Rückkehr der Raubtiere
Durch Braunbär Bruno wurde im vergangenen Jahr auch eine Debatte darüber ausgelöst, inwieweit größere Raubtiere wieder Platz in Deutschland finden sollten. Josef Reichholf und Jürgen Heup befassen sich in ihren Büchern mit dieser Frage und klären zugleich darüber auf, weshalb in den vergangenen Jahrhunderten der Lebensraum für diese Tiere immer weiter eingeschränkt wurde.
Als Bruno im letzten Jahr im Morgengrauen zur Strecke gebracht wurde, ging ein Aufschrei durch die Medien. Die Argumentation der bayerischen Staatsregierung, der Braunbär habe seine natürliche Scheu vor den Menschen verloren und sei darum zur Gefahr geworden, besänftigte die empörte Öffentlichkeit kaum.
Auch der Hamburger Journalist Jürgen Heup verteidigt mit dieser Begründung in seinem Buch "Bär, Luchs und Wolf" den Abschuss. Der Münchner Zoologe Josef Reichholf widerspricht dem in seinem Buch "Der Bär ist los" vehement. Für ihn ist Brunos Ende Ergebnis einer unseligen Tradition Generationenlang wiedergekäuter Vorurteile, die zur weitgehenden Ausrottung aller Raubtiere in Deutschland geführt hat.
Bruno, so Reichholf, ist ein ganz normaler Braunbär gewesen. Er hat aus Hunger Schafe geschlagen, Hühner gerissen. Doch vor dem Menschen ist er ausgerissen. Er habe damit ein Verhalten gezeigt, das für alle wilden Großtiere gleichermaßen gilt. Ob Wolf oder Luchs, Adler oder Fischotter: sie alle sind extrem scheu, meiden den Menschen, wo immer es ihnen möglich ist, verteidigen sich höchstens, glauben sie ihre Kinder bedroht. Jedes Wildschwein mit Frischlingen ist aggressiver. Märchen wie Rotkäppchen und der böse Wolf sind zweckdienliche Lügen der Jägerschaft, um ihre Abschüsse zu rechtfertigen. Der Jagdneid, darin sind sich beide Autoren wieder einig, schürt Vorurteile.
Jürgen Heup legt in seinem Buch eine naturkundliche Bestandsaufnahme all jener wilden Tiere vor, die in Deutschland wieder anzutreffen sind. Da reicht von den bekannten Raubtieren wie Wolf, Luchs und Wildkatze über Elch und Wisent – ja, es gibt sie tatsächlich wieder – Adler und Uhu bis hin zu Fischotter und Kegelrobbe. Insgesamt 20 Tiere listet der Autor auf, erklärt Herkunft und Geschichte, beschreibt anschaulich und detailreich Lebensweise, Nahrung und Verhalten in der Wildnis, fügt einen Steckbrief an, nach dem jeder sie bestimmen kann. Viele Fotos ergänzen die einzelnen Kapitel. Eine solide Arbeit – nüchtern, sachlich mit handfesten Fakten. Quintessenz des Buches: Es gibt durchaus genügend Platz in Deutschland für die Rückkehr dieser Tiere. Sie gefährden niemanden. Die Schäden, die sie in Wald und Landwirtschaft anrichten, sind minimal.
Jürgen Heup versteht sein Buch denn auch als Plädoyer für, wie er schreibt, "mehr Gelassenheit, Toleranz und Achtung", um "künftig auch jene Mitbewohner in ‚unserem’ Lebensraum zu dulden, die wir – aus einem einseitigen Blickwinkel heraus – als "Problem-Tiere" einstufen."
Josef Reichholf verfolgt in seinem Buch "Der Bär ist los" durchaus denselben Ansatz. Nur geht er ganz anders vor. Ihn interessieren die kulturgeschichtlichen Ursachen für die Verfolgung der Großtiere und ihre Dämonisierung. Sobald die Menschen sesshaft wurden, verwandelten sich die vorher gottähnlich verehrten Tieren in verhasste Räuber, denn sie sahen im Wald weidende Haustiere verständlicherweise als leichte Beute an und drangen in harten Wintern auch in Ställe ein, um Schafe oder Hühner zu reißen. Jägerlatein wie Säuglingsraubende Adler schürten vorsätzlich den Zorn. Selbst Kolkraben mussten dran glauben, weil man sie als Unglückvögel verunglimpfte. Bis heute hält sich der Volksglaube, sie hackten Lämmern die Augen aus.
Da in den Wäldern damals nur wenig Wild lebte, sahen zudem die Adligen, die das Jagdprivileg besaßen, in allen Raubtieren, groß oder klein, Konkurrenten. Die galt es auszurotten. Bauern und Jäger gingen eine unheilige Allianz ein. Das erklärt, warum das Jagdrecht bis heute erlaubt, Katzen und Hunde, die sich mehr als ein paar hundert Meter vom Ortsrand entfernt haben, abzuschießen, so als wären sie gemeingefährlich. Da kann dann ein Wolf leicht "versehentlich" als wildernder Schäferhund abgeschossen werden. Die erfolgreiche Wiederansiedlung der Adler zeigt deutlich, wie wirksam strikte Jagdverbote und konsequente Schutzmaßnahmen sind.
Während Jürgen Heup glaubt, dass die Ausweisung von großen Schutzräumen ausreicht, um die Rückkehr der wilden Tiere in Deutschland zu ermöglichen, bemängelt Josef Reichholf in seinem Buch die zahlreichen rechtlichen Schwierigkeiten, die vielen Wiederansiedlungsversuchen im Wege stehen. Die Politik solle sich die großzügigen Naturschutzgebiete in den neuen Bundesländern zum Vorbild nehmen und nicht mehr vor Minderheiten wie Jägern und Bauern kuschen. Bei allen Erfolgen wird es seiner Ansicht nach "keine (absehbare) Zukunft für Bären oder gar für Wölfe in Deutschland geben." Ein trauriges Fazit.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Josef Reichholf: Der Bär ist los – Ein kritischer Lagebericht zu den Überlebenschancen unserer Großtiere
Herbig Verlag
München 2007
213 Seiten, 17,90 Euro
Jürgen Heup: Bär, Luchs und Wolf – Die stille Rückkehr der wilden Tiere
Kosmos Verlag, Stuttgart
155 Seiten, 19,95 Euro
Auch der Hamburger Journalist Jürgen Heup verteidigt mit dieser Begründung in seinem Buch "Bär, Luchs und Wolf" den Abschuss. Der Münchner Zoologe Josef Reichholf widerspricht dem in seinem Buch "Der Bär ist los" vehement. Für ihn ist Brunos Ende Ergebnis einer unseligen Tradition Generationenlang wiedergekäuter Vorurteile, die zur weitgehenden Ausrottung aller Raubtiere in Deutschland geführt hat.
Bruno, so Reichholf, ist ein ganz normaler Braunbär gewesen. Er hat aus Hunger Schafe geschlagen, Hühner gerissen. Doch vor dem Menschen ist er ausgerissen. Er habe damit ein Verhalten gezeigt, das für alle wilden Großtiere gleichermaßen gilt. Ob Wolf oder Luchs, Adler oder Fischotter: sie alle sind extrem scheu, meiden den Menschen, wo immer es ihnen möglich ist, verteidigen sich höchstens, glauben sie ihre Kinder bedroht. Jedes Wildschwein mit Frischlingen ist aggressiver. Märchen wie Rotkäppchen und der böse Wolf sind zweckdienliche Lügen der Jägerschaft, um ihre Abschüsse zu rechtfertigen. Der Jagdneid, darin sind sich beide Autoren wieder einig, schürt Vorurteile.
Jürgen Heup legt in seinem Buch eine naturkundliche Bestandsaufnahme all jener wilden Tiere vor, die in Deutschland wieder anzutreffen sind. Da reicht von den bekannten Raubtieren wie Wolf, Luchs und Wildkatze über Elch und Wisent – ja, es gibt sie tatsächlich wieder – Adler und Uhu bis hin zu Fischotter und Kegelrobbe. Insgesamt 20 Tiere listet der Autor auf, erklärt Herkunft und Geschichte, beschreibt anschaulich und detailreich Lebensweise, Nahrung und Verhalten in der Wildnis, fügt einen Steckbrief an, nach dem jeder sie bestimmen kann. Viele Fotos ergänzen die einzelnen Kapitel. Eine solide Arbeit – nüchtern, sachlich mit handfesten Fakten. Quintessenz des Buches: Es gibt durchaus genügend Platz in Deutschland für die Rückkehr dieser Tiere. Sie gefährden niemanden. Die Schäden, die sie in Wald und Landwirtschaft anrichten, sind minimal.
Jürgen Heup versteht sein Buch denn auch als Plädoyer für, wie er schreibt, "mehr Gelassenheit, Toleranz und Achtung", um "künftig auch jene Mitbewohner in ‚unserem’ Lebensraum zu dulden, die wir – aus einem einseitigen Blickwinkel heraus – als "Problem-Tiere" einstufen."
Josef Reichholf verfolgt in seinem Buch "Der Bär ist los" durchaus denselben Ansatz. Nur geht er ganz anders vor. Ihn interessieren die kulturgeschichtlichen Ursachen für die Verfolgung der Großtiere und ihre Dämonisierung. Sobald die Menschen sesshaft wurden, verwandelten sich die vorher gottähnlich verehrten Tieren in verhasste Räuber, denn sie sahen im Wald weidende Haustiere verständlicherweise als leichte Beute an und drangen in harten Wintern auch in Ställe ein, um Schafe oder Hühner zu reißen. Jägerlatein wie Säuglingsraubende Adler schürten vorsätzlich den Zorn. Selbst Kolkraben mussten dran glauben, weil man sie als Unglückvögel verunglimpfte. Bis heute hält sich der Volksglaube, sie hackten Lämmern die Augen aus.
Da in den Wäldern damals nur wenig Wild lebte, sahen zudem die Adligen, die das Jagdprivileg besaßen, in allen Raubtieren, groß oder klein, Konkurrenten. Die galt es auszurotten. Bauern und Jäger gingen eine unheilige Allianz ein. Das erklärt, warum das Jagdrecht bis heute erlaubt, Katzen und Hunde, die sich mehr als ein paar hundert Meter vom Ortsrand entfernt haben, abzuschießen, so als wären sie gemeingefährlich. Da kann dann ein Wolf leicht "versehentlich" als wildernder Schäferhund abgeschossen werden. Die erfolgreiche Wiederansiedlung der Adler zeigt deutlich, wie wirksam strikte Jagdverbote und konsequente Schutzmaßnahmen sind.
Während Jürgen Heup glaubt, dass die Ausweisung von großen Schutzräumen ausreicht, um die Rückkehr der wilden Tiere in Deutschland zu ermöglichen, bemängelt Josef Reichholf in seinem Buch die zahlreichen rechtlichen Schwierigkeiten, die vielen Wiederansiedlungsversuchen im Wege stehen. Die Politik solle sich die großzügigen Naturschutzgebiete in den neuen Bundesländern zum Vorbild nehmen und nicht mehr vor Minderheiten wie Jägern und Bauern kuschen. Bei allen Erfolgen wird es seiner Ansicht nach "keine (absehbare) Zukunft für Bären oder gar für Wölfe in Deutschland geben." Ein trauriges Fazit.
Rezensiert von Johannes Kaiser
Josef Reichholf: Der Bär ist los – Ein kritischer Lagebericht zu den Überlebenschancen unserer Großtiere
Herbig Verlag
München 2007
213 Seiten, 17,90 Euro
Jürgen Heup: Bär, Luchs und Wolf – Die stille Rückkehr der wilden Tiere
Kosmos Verlag, Stuttgart
155 Seiten, 19,95 Euro