Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bork arbeitete als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Stuttgarter Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet.
Auch kein Körperkontakt im Kinofilm
04:23 Minuten
Ellenbogen-Begrüßung statt Handschlag: Der Schutz gegen Corona hat unsere Umgangsformen verändert. Und nicht nur die, wie der Autor und Journalist Uwe Bork bemerkt. Er sieht sogar im Kino eine neue Biederkeit auf uns zukommen.
Ob nun in Hollywood oder in Babelsberg: Der Kuss kommt erst zum Schluss – wenn überhaupt. Körperliche Kontakte vor der Kamera werden derzeit weltweit lieber vermieden, ganz egal, ob es sich dabei nun um einen Kuss oder gar um einen Koitus handelt. Auch das Keuchen von Kämpfen ist momentan kaum noch zu hören. Liebevolles wie hasserfülltes Ringen sind gleichermaßen out. In der Filmindustrie achtet man streng auf Abstand, seit die Corona-Pandemie auch in diesem Metier die Produktionsplanung übernommen hat.
Für das hochverehrte Publikum dürfte das nicht ohne Folgen bleiben. Angesichts bleibend hoher Infektionszahlen verlautet aus Filmemacher-Kreisen bereits, dass "die neue Wirklichkeit mit dem Gebot des Abstandhaltens eine neue Bildsprache" erfordere. "Wir haben kluge, kreative Kamerafrauen und -männer sowie hochmotivierte Regisseurinnen und Regisseure, die mit Detailaufnahmen und intelligenter Kameraführung den Szenen Intensität verleihen und einen emotionalen Fluss erzeugen", heißt es.
Aha. Detailaufnahmen und intelligente Kameraführung also. Wir räkeln uns auf dem Sofa oder im Kinosessel und überlegen: Hatten wir das nicht schon einmal?
Für das hochverehrte Publikum dürfte das nicht ohne Folgen bleiben. Angesichts bleibend hoher Infektionszahlen verlautet aus Filmemacher-Kreisen bereits, dass "die neue Wirklichkeit mit dem Gebot des Abstandhaltens eine neue Bildsprache" erfordere. "Wir haben kluge, kreative Kamerafrauen und -männer sowie hochmotivierte Regisseurinnen und Regisseure, die mit Detailaufnahmen und intelligenter Kameraführung den Szenen Intensität verleihen und einen emotionalen Fluss erzeugen", heißt es.
Aha. Detailaufnahmen und intelligente Kameraführung also. Wir räkeln uns auf dem Sofa oder im Kinosessel und überlegen: Hatten wir das nicht schon einmal?
Der Film hat eine lange Verklemmtheitsgeschichte
In der Tat: Man muss nicht allzu tief in die Filmgeschichte hinabsteigen, um auf Liebesdramen zu stoßen, deren verklemmte Verschämtheit das vermeintlich "gesunde Volksempfinden" ganzer Generationen widerspiegelt. Hatte sich damals ein – natürlich heterosexuelles – Paar auf der Leinwand endlich gefunden und fuhr in der folgenden Einstellung ein Zug donnernd in einen Tunnel ein, wussten selbst Menschen ohne jede semiotische Vorbildung ziemlich genau, was das heißen sollte. Alternativ konnte der "emotionale Fluss" aber auch mit einem diskreten Schwenk zur Zimmerdecke, in den Kamin oder in die freie Natur seinen weiteren Lauf nehmen.
War das nun kunstvoll oder eher verkünstelt? Viel blieb von diesem Kino der Komplexe ohnehin nicht übrig. Selbst in öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen wird mittlerweile derart viel nackte Haut gezeigt, dass das vor noch nicht allzu langer Zeit für den keuschen Hinweis gereicht hätte: Die folgende Sendung ist für Zuschauer unter 18 Jahren nicht geeignet.
Nun ist cineastische Erotik keine Frage der detailgenauen Abbildung von Geschlechtsorganen, beileibe nicht. Derart prosaische Fantasielosigkeit gilt es weder zu fordern, noch zu fördern. Erotik ohne Körperlichkeit ist dennoch nicht denkbar, und sei es auch nur der frankophile Schickeria-Kuss auf die Wange.
Nun ist cineastische Erotik keine Frage der detailgenauen Abbildung von Geschlechtsorganen, beileibe nicht. Derart prosaische Fantasielosigkeit gilt es weder zu fordern, noch zu fördern. Erotik ohne Körperlichkeit ist dennoch nicht denkbar, und sei es auch nur der frankophile Schickeria-Kuss auf die Wange.
Läutet Corona eine neue Epoche der Prüderie ein?
Vom italienischen Regisseur Pier Paolo Pasolini stammt die Theorie, das strukturierende Prinzip eines Films sei die Imitation menschlichen Handelns. Oder einfacher ausgedrückt: Filme sind – gewollt oder ungewollt – stets ein Abbild der Gesellschaft, in der sie entstanden sind. Gehen wir beispielsweise gegenseitig auf permanenten Sicherheitsabstand ohne jegliche Berührung, so wird sich das mit einem gewissen zeitlichen Versatz auch auf der Leinwand wiederfinden.
Die Pandemie könnte uns so eine verlogene Prüderie zurückbringen, und zwar nicht nur im Kino, sondern ebenso abseits der Traumpaläste. Eine neue Biederkeit, dieses Mal nicht mehr im Namen der Moral, sondern in jenem der Medizin, ließe die Früchte der sexuellen Revolution verdorren. Detailaufnahmen und intelligente Kameraführung hin oder her.
Profitieren wird davon leider jene schmierige Industrie, die in der Anonymität des Internets besonders blüht: die Pornobranche. Sie wusste schon immer, verbotene und verpönte Lust zu Geld zu machen. Koste es, was es wolle.
Die Pandemie könnte uns so eine verlogene Prüderie zurückbringen, und zwar nicht nur im Kino, sondern ebenso abseits der Traumpaläste. Eine neue Biederkeit, dieses Mal nicht mehr im Namen der Moral, sondern in jenem der Medizin, ließe die Früchte der sexuellen Revolution verdorren. Detailaufnahmen und intelligente Kameraführung hin oder her.
Profitieren wird davon leider jene schmierige Industrie, die in der Anonymität des Internets besonders blüht: die Pornobranche. Sie wusste schon immer, verbotene und verpönte Lust zu Geld zu machen. Koste es, was es wolle.