Rückenschmerzen

Neue Methoden gegen den Bandscheibenvorfall

Eine Frau fasst sich mit beiden Händen in den Rücken.
Die Schweizer Forscher wollen mechanische Eingriffe gegen Rückenschmerzen vermeiden. © picture alliance / dpa
Von Joachim Baumann |
Mindestens 80 Prozent der Deutschen leiden an Rückenschmerzen, bei vielen verursacht durch einen Bandscheibenvorfall. Meist folgen langwierige Physiotherapien, in manchen Fällen entfernen die Ärzte die Bandscheibe sogar und schrauben die Wirbel zusammen. Schweizer Wissenschaftler versuchen es dagegen mit einer Versiegelung.
Plastiküberzieher für die Schuhe sind Pflicht beim Betreten des klimatisierten Kellerraumes. Teamleiter Benjamin Gantenbein deutet auf eine Mitarbeiterin. Mit Skalpell und Pinzette löst sie vorsichtig Fleischfasern von einem abgetrennten Rinderschwanz. Eine wahre Puzzlearbeit, bis schließlich die helle Bandscheibe abgetrennt und für die Forschung verwendet werden kann.
"Diese Bandscheibe hat - wie bei uns im Lendenbereich - die gleiche Zusammensetzung und auch die Zellpopulation ist bei den Kuhschwänzen genau identisch zu unseren Zellen."
Tag-Nacht-Rhythmus wird simuliert
Die Kuhbandscheiben werden in einer Nährlösung am Leben gehalten und kommen dann in einen Bioreaktor. Eine Spezialvorrichtung erlaubt, Veränderungen in den Zellstrukturen zu untersuchen, wenn die Bandscheiben über eine längere Zeit zusammengedrückt und leicht verdreht werden.
"Wenn Sie am Morgen aufwachen, Sie beschweren ihre Wirbelsäule, dann nimmt der Druck schlagartig zu und die Flüssigkeit wird aus ihrer Wirbelsäule herausgedrückt und die Bandscheiben beginnen zu schrumpfen. Und genau das machen wir hier, wir simulieren den Tag-Nacht-Rhythmus und wir versuchen zu verstehen, wie diese Zellen im natürlichen Rhythmus reagieren."
Grundlagenforschung: Was passiert in den Zellen, wie kommt es zu Rissen in der Bandscheibe mit den bekannten Folgen? Die Wissenschaftler um Benjamin Gantenbein sind noch am Anfang, doch das Ziel ist klar:
Der defekte äußere Ring der Bandscheibe soll so versiegelt werden, dass er sich nach einem operativen Eingriff auf natürliche Weise wieder regeneriert.
Die Idee: man verklebt den defekten Bandscheibenring mit einem Biomaterial, so wie man einen Fahrradschlauch flickt.
"Da ist unser Ansatz, dass man auf die alte Seide zurückgreift. Die hat sich als ein sehr gutes Biomaterial mit hoher Elastizität herausgestellt. Und gerade in dem Bereich der äußeren Bandscheibe, wo man viele Bewegungen macht, über viele Zyklen, dass es ein gutes Material ist und stabil halten kann."
Auf die Bandscheibe kommt ein Vlies
Erste Experimente laufen bereits. Dabei wird die aus Seidenraupen biotechnologisch gewonnene Flüssigkeit mit Wachstumsfaktoren versetzt und künstlich zu einem Vlies versponnen. Das Vlies kann dann auf die kaputte Bandscheibe geklebt werden, die – so die Hoffnung – nach längerer Zeit neue Bandscheibenzellen bildet und selbst heilt. Dieser Prozess kann allerdings mehre Monate oder gar einige Jahre dauern.
Inzwischen ist eine weitere Kuhbandscheibe freigelegt und fertig für ihre wissenschaftliche Aufgabe. Sicher bringt auch sie neue Erkenntnisse für Benjamin Gantendein und sein Forscherteam:
"Das Ideale wäre weg von der Mechanik, von Schrauben und Versteifungen, um die natürliche Flexibilität der Bandscheibe zu erhalten. Doch davon sind wir noch mehrere Jahrzehnte entfernt. Auch wenn es heutzutage moderne 3D-Drucktechnologien gibt, wo man Kunstmaterialien sehr schnell herstellen kann. Aber ein Organ zu drucken, das ist dann schon ein ganz anderer level."
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