Rückblick

Das Popjahr 2016 war weiblich

Ein Porträt von Pop-Queen Beyoncé auf dem Roten Teppich bei den MTV Music Awards
Der Superstar Beyoncé erwischte 2016 ein besonders gutes Jahr. © picture alliance / dpa / Jason Szenes
Von Martin Böttcher |
Vinyl ist angesagter denn je, Jazz gewinnt an Einfluss - und wie war das Jahr 2016 sonst so in der Popmusik? Die wirklich relevanten Alben seien von Frauen aufgenommen worden, sagt unser Kritiker Martin Böttcher.
Machen wir uns nichts vor: Schon oft wurde behauptet, dieses Jahr sei jetzt aber wirklich das Jahr der Frauen in der Musik. Und dann folgten, als scheinbarer Beleg, Chartplatzierungen und Momentaufnahmen, die genauso gut andersherum interpretiert werden konnten.
2016 war das ein bisschen anders. Rein von den Verkaufszahlen her ist das Jahr nicht unbedingt einheitlich: Der Rapper Drake, die Band Coldplay und der kanadische R'n'B-Musiker The Weeknd gehören zu den meistgestreamten Musikern. Am meisten verdient hat dagegen Countrypop-Star Taylor Swift – und auch Adele hat sich 2016 wieder ordentlich die Taschen vollgemacht. Aber wer hatte uns nun in den vergangenen 12 Monaten etwas zu sagen? Es waren – jetzt aber wirklich – Frauen.

Wucht oder Wut?

Und zwar Frauen wie Solange Knowles. Frauen wie Beyonce, die große Schwester von Solange, Frauen wie Kate Tempest, Alicia Keys, Rihanna, M.I.A.
Sie alle – jede auf ihre Weise – lieferten Musik ab, die etwas Größeres als die eigene Befindlichkeit wollte. Wichtige Alben, die sich mit Sexismus und Rassismus, mit dieser aus den Fugen geratenen Welt, dem Wahnsinn und der Überdrehtheit unserer Gesellschaft auseinandersetzten. Wenn Solange haucht: "Don't touch my hair, don't touch my pride", dann geht es wirklich nicht um ihr Haar, ihren Stolz, sondern sie spricht für Frauen im Allgemeinen, vor allem die schwarzen.
Das britische Multitalent Kate Tempest bei einem Konzert in Barcelona 2015
Das britische Multitalent Kate Tempest © imago/ZUMA Press
Kate Tempest, weiße Spoken-Word-Künstlerin aus England, schlüpfte auf ihrem Album gleich in sieben verschiedene Rollen und erzählt allgemeingültige Geschichten von Verzweiflung und Isolation. "Europe is lost", Europa ist verloren, heißt einer ihrer Songs. Der Brexit lässt grüßen. Kate Tempest liefert das alles in lyrischen Texten und mit einer nach wie vor einzigartigen Wucht ab.
Wucht oder Wut? Bei Mathangi Arulpgragasam alias M.I.A. war beides nur noch untergründig zu spüren. Ihr ziemlich ruhiges Album "AIM" schaffte aber den in Zeiten wie diesen notwendigen Dreh: Die in England und Sri Lanka aufgewachsene Musikerin prangerte noch einmal Flüchtlingselend und die gleichgültigen Reaktionen der Privilegierten an und verleugnete dabei nicht, dass auch sie zu den Privilegierten gehört. Selbstgerechtigkeit, dieses fiese männliche Ding, findet bei ihr keinen Platz.
Männer spielten im Popjahr 2016 natürlich auch eine Rolle. Eine sehr große sogar, was daran liegt, dass sie nach wir vor in der überwältigenden Überzahl sind, egal wo: Männer werden öfter auf Festivals gebucht, Männer haben in der Industrie das Sagen, Männer schreiben und sprechen viel öfter über Musik und haben – wie ich jetzt hier an dieser Stelle auch – die Deutungshoheit. Aber wenn man sich mal die Musiker, die männlichen, in diesem Jahr ansieht, dann hatten sie vor allem zwei Themen: sich selbst und den Tod.

Relevanz ohne Make-up

Dieses ständige Kreisen um sich selbst ist leicht ermüdend. Deshalb noch einmal die Frauen, die sich in diesem Jahr auflehnten gegen die männlich determinierten Mechanismen der Musikbranche:
Alicia Keys. Tritt ohne Make-up in die Öffentlichkeit und entfacht so eine 2016 nicht mehr für möglich gehaltene Diskussion.
Alicia Keys bei einem Auftritt
Ob mit oder ohne Make-up: Alicia Keys begeisterte 2016 mit neuen Songs.© picture alliance / dpa / Andrew Gombert
Rihanna lässt uns alle hören, wie ultra-moderne Popmusik klingen kann, bei der trotzdem die Kassen klingeln.
Beyonce lässt beim Superbowl ein "X" tanzen, erinnert so an Malcom X, nimmt mit ihrer Musik auf ihrem Album "Lemonade" die Black-Lives-Matter-Bewegung auf – und erzählt gleichzeitig, was schwarze Männer schwarzen Frauen alles antun.
2016 – also wirklich das Popjahr der Frauen. Eine spielte übrigens so gut wie keine Rolle mehr: Lady Gaga. Und auch das spricht für die neue weibliche Ernsthaftigkeit – und die Relevanz.
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