbenennung hatte keine Chance, denn Rudolf Mosse, der bürgerlich-liberale Jude, galt nun als Klassenfeind. 1951 wurde die Straße offiziell aufgehoben und das gesamte Areal 1952 in Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark umbenannt.
Fußballfans erinnern und gedenken
Ich fand es gruselig und höchst unpassend, dass der Sportpark heute nach dem völkisch-nationalistischen Friedrich-Ludwig Jahn benannt ist und die Max Schmeling-Halle nach einem Boxer, der sich von der Nazipropaganda hatte missbrauchen lassen, während der Name Mosse nirgends mehr vorkommt. Ich erzählte Freunden davon, die erzählten es weiter.
"Mich hat das an die Geschichte von dem Präsidenten von Bayern München erinnert, der Landauer, der ja auch über viele Jahre vergessen war und dann erst wieder entdeckt wurde, und dachte: Ach Mensch, das ist auch noch so eine Geschichte, wo einfach jemand, der ganz viel geleistet hat, plötzlich unsichtbar wurde", erzählt mir mein Freund Jonas.
Kurt Landauer war als Leiter der Anzeigenabteilung der Münchener Neuesten Nachrichten ein guter Bekannter von Rudolf Mosse. Von 1913 bis 1914, 1919 bis 1933 und 1947 bis 1951 war Landauer insgesamt knapp 20 Jahre lang Präsident des FC Bayern München, unter ihm wurden die Bayern erstmals deutscher Meister; doch die jüdischen Konnotationen der Vereinsgeschichte interessierten die späteren Bayern-Manager nicht allzu sehr. Auf Nachfrage beschied Uli Hoeneß:
"Ich war zu der Zeit nicht auf der Welt."
"Mich hat das an die Geschichte von dem Präsidenten von Bayern München erinnert, der Landauer, der ja auch über viele Jahre vergessen war und dann erst wieder entdeckt wurde, und dachte: Ach Mensch, das ist auch noch so eine Geschichte, wo einfach jemand, der ganz viel geleistet hat, plötzlich unsichtbar wurde", erzählt mir mein Freund Jonas.
Kurt Landauer war als Leiter der Anzeigenabteilung der Münchener Neuesten Nachrichten ein guter Bekannter von Rudolf Mosse. Von 1913 bis 1914, 1919 bis 1933 und 1947 bis 1951 war Landauer insgesamt knapp 20 Jahre lang Präsident des FC Bayern München, unter ihm wurden die Bayern erstmals deutscher Meister; doch die jüdischen Konnotationen der Vereinsgeschichte interessierten die späteren Bayern-Manager nicht allzu sehr. Auf Nachfrage beschied Uli Hoeneß:
"Ich war zu der Zeit nicht auf der Welt."
Erst die Sprechchöre und Spruchbänder der Münchener Ultras sorgten für Aufmerksamkeit und dafür, dass Kurt Landauer 2013 zum Ehrenpräsidenten des Vereins gewählt wurde.
"Dann kam irgendwie eins zum anderen", sagt Jonas. "Dann habe ich mit einem anderen Freund gesprochen, Babelsberg Fan. Der aber auch BFCler kannte und sagte: Da gibt's auch ein paar BFCler, die nicht rechts sind, und lass uns doch mal mit denen reden."
Gemeinsam mit dem Fanprojekt der Berliner Sportjugend gründeten wir 2018 eine Initiative "Mosse erinnern", die seitdem mit regelmäßigen Treffen Anwohner und Nutzer des Sportparks zusammenbringt und sich um Öffentlichkeit bemüht. Aber in der Erforschung der historischen Umstände der Namensgebung stießen wir an unsere Grenzen – und das lag nicht nur daran, dass wir keine professionellen Historiker waren.
"Man hat sich offensichtlich sehr bewusst, sehr entschlossen und erfolgreich bemüht, den Namen Mosse aus der deutschen Geschichte zu waschen."
Roger Strauch ist ein Ururenkel von Rudolf Mosse. Ich lernte ihn auf einer Tagung kennen, die das Deutsche Museum Berlin über seinen Onkel George Lachmann-Mosse veranstaltete – einen bekannten Holocaustforscher, der Deutschland 1933 im Alter von 14 Jahren verlassen hatte. An einem Sommerabend spazierten wir durch den Prenzlauer Berg. Ich führte ihn über die Mosse-Straße und erfuhr im Gespräch, dass er selbst erst spät, als Erwachsener, von seinen Eltern in die Familiengeschichte eingeweiht worden ist.
"Sie machten es wie so viele amerikanische Einwanderer. Ich glaube nicht, dass es Italienern, Polen oder den Überlebenden des Holocaust anders ging. Amerikanische Einwanderer tendierten dazu, sich auf die Zukunft zu konzentrieren, besonders wenn es um ihre Kinder ging. Wir mussten uns auf unsere Zukunft, auf die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Familie konzentrieren und nicht so sehr auf unsere Vergangenheit.
"Dann kam irgendwie eins zum anderen", sagt Jonas. "Dann habe ich mit einem anderen Freund gesprochen, Babelsberg Fan. Der aber auch BFCler kannte und sagte: Da gibt's auch ein paar BFCler, die nicht rechts sind, und lass uns doch mal mit denen reden."
Gemeinsam mit dem Fanprojekt der Berliner Sportjugend gründeten wir 2018 eine Initiative "Mosse erinnern", die seitdem mit regelmäßigen Treffen Anwohner und Nutzer des Sportparks zusammenbringt und sich um Öffentlichkeit bemüht. Aber in der Erforschung der historischen Umstände der Namensgebung stießen wir an unsere Grenzen – und das lag nicht nur daran, dass wir keine professionellen Historiker waren.
"Man hat sich offensichtlich sehr bewusst, sehr entschlossen und erfolgreich bemüht, den Namen Mosse aus der deutschen Geschichte zu waschen."
Roger Strauch ist ein Ururenkel von Rudolf Mosse. Ich lernte ihn auf einer Tagung kennen, die das Deutsche Museum Berlin über seinen Onkel George Lachmann-Mosse veranstaltete – einen bekannten Holocaustforscher, der Deutschland 1933 im Alter von 14 Jahren verlassen hatte. An einem Sommerabend spazierten wir durch den Prenzlauer Berg. Ich führte ihn über die Mosse-Straße und erfuhr im Gespräch, dass er selbst erst spät, als Erwachsener, von seinen Eltern in die Familiengeschichte eingeweiht worden ist.
"Sie machten es wie so viele amerikanische Einwanderer. Ich glaube nicht, dass es Italienern, Polen oder den Überlebenden des Holocaust anders ging. Amerikanische Einwanderer tendierten dazu, sich auf die Zukunft zu konzentrieren, besonders wenn es um ihre Kinder ging. Wir mussten uns auf unsere Zukunft, auf die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Familie konzentrieren und nicht so sehr auf unsere Vergangenheit.
Aber dann wurde es interessanter und wir hörten Geschichten, vor allem über die Flucht. Wir erfuhren von Hilde und George, dass sie in einer sehr opulenten Art von Umgebung gelebt hatten. Das war deshalb ziemlich aufregend, weil wir ja wussten, wie bescheiden sie lebten. Wir erfuhren, dass sie einen Lebensstil führten, der mit dem von, sagen wir, 'Downtown Abbey' verglichen werden kann. Das war überraschend."
Mit Hilde ist die ältere Schwester von George gemeint, eine sozial engagierte Psychiaterin im schwarzen New Yorker Stadtteil Harlem. Beide Geschwister stellten in den 50er-Jahren Wiedergutmachungsanträge in Westdeutschland, die mit der Begründung abgelehnt wurden, die Firma Mosse sei in der Weltwirtschaftskrise 1929 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, habe 1932 einen Insolvenzantrag gestellt und sei quasi wertlos gewesen.
"Die Amerikaner und die Westdeutschen haben im Grunde genommen viele der Rechte derjenigen, die einst wie meine Mutter in Hamburg in Westdeutschland gelebt hatten, abgeschrieben. Es gab Schecks, ja, aber die Bedingungen des Wiedergutmachungsvertrags waren ziemlich eng gefasst. Das half beim Wiederaufbau Deutschlands, aber es funktionierte nicht für diejenigen, die Eigentum verloren hatten", sagt Roger Strauch.
"Wir haben hier doch eine sehr frühe Phase, in der der Entzug stattgefunden hat. Und vor allen Dingen ab `35 setzt erst die Regelung zur Dokumentation von Auktionen ein. Ab `35 haben wir durchaus im Landesarchiv wunderbare Dokumentationsakten zu Auktionen, zu den Einlieferern und zu den Käufern. Das haben wir aber `34 noch nicht. All das fehlt uns. Und das macht eine große Schwierigkeit aus. Und eben halt insgesamt diese frühe Zeit, in der der Mosse-Konzern arisiert wurde und die Familie ins Exil getrieben wurde. Da liefen die ganzen Mechanismen noch nicht systematisch ab, und wir müssen das eben halt im Detail einzeln neu rekonstruieren", ergänzt Meike Hoffmann.
"Vor 40 oder vor 39 Jahren machte mein Vater auf einer Reise nach Berlin einen Abstecher durch den Checkpoint Charlie. Er kam oft zur Arbeit hierher. Er war ein angesehener amerikanischer Physiker, wie ich gestern in unserem Vortrag sagte. Und er war wirklich einer der derjenigen, wenn nicht sogar der Engagierteste in der amerikanischen Physikergemeinde, der die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus dem Ostblock suchte. Auch in der DDR.
Mit Hilde ist die ältere Schwester von George gemeint, eine sozial engagierte Psychiaterin im schwarzen New Yorker Stadtteil Harlem. Beide Geschwister stellten in den 50er-Jahren Wiedergutmachungsanträge in Westdeutschland, die mit der Begründung abgelehnt wurden, die Firma Mosse sei in der Weltwirtschaftskrise 1929 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, habe 1932 einen Insolvenzantrag gestellt und sei quasi wertlos gewesen.
"Die Amerikaner und die Westdeutschen haben im Grunde genommen viele der Rechte derjenigen, die einst wie meine Mutter in Hamburg in Westdeutschland gelebt hatten, abgeschrieben. Es gab Schecks, ja, aber die Bedingungen des Wiedergutmachungsvertrags waren ziemlich eng gefasst. Das half beim Wiederaufbau Deutschlands, aber es funktionierte nicht für diejenigen, die Eigentum verloren hatten", sagt Roger Strauch.
"Wir haben hier doch eine sehr frühe Phase, in der der Entzug stattgefunden hat. Und vor allen Dingen ab `35 setzt erst die Regelung zur Dokumentation von Auktionen ein. Ab `35 haben wir durchaus im Landesarchiv wunderbare Dokumentationsakten zu Auktionen, zu den Einlieferern und zu den Käufern. Das haben wir aber `34 noch nicht. All das fehlt uns. Und das macht eine große Schwierigkeit aus. Und eben halt insgesamt diese frühe Zeit, in der der Mosse-Konzern arisiert wurde und die Familie ins Exil getrieben wurde. Da liefen die ganzen Mechanismen noch nicht systematisch ab, und wir müssen das eben halt im Detail einzeln neu rekonstruieren", ergänzt Meike Hoffmann.
"Vor 40 oder vor 39 Jahren machte mein Vater auf einer Reise nach Berlin einen Abstecher durch den Checkpoint Charlie. Er kam oft zur Arbeit hierher. Er war ein angesehener amerikanischer Physiker, wie ich gestern in unserem Vortrag sagte. Und er war wirklich einer der derjenigen, wenn nicht sogar der Engagierteste in der amerikanischen Physikergemeinde, der die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus dem Ostblock suchte. Auch in der DDR.
Und er kam hierher, traf Leute und sagte: ´Weißt Du, dass dieses Gebäude Eigentum meines Stiefvaters war?` Und sie sagten: ´Nein, das kann nicht sein.` Und sie stritten sich heftig mit ihm und er sagte: ´Nun, ich bin mir ganz sicher, soll ich es beweisen?` Und er brachte sie zum Grundstein und zeigte ihnen den Namen Mosse. Er wusste es, weil er dort als Kind gespielt hatte", erzählt Roger Strauch.
Zögerliche Aufarbeitung in Ost und West
Für die Deutschen war die Anerkennung eigener Schuld nach dem Krieg ein langer und quälender Prozess, auf unterschiedliche Weise in Ost und West. Nachdem die DDR jahrzehntelang alle Wiedergutmachungsverpflichtungen mit dem Verweis auf ihr antifaschistisches Erbe abgelehnt hatte, beschloss der Runde Tisch in der Wende 1990 neben großzügigen Einwanderungsregeln für Juden aus dem Ostblock auch eine schnelle Bearbeitung und Anerkennung von Rückgabeansprüchen.
"Die DDR hatte die Wiedergutmachungsverträge niemals unterschrieben. Nach dem Mauerfall erkannten informierte Familien und Anwälte, dass sich eine Möglichkeit ergab, Ansprüche geltend zu machen. George war früh dabei und nutzte diese Gelegenheit. Ich denke, er hat es wahrscheinlich so gemacht, wie ich das auch mache, etwas weniger aggressiv als andere, die aus Wut agierten. Er hatte keine Wut. Er dachte nur: ´Hey, das hat meinen Eltern gehört.`"
So kam es, dass das Mosse-Palais – oder genauer gesagt – das Grundstück, denn das Gebäude selbst war im Krieg zerstört worden – an die Nachfahren der Familie Mosse zurückübertragen wurde. Rogers Bruder Hans Strauch baute als Architekt das erste Gebäude am bis dahin völlig abgeräumten Leipziger Platz. Das Haus trug eine weithin sichtbare Schrift am Giebel "Mosse-Palais". Ein Mosseum war es allerdings nicht mehr.
"Hans musste Erfahrung mit allen möglichen Herausforderungen machen, als er den Entwurf zeichnete, mit der Stadt arbeitete und versuchte, sie zufrieden zu stellen und ich erinnere mich an eine Menge Stress. Aber selbst mit diesen Erfahrungen wussten weder Hans noch ich viel über das Mosse-Vermächtnis. Das war einer der Gründe für dieses Restitutions-Projekt, dass wir die Chance sahen, mit all dieser Expertise im Rücken einiges über unsere Vergangenheit zu lernen. Das ist Teil dieses großen Abenteuers."
So kam es, dass das Mosse-Palais – oder genauer gesagt – das Grundstück, denn das Gebäude selbst war im Krieg zerstört worden – an die Nachfahren der Familie Mosse zurückübertragen wurde. Rogers Bruder Hans Strauch baute als Architekt das erste Gebäude am bis dahin völlig abgeräumten Leipziger Platz. Das Haus trug eine weithin sichtbare Schrift am Giebel "Mosse-Palais". Ein Mosseum war es allerdings nicht mehr.
"Hans musste Erfahrung mit allen möglichen Herausforderungen machen, als er den Entwurf zeichnete, mit der Stadt arbeitete und versuchte, sie zufrieden zu stellen und ich erinnere mich an eine Menge Stress. Aber selbst mit diesen Erfahrungen wussten weder Hans noch ich viel über das Mosse-Vermächtnis. Das war einer der Gründe für dieses Restitutions-Projekt, dass wir die Chance sahen, mit all dieser Expertise im Rücken einiges über unsere Vergangenheit zu lernen. Das ist Teil dieses großen Abenteuers."
Neue Wege in der Provenienzforschung
Im März 2017 rief Roger als Vertreter der Mosse-Erbengemeinschaft zusammen mit der Freien Universität Berlin die Mosse Art Research Initiative (MARI) ins Leben.
"Das gesamte Timing dieser Rückstellungsprojekte war vermutlich perfekt, denn 15 Jahren früher wäre es ein großer Kampf gewesen. Deutschland müht sich immer noch mit dieser Art Prozess, praktisch, akzeptiert ihn aber im Prinzip. Und Deutschland ist im Umgang mit seiner Vergangenheit so viel besser als so viele Länder auf dem Planeten Erde, meine ich. Und das, worauf wir besonders stolz sind, ist, dass wir weniger auf Streit aus sind als andere Restitutionsprojekte.
Es ist nicht so, dass wir nicht entschlossen wären, unsere Ansprüche geltend zu machen, aber wir versuchen, es auf eine kooperativere Art und Weise zu tun, und wir versuchen, nicht ins Zentrum zu stellen, wie schrecklich Menschen sind oder waren. Wir versuchen nur zu sagen, was wir denken, was unser ist, was uns gehört. Können wir darüber reden?"
Das Forschungsprojekt ist in vielerlei Hinsicht einzigartig: Erstmals kooperieren deutsche Institutionen mit Nachfahren von Opfern der rassischen Verfolgung während des NS-Regimes in einer öffentlich-privaten Partnerschaft.
"Ein Forschungsprojekt an einer neutralen Institution. Und zwar gemeinsam mit den Erben, das war ganz neu gedacht eigentlich im Bereich der Provenienzforschung. Die Netzwerke, die Verbindungen, der Informationsaustausch, nicht nur die Einzelwerk-Recherche, ja, was sonst in den einzelnen Institutionen betrieben wird, sondern gerade die Kommunikation, die Transparenz, der Austausch. Das bringt uns ja eigentlich auch gesellschaftlich weiter", sagt Meike Hoffmann.
"Das gesamte Timing dieser Rückstellungsprojekte war vermutlich perfekt, denn 15 Jahren früher wäre es ein großer Kampf gewesen. Deutschland müht sich immer noch mit dieser Art Prozess, praktisch, akzeptiert ihn aber im Prinzip. Und Deutschland ist im Umgang mit seiner Vergangenheit so viel besser als so viele Länder auf dem Planeten Erde, meine ich. Und das, worauf wir besonders stolz sind, ist, dass wir weniger auf Streit aus sind als andere Restitutionsprojekte.
Es ist nicht so, dass wir nicht entschlossen wären, unsere Ansprüche geltend zu machen, aber wir versuchen, es auf eine kooperativere Art und Weise zu tun, und wir versuchen, nicht ins Zentrum zu stellen, wie schrecklich Menschen sind oder waren. Wir versuchen nur zu sagen, was wir denken, was unser ist, was uns gehört. Können wir darüber reden?"
Das Forschungsprojekt ist in vielerlei Hinsicht einzigartig: Erstmals kooperieren deutsche Institutionen mit Nachfahren von Opfern der rassischen Verfolgung während des NS-Regimes in einer öffentlich-privaten Partnerschaft.
"Ein Forschungsprojekt an einer neutralen Institution. Und zwar gemeinsam mit den Erben, das war ganz neu gedacht eigentlich im Bereich der Provenienzforschung. Die Netzwerke, die Verbindungen, der Informationsaustausch, nicht nur die Einzelwerk-Recherche, ja, was sonst in den einzelnen Institutionen betrieben wird, sondern gerade die Kommunikation, die Transparenz, der Austausch. Das bringt uns ja eigentlich auch gesellschaftlich weiter", sagt Meike Hoffmann.
Nachkommen setzen Familientradition fort
Für die Erben endet das Abenteuer Mosse nicht mit der Restitution. Sie engagieren sich in Armenien, dem Herkunftsland von Rogers Frau, mit Internetprojekten und in der Behindertenhilfe und treten so auch auf philanthropischem Gebiet in die Fußstapfen der deutschen Mosses.
"Und so wie mein Bruder und ich das Privileg haben, unsere eigenen philanthropischen Ressourcen mit dem Mosse-Vermögen verstärken zu können, möchte ich, dass meine Kinder die Chance schätzen lernen, die sie einer erfolgreichen und sehr stolzen deutschen Persönlichkeit zu verdanken haben", sagt Roger Strauch.
Im Rahmen des MARI-Projektes wurde zum ersten Mal seit 1945 ernsthaft nach Hintergründen der angeblichen Insolvenz geforscht.
"Wir haben auch eine Wirtschaftshistorikerin, die jetzt ihren ganzen Erfahrungsbereich mitbringt, was auch sehr glorreich ist. Und ihr ist es ja auch tatsächlich gelungen aufzuklären, dass der Mosse-Konzern nicht schon 1932 Insolvenz angemeldet hat, sondern tatsächlich erst 1933. Dabei handelt es sich um etwas, womit wir in der Realität häufig zu tun haben. Der eine schreibt vom anderen ab, es war einfach ein Zahlendreher. Also am 13. September 1933 ist das Vergleichsverfahren eröffnet worden, und vorher gab es keine Insolvenz. Es war keine Insolvenz vorher, und nach `33 hatte Lachmann-Mosse überhaupt keine Möglichkeit mehr, andere Lösungen zu finden", erläutert Meike Hoffmann.
Die Nazis gaben sich 1933 noch große Mühe, ihre von Judenhass getriebene Habgier rechtsstaatlich zu verbrämen. Sie erpressten die Unterschrift der Mosse-Erben unter einen Vertrag zur Umwandlung der Firma in eine Stiftung – nachdem sie die Pässe konfisziert und das Zuhause der Familie mit einem Schlägertrupp der SA besucht hatten.
"Das sind eigentlich typische Muster, wie wir sie aus späterer Zeit kennen, wie eben tatsächlich jüdische Mitbürger gezwungen wurden, ihr gesamtes Vermögen auch hier dem Deutschen Reich zu überlassen oder zu vermachen. Und insofern lesen sich die Dokumente zum Teil tatsächlich, als wenn es eine freiwillige Einwilligung gewesen wäre, aber wenn man flächendeckend dazu recherchiert, sieht man eben hier auch die Druckmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes", sagt Meike Hoffmann.
George Lachmann-Mosse hatte die Aussage der westdeutschen Wiedergutmachungsbeamten immer bezweifelt. Er wusste, dass sein Vater nach den Erfahrungen der Inflation das verbliebene Vermögen der Familie in weiteren Kunstwerken und Immobilien investiert hatte. Auch die Beamten der Wiedergutmachungsstellen müssen die Tragweite ihrer Entscheidung erkannt haben. Angesichts der vielfach personellen Kontinuität zur Nazizeit in Westdeutschland scheint mir ein Zahlendreher recht unwahrscheinlich.
Am 31. Mai jährte sich die Benennung der Rudolf-Mosse-Straße im Jahnsportpark zum hundertsten Mal.
"2020, an Pfingsten, haben wir uns gedacht: Ok, wir machen wie so Mosse-Tage. Einerseits natürlich an dem Ort, wo die Straße war durch den heutigen Jahn-Sportpark, dass wir das sozusagen zeigen mit Plakatkunst auf Litfaßsäulen einfach seine Geschichte, die Geschichte der Familie, die Geschichte von Fußball auf dem Exer und auch die ganze Zeit, also turbulente Zeit, was sich alles an diesem Ort ereignet hat und wie das alles in Verbindung mit Mosse steht, ne?", sagt Jonas.
Wegen Corona musste die Ausstellungseröffnung in den Spätsommer verschoben werden, da sich am 8. September der hundertste Todestag von Rudolf Mosse jährt. Die Zwischenzeit soll genutzt werden, um auf der Webseite "mossestrasse.de" berlinweit Akteure in einer Mosse-Topografie zu vernetzen. Trotz etlicher Nachfragen der Presse geht es nicht um eine Umbenennung des Sportparks, sondern um das Erinnern in all seiner Komplexität.
"(Kam natürlich wieder) Die Idee von den Ultras aus München, die diese Landauer-Turniere gemacht haben. Haben wir gedacht: Okay, lass uns doch einen Mosse-Cup machen, wo die Vereine, die da eine Geschichte an diesem Ort haben, einfach das auch ehren, indem sie den Pokal ausspielen. Und solange das jemand organisiert, gibt es eine lebendige Sache, ein Interesse an der Person. Und dann lebt das auch."
Nach Jahrzehnten des Vergessens sind es nun Menschen mit verschiedenen Motivationen, die auf unterschiedliche Weise das Wirken der Familie Mosse wieder ins Bewusstsein rufen wollen: Ehemalige Nachbarn, deutsche Wissenschaftler und amerikanische Erben.
"Ich versuche, die Mission, langfristig Mosses Namen in Deutschland wieder angemessen bekannt zu machen, an meine Kinder weiterzugeben", sagt Roger Strauch.
Bei der im April 2020 plötzlich aufflammenden Diskussion um die Bauplanung für ein neues Stadion brachten Anwohner Rudolf Mosses Unterstützung für die historische Kombination von Sport und Park in Erinnerung. Wie es aussieht, mit Erfolg.
"Und so wie mein Bruder und ich das Privileg haben, unsere eigenen philanthropischen Ressourcen mit dem Mosse-Vermögen verstärken zu können, möchte ich, dass meine Kinder die Chance schätzen lernen, die sie einer erfolgreichen und sehr stolzen deutschen Persönlichkeit zu verdanken haben", sagt Roger Strauch.
Im Rahmen des MARI-Projektes wurde zum ersten Mal seit 1945 ernsthaft nach Hintergründen der angeblichen Insolvenz geforscht.
"Wir haben auch eine Wirtschaftshistorikerin, die jetzt ihren ganzen Erfahrungsbereich mitbringt, was auch sehr glorreich ist. Und ihr ist es ja auch tatsächlich gelungen aufzuklären, dass der Mosse-Konzern nicht schon 1932 Insolvenz angemeldet hat, sondern tatsächlich erst 1933. Dabei handelt es sich um etwas, womit wir in der Realität häufig zu tun haben. Der eine schreibt vom anderen ab, es war einfach ein Zahlendreher. Also am 13. September 1933 ist das Vergleichsverfahren eröffnet worden, und vorher gab es keine Insolvenz. Es war keine Insolvenz vorher, und nach `33 hatte Lachmann-Mosse überhaupt keine Möglichkeit mehr, andere Lösungen zu finden", erläutert Meike Hoffmann.
Die Nazis gaben sich 1933 noch große Mühe, ihre von Judenhass getriebene Habgier rechtsstaatlich zu verbrämen. Sie erpressten die Unterschrift der Mosse-Erben unter einen Vertrag zur Umwandlung der Firma in eine Stiftung – nachdem sie die Pässe konfisziert und das Zuhause der Familie mit einem Schlägertrupp der SA besucht hatten.
"Das sind eigentlich typische Muster, wie wir sie aus späterer Zeit kennen, wie eben tatsächlich jüdische Mitbürger gezwungen wurden, ihr gesamtes Vermögen auch hier dem Deutschen Reich zu überlassen oder zu vermachen. Und insofern lesen sich die Dokumente zum Teil tatsächlich, als wenn es eine freiwillige Einwilligung gewesen wäre, aber wenn man flächendeckend dazu recherchiert, sieht man eben hier auch die Druckmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes", sagt Meike Hoffmann.
George Lachmann-Mosse hatte die Aussage der westdeutschen Wiedergutmachungsbeamten immer bezweifelt. Er wusste, dass sein Vater nach den Erfahrungen der Inflation das verbliebene Vermögen der Familie in weiteren Kunstwerken und Immobilien investiert hatte. Auch die Beamten der Wiedergutmachungsstellen müssen die Tragweite ihrer Entscheidung erkannt haben. Angesichts der vielfach personellen Kontinuität zur Nazizeit in Westdeutschland scheint mir ein Zahlendreher recht unwahrscheinlich.
Am 31. Mai jährte sich die Benennung der Rudolf-Mosse-Straße im Jahnsportpark zum hundertsten Mal.
"2020, an Pfingsten, haben wir uns gedacht: Ok, wir machen wie so Mosse-Tage. Einerseits natürlich an dem Ort, wo die Straße war durch den heutigen Jahn-Sportpark, dass wir das sozusagen zeigen mit Plakatkunst auf Litfaßsäulen einfach seine Geschichte, die Geschichte der Familie, die Geschichte von Fußball auf dem Exer und auch die ganze Zeit, also turbulente Zeit, was sich alles an diesem Ort ereignet hat und wie das alles in Verbindung mit Mosse steht, ne?", sagt Jonas.
Wegen Corona musste die Ausstellungseröffnung in den Spätsommer verschoben werden, da sich am 8. September der hundertste Todestag von Rudolf Mosse jährt. Die Zwischenzeit soll genutzt werden, um auf der Webseite "mossestrasse.de" berlinweit Akteure in einer Mosse-Topografie zu vernetzen. Trotz etlicher Nachfragen der Presse geht es nicht um eine Umbenennung des Sportparks, sondern um das Erinnern in all seiner Komplexität.
"(Kam natürlich wieder) Die Idee von den Ultras aus München, die diese Landauer-Turniere gemacht haben. Haben wir gedacht: Okay, lass uns doch einen Mosse-Cup machen, wo die Vereine, die da eine Geschichte an diesem Ort haben, einfach das auch ehren, indem sie den Pokal ausspielen. Und solange das jemand organisiert, gibt es eine lebendige Sache, ein Interesse an der Person. Und dann lebt das auch."
Nach Jahrzehnten des Vergessens sind es nun Menschen mit verschiedenen Motivationen, die auf unterschiedliche Weise das Wirken der Familie Mosse wieder ins Bewusstsein rufen wollen: Ehemalige Nachbarn, deutsche Wissenschaftler und amerikanische Erben.
"Ich versuche, die Mission, langfristig Mosses Namen in Deutschland wieder angemessen bekannt zu machen, an meine Kinder weiterzugeben", sagt Roger Strauch.
Bei der im April 2020 plötzlich aufflammenden Diskussion um die Bauplanung für ein neues Stadion brachten Anwohner Rudolf Mosses Unterstützung für die historische Kombination von Sport und Park in Erinnerung. Wie es aussieht, mit Erfolg.
"Ich möchte, dass das Land und meine Familie das Interesse für Mosses Anerkennung und für das, was er für dieses Land getan hat, wiederbelebt. Mit am Wichtigsten ist mir, den Namen Mosse als nationalstolzen Deutschen bekannt zu machen. Er war Jude und wurde deshalb verfolgt, aber er war kein besonders hingebungsvoller Jude, sondern ein hingebungsvoller Deutscher. Und ich will, dass Deutschland Mosse wieder richtig in seine Geschichte aufnimmt", ergänzt Roger Strauch.