Nimmer vergessen
Sie waren Schriftsteller, Schauspieler und Musiker, deren Schaffen die Gesellschaft beeinflusst hat - und sie starben im Jahr 2013. Ein Rückblick.
Otto Sander: "Ich habe dich so lieb. Ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken. Ich habe dir nichts getan. Nun ist mir traurig zumut. An den Hängen der Eisenbahn leuchtet der Ginster so gut."
Eine unvergessliche Stimme. Doch diese Stimme konnte nur unvergesslich werden, weil sie in einem feinsinnigen, klugen, gefühlvollen Menschen steckte. Otto Sander gehörte zum legendären Ensemble der Berliner Schaubühne in den siebziger Jahren. Jahrzehntelang tourte er mit dem ebenfalls in diesem Jahr verstorbenen Peter Fitz als „Mercier und Camier“ von Samuel Beckett durch Deutschland. Philosophisch, tragikomisch, menschlich.
Zuletzt konzentrierte er sich – von Krankheit gezeichnet – auf das Lesen. Otto Sanders Ideal war es, gar nicht mehr zu interpretieren und hinter den Texten zu verschwinden. Weil er die Dichter verehrte, vor allem Joachim Ringelnatz.
"Vorbei, verjährt, doch nimmer vergessen. Ich reise. Alles, was lange währt, ist leise."
Vielschichtige Sprachgestalter waren auch Gisela Fritsch, die deutsche Stimme von Judi Dench, der knorrige, querköpfige Thomas Holtzmann und der hintergründige Rolf Schult. Er sprach Anthony Hopkins als Gourmet und Serienmörder Hannibal Lecter und Captain Jean-Luc Picard vom Raumschiff Enterprise. Eine Kultstimme.
Grandios die Sinnlosigkeit politischer Floskeln entlarvt
Eine der seiner wichtigsten Stimmen verlor das deutsche Kabarett. Dieter Hildebrandt starb im Alter von 86 Jahren. Die Sendung "Scheibenwischer" war die Satire-Institution der Bundesrepublik. Im hohen Alter ging Hildebrandt online und entwickelte den Internet-"Störsender". Die Sinnlosigkeit politischer Floskeln entlarvte er grandios in der Szene: Helmut Kohl liest Matthias Claudius.
"Der Mond, meine Damen und Herren, liebe Freunde, und das möchte ich hier in aller Offenheit sagen, ist aufgegangen."
Bis kurz vor seinem Tod tourte Dieter Hildebrandt durch Deutschland. Ebenso ein ultralinker Kollege Dietrich Kittner. Der bekennende Kommunist war immer stolz darauf, nicht im Fernsehen auftreten zu dürfen.
"Dein Staat, der hat drei Haken. Drei Haken hat dein Staat. Und hätt er nicht drei Haken, dann wär's nicht dieser Staat."
Peter Ensikat war auch Kommunist, lebte aber im anderen Deutschland. In der DDR war er der meistgespielte Kabarettautor und arbeitete nach der Wende weiter am Berliner Kabarett "Die Distel". Ein großer Gesellschaftskritiker war auch der Theaterregisseur Dimiter Gotscheff.
"Mich beschäftigt ein Stoff, der bewegt sich nicht auf der Oberfläche von heutige Ereignisse. Sondern er hat ne Tiefe, und da versuche ich zu greifen."
Gotscheffs Inszenierungen waren doppelbödig, ironisch und körperbetont. Immer wieder beschäftigte er sich mit Heiner Müller und seiner pessimistischen Geschichtsphilosophie. Die Welt ist düster und hoffnungslos, dennoch muss man weiter leben. Daraus entstand oft eine wilde, verzweifelte Lebenslust auf der Bühne.
Einige bedeutende Theater- und Filmregisseure starben in diesem Jahr. Die Franzosen Patrice Chéreau und Jerome Savary, auch der Italiener Damiano Damiani, der in den siebziger Jahren mutige, kritische Mafiadramen drehte. Ebenso der irische Schauspieler Peter O´Toole, der als "Lawrence von Arabien" berühmt wurde und acht Mal für den Oscar nominiert war.
Marcel Reich-Ranicki: "Das Buch ist von Anfang an – ich weiß, Sie werden empört sein, das Wort wird Sie umwerfen - von ungewöhnlicher Zartheit. Ja, das entgeht Ihnen, Frau Löffler, die Zartheit dieses Buches."
Leidenschaftlich über Literatur gestritten
Niemand konnte so leidenschaftlich über Literatur streiten wie Marcel Reich-Ranicki. Mit der ZDF-Sendung "Das literarische Quartett" schuf er einen Sendeplatz für Bücher, der ausschließlich von seiner Persönlichkeit und seinem Temperament lebte. Reich-Ranicki stammte aus einer assimilierten jüdischen deutsch-polnischen Familie und erlebte das Grauen des Warschauer Ghettos. Später hatte er große Freude an seiner Rolle als "Literaturpapst". Zwei weitere Kritikerlegenden starben: Roger Ebert, der Doyen der amerikanischen Filmkritik, und Henning Rischbieter, Gründer der Zeitschrift "Theater heute" und Professor an der Freien Universität in Berlin.
Wolfgang Herrndorf: "Ich stellte mich an den Straßenrand, und Tschick musste 20mal an mir vorbei fahren, damit ich gucken konnte, wie er am erwachsensten rüber kam.“
Zwei 14jährige wollen von Berlin in die Walachei fahren. Der packende Jugendroman "Tschick" ist einer der größten Bucherfolge der vergangenen Jahre. Viele Theater spielen die Bühnenadaption. Der Autor Wolfgang Herrndorf las in der Berliner Volksbühne, wie Tschick versucht, erwachsen auszusehen.
"Am Ende riss er alles wieder runter und pappte sich einen kleinen, quadratischen Klebestreifen unter die Nase. Damit sah er aus wie Hitler. Aber das wirkte aus einiger Entfernung tatsächlich am besten. Und weil wir eh in Brandenburg waren, konnte das auch keine politischen Konflikte geben."
Herrndorf litt an einem Hirntumor und erschoss sich im Alter von 48 Jahren. Bis kurz vor seinem Tod führte er ein Onlinetagebuch namens "Arbeit und Struktur", das vor wenigen Wochen in Buchform erschien.
Auch die große Erzählerin Doris Lessing, der Pole Slawomir Mrozek, der hinreißende absurde Theaterstücke schrieb, der Kinderbuchautor Otfried Preußler, die Lyrikerin Sarah Kirsch und der Verleger Wolf Jobst Siedler starben in diesem Jahr. So wie Lou Reed, Gründungsmitglied der Band "The Velvet Underground" und einer der größten melancholischen Singer-Songwriter der USA.
Auch die deutsche Unterhaltungsbranche verlor zwei prägende Köpfe. Chris Howland, der als Mr. Pumpernickel dem deutschen Nachkriegsradio das Lachen beibrachte. Und Eddi Arent, ein grandioser Komiker und gnadenloser Perfektionist, der in Karl-May- und Edgar-Wallace-Verfilmungen für die heitere Auflockerung sorgte.
Eddi Arent: "Sie haben meine Karriere auf dem Gewissen. – Wenn's weiter nichts ist. – Lassen Sie mich frei und ich verspreche Ihnen… - Nein, Sie bleiben hier! – Inspektorchen!"
Otto Sander: "Vorbei, verjährt, doch nimmer vergessen."