Eine Großfamilie lebt von neun Euro Tagesverdienst
Angela Merkel reist am Mittwoch zu den EU-Beitrittsgesprächen nach Serbien. Dort wird auch die Situation der Roma verhandelt - die in Deutschland keine Chance auf Asyl haben. Auch wenn auf sie nach ihrer Abschiebung kaum eine Perspektive wartet.
edrija und Sasa Asanovic sind nervös. Zum zweiten Mal in ihrem Leben sitzen sie in einem Flugzeug. Der erste Flug war mit einer Militärmaschine. Vom Baden Airport wurde die Familie nach zehnjähriger Duldung 2002 mit ihren beiden Kindern nach Serbien abgeschoben. Sie kamen wieder – und müssen nun wieder gehen. Dieses Mal freiwillig.
Bedrija und Sasa sind Roma. Cigani, Zigeuner nennt man sie auf dem Balkan und das ist meist als Schimpfwort gemeint. Sie wissen nicht, was sie in ihrer Heimat Serbien erwartet.
Sasa Asanovic: "Ich denke, es ist das Beste für uns in Deutschland zu leben. Aber schade, dass wir Deutschland verlassen müssen."
Der Asylantrag der beiden ist aussichtslos. Die beiden haben ihn zurückgezogen. An diesem Samstagmorgen verlassen sie das Land ihrer Träume. Den Rückflug haben Freunde bezahlt.
Bedrija schaut unbeteiligt aus dem Flugzeugfenster. Unten ist der Neckar zu sehen,Sasa wischt ihr Tränen aus dem Gesicht. Seit 28 Jahren ist das Paar verheiratet.Beide sind zwischen 40 und 50 Jahre. Sasa fährt sich durch seine kurzen, schwarz-grau melierten Haare. "Immer müssen wir ganz unten starten", sagt er und kämpft auch mit Tränen.
An der Bushaltestelle vor dem Flughafen prüft Bedrija den Inhalt ihres Koffers. Hosen, Schuhe, Röcke, Handtücher aus einer Kleiderkammer für Flüchtlinge. "Das ist alles, was ich habe", erklärt Bedrija.
Bedrija Asanovic: "Muss man wieder versuchen. arbeiten gehen, essen besorgen, alles was wir brauchen. Jetzt (gibt es nichts) vom Sozialamt. Das gibt es nur im Winter, da kriegen wir ein bisschen Geld, zum Leben, zur Miete … aber sonst kriegen (wir) nichts im Sommer."
Rückkehr gilt als Niederlage
34 Grad. Die beiden steigen in einen Überlandbus und kommen nach vier Stunden in ihrer Heimstadt Prokuplje an: 30.000 Einwohner.
Mit Koffern und Taschen beladen eilt das Paar in Richtung Ortsausgang zu ihrer alten Wohnung. Die Wohngegend macht auf den ersten Blick einen fast gepflegten Eindruck. Ein paar neue Häuser, der Rest ist mit bescheidenen Mitteln renoviert. Mülltonen reihen sich nebeneinander, vereinzelt sind ältere Frauen in Hinterhöfen zu sehen. Sasa und Bedrija schauen weder links noch rechts. Die Rückkehr aus Deutschland gilt als Niederlage, sie wollen möglichst wenigen begegnen. Ein weißhaariger, alter Mann kommt ihnen entgegen.
Es ist Sasas älterer Bruder Jovica. Die Wiedersehensfreude ist gedämpft.
"Warum kommst du zurück?", fragt der Bruder, der erst 52 Jahre alt sein soll, aber aussieht wie ein Greis. "Wir konnten nicht bleiben, keiner kann bleiben", erklärt ihm Sasa. "Hier gibt es auch kein Brot", sagt der Bruder und läuft resigniert weiter.
Sie stehen an ihrer alten Wohnungstür. Die Wohnung ist im Keller eines Mehrfamilienhauses. Bedrija entschuldigt sich mehrfach für das, was gleich zu sehen ist:
"Ich kann nicht fliesen hier, ohne Geld kann man nichts reparieren …"
Es ist dunkel und muffig. Keine Lampe funktioniert, etwas Tageslicht kommt durch das Badezimmerfenster. Die Wasserleitungen im Bad liegen frei, es tropft von der Decke. Neben dem Bad die Küche. Ein Beistellherd steht mitten im Raum, ein Kochherd, Tisch und Stühle. Der Bodenbelag ist gewölbt, alles ist feucht. Baufällig ist die Wohnung - und doch ist alles ordentlich aufgeräumt.
Sasa zeigt auf eine Liege am Ofen:
"Ich und Bedrija hier schlafen, im anderen Zimmer Dalibor und Kinder und Dalida."
Neun Euro für acht Menschen
Mit den beiden erwachsenen Kindern, deren Partnern und zwei Enkelkindern haben Bedrija und Sasa bis im vergangenen Oktober hier gelebt. Acht Menschen auf rund 60 Quadratmetern. Bedrija und Sasa haben ihr Geld bis zum Jahrhunderthochwasser im Frühjahr 2014 in der Obsternte verdient. Zusammen neun Euro am Tag. Damit haben sie acht Leute durchgebracht, denn die beiden erwachsenen Kinder fanden keine Arbeit.
"Die wenigen Jobs, die es überhaupt gibt, gehen meist an Serben",
sagt Bedrija. Gereicht hat es nicht. Bedrija schüttelt den Kopf und geht zur Haustür.
"Sie haben uns das Licht abgestellt, die Wohnung war kalt und wir haben nichts mehr zum Essen gehabt."
Sasa holt Post aus dem Briefkasten. Stapelweise Werbung und dazwischen ein Brief. Seine Hände zittern beim Öffnen: Es ist eine Stromnachzahlung, etwa 600 Euro. Sasa telefoniert, sie müssen gleich am Montag wieder Jobs in der Obsternte finden.
"Sonst schaffen wir es dieses Mal nicht einmal bis zum Oktober",
sagt Sasa zu seiner Frau Bedrija und hofft auf die neun Euro am Tag. Davon muss die Stromrechnung abgestottert werden. Sonst bleibt es dunkel im Winter in Serbien.