Rudyard Kipling: Von Ozean zu Ozean. Unterwegs in Indien, Asien und Amerika
Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann
Mare Verlag Hamburg 2015
768 Seiten, 48 Euro
Ein Imperialist entdeckt die Welt
Als Rudyard Kipling auf einer Reise sein Idol Mark Twain traf, gab dieser ihm einen Tipp: "Sammeln Sie Ihre Fakten, um sie dann nach Lust und Laune zu verdrehen." Ob er das beherzigt hat, ist in den neu übersetzten Reiseberichten nachzulesen.
"Ich kann nicht behaupten, viel herumgekommen zu sein", sagte Rudyard Kipling 1914 in einer Rede 1914 vor der Royal Geographic Society in London. Lüge oder britisches Understatement? Denn der in Indien geborene und dort und in England aufgewachsene spätere Nobelpreisträger durchquerte schon früh Indien und Pakistan, bereiste China, Japan und die USA und entpuppt sich in seinen frühen, nun erstmals auf deutsch vorliegenden Reisebriefe der Jahre 1887-1889 als glänzender, selbstironischer Beobachter.
Kipling kam 1882 mit 16 Jahren aus England nach Lahore (Pakistan), wo er als Mädchen für alles bei der "Civil & Military Gazette"anheuerte. Bald schon durfte er erste Artikel verfassen, er schrieb nebenher auch Kurzgeschichten, und ab Mitte der 1880 Jahre bereiste er für die Zeitung "The Pioneer" in Allahabad den Subkontinent und lieferte eine Reihe von Reisebeschreibungen. Es sind erstaunliche Berichte – sie changieren zwischen schwelgerisch und bitter zwischen Ironie und Romantik.
Ein Bewunderer asiatischer Kunst
So beschreibt er voller Inbrunst den Taj Mahal in Acra, und der Leser streift mit ihm durch die versteckten Bordelle, Spiel- und Opiumhöhlen Kalkuttas und die Heuerbüros der Hafenstadt, wo Gestrandete aus allen Ländern der Erde zusammenkommen. Ihn faszinieren diese Orte, weit weg vom Leben der von ihm als oberflächlich empfundenen britischen Kolonialgesellschaft, sie stoßen ihn gleichzeitig ab und er, der sich als großer Bewunderer asiatischer Kunst und Verächter der Kolonialgesellschaft zeigt, ist Anhänger der imperialistischen Grundidee, dass Großbritannien in Asien die Zivilisation verankern würde.
1888 beschließt Kipling, Indien zu verlassen und nach England zurückzukehren. Er wählt die Reiseroute über Ostasien mit Aufenthalten in China und Japan, nimmt von dort das Schiff nach San Francisco und durchquert anschließend die USA. Auch nun schreibt er Reiseberichte, allerdings unter anderen Vorzeichen: War Kipling in Indien noch der Landeskenner, der sich mit Recht über naive Touristen mokierte, so schlüpft er nun genau in deren Rolle – allerdings mit einiger selbstironischer Brechung. Er fühlt sich bei Essenszeremonien in Japan als Barbar und begeistert sich für die Schönheit des Yellowstone Nationalparks – für seine Mitreisenden hat er wenig Bewunderung. Kipling ist ein im Detail sehr genauer Beobachter, so auch in den Schlachthöfen von Chicago, die er als Tourist besichtigt.
Milde Ironie
Bei politischen Themen steht ihm wie schon in Indien seine eher elitäre, kolonialistische politische Haltung im Wege. So zeigt er naserümpfend auf die Verwerfungen der noch jungen amerikanischen Demokratie, in der Stimmenkäufe gang und gäbe sind - in England war das allgemeine Wahlrecht damals noch durchgesetzt.
In ihrer ironischen Darstellung erinnern Kiplings Schilderungen an die Reiseberichte von Mark Twain, allerdings ist Kiplings Humor oft milder. Doch zum Abschluss seiner USA Reise trifft er auch sein erklärtes Vorbild, jenen Mark Twain - und erhält von ihm einen wertvollen Tipp: "Sammeln Sie Ihre Fakten, um sie dann nach Lust und Laune zu verdrehen." So schreibt man veritable Leseabenteuer.