Rückblick auf den Hip-Hop der Zehner-Jahre

Als Kanye West ein totgesagtes Genre wiederbelebte

09:03 Minuten
Rapmusiker Kanye West tritt 2011 beim 10. Austin City Limits Music Festival auf.
Rapmusiker Kanye West bei einem Auftritt in Austin 2011: Im Jahr zuvor hatte er das Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" herausgebracht, dass wichtige Weichen für das Genre stellte. © imago stock&people
Fabian Wolff im Gespräch mit Vivian Perkovic |
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"Hip-Hop ist tot", verkündete Rapper Nas im Jahr 2006. Inzwischen gehört das Genre wieder zu den vitalsten. Musikjournalist Fabian Wolff sieht in "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" von Kanye West das Album, das die Weichen dafür gestellt hat.
Der Musikjournalist Fabian Wolff glaubt, der Rapper Nas habe 2006 mit seinem Verdikt "Hip Hop is Dead" vor allem gemeint, seine Art des Hip-Hops sei tot. Dass bestimmte Beats also, bestimmte Arten des Erzählens, dass das Storytelling an sich nicht mehr zögen; auch das New York nicht mehr das wichtigste Rap-Zentrum war: "In den Nuller Jahren hat sich das eindeutig verschoben Richtung Südstaaten, Richtung Los Angeles, Richtung Chicago", sagt Wolff.
Zudem habe es eine Veränderung bei den Tonträgern gegeben. "Das wichtigste Medium war nicht mehr die Single, die knallt, oder das Album, das man im Laden kaufen kann, sondern das Mixtape." Er fügt hinzu: "Da war der künstlerische Anspruch bei Leuten wie Lil Wayne oder Gucci Mane gar nicht niedriger, sondern ein anderer, weniger perfektionistisch, dafür vielleicht expressiver."

Erstes großes Album von Kanye West

Das erste große Album des Jahrzehnts war für Wolff "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" von Kanye West aus dem Herbst 2010. "Mit diesem Album beginnt dann eine Art neuer Hip-Hop-Hype, nicht nur innerhalb der Nische, sondern auch in Mainstreammedien oder im Feuilleton, das wieder anfängt, sich für die Musik zu interessieren."
Kanye West habe in jedem Fall viele Musiker inspiriert. Wichtigstes Beispiel dafür ist Drake, der ja die größte Zahl der Nummer-eins-Hits des letzten Jahrzehnts hatte. Ohne West sei auch Kendrick Lamar gar nicht denkbar. Auch wenn Lamars Lied "Alright" zu einer Hymne der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde, hält es der Journalist Wolff für ein Missverständnis, wenn Lamar als politischer Künstler gesehen werde. "Bei Hip-Hop ging es ja immer um Geld, um Verkauf und Image, um Selbstbehauptung", sagt Wolff. Zudem habe Kendrick Lamar kein kohärentes politisches Programm.
Für ein Re-Politisierung stehe eher eine Rapperin wie Noname aus Chicago, die politische Statements in ihre Musik packe und die eine politische Theorie als Basis habe. "Das gab es in den 90ern, das gibt es jetzt wieder", sagt Wolff. Er vermute aber, dass das daran liege, dass sich die gesamte Gesellschaft wieder politisiert habe, etwa wegen der Black-Lives-Matter-Bewegung oder auch wegen der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten.

Gleichberechtigung auf dem Vormarsch

Interessant sei auch, dass Rapperinnen beim Thema Gleichberechtigung vorangekommen seien – und auch das habe mit Lamars Album zu tun. "Es gab unbestreitbar eine Öffnung, die beginnt auch wieder mit 'My Beautiful Dark Twisted Fantasy', weil Nicki Minaj da im Song 'Monster' einen Gastpart hat, mit dem sie über Nacht als die beste Rapperin oder sogar 'best rapper ever', egal welchen Geschlechts, gehandelt wird." Sie habe dann nicht so nachlegen können, weil sie dann auch Ausflüge in andere Genres gemacht habe. Bei dieser Qualität hätten selbst die größten Chauvis die Kunst von Minaj nicht in Abrede stellen können.
Ein Problem gebe es allerdings. Es gebe nun zwar große Rapperinnen, aber die müssten gegeneinander antreten, sagt Wolff. "Zum Beispiel: Der Beef zwischen Cardi B und Nicki Minaj – es kann immer nur eine große, weibliche MC geben." Das sei natürlich Schade, sagt Wolff, und es habe "mit dieser Hip-Hop-Industrie als männlich getriebenem Kapitalismus-Auswuchs zu tun".
Andererseits schaue man auch auf ein Jahrzehnt zurück, in dem Genres außerhalb des Mainstreams die Grenzen aufweichten: wo Rapsody oder Noname ohne Probleme neben Megan Thee Stallion bestehen könne – "wo man also nicht mehr auf die eine große, weibliche Rapperin schaut, sondern wo es mehrere Leute nebeneinander geben kann, die auch miteinander arbeiten können".
Und man hat auch gesehen, dass von diesen Rapperinnen viel interessantere und viel bessere und viel resonantere Musik kam als von den meisten der männlichen Kollegen. "Ich glaube, dass das die Welle ist, die die nächsten zehn Jahre trägt." Wie viel das dann gesellschaftlich bringe, sei eine andere Frage, sagt Wolff.
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