Literaturliste:
Christian Baron "Ein Mann seiner Klasse", Claassen 2020
Anke Stelling "Schäfchen im Trockenen", Verbrecher Verlag 2019
Nicolas Mathieu "Wie später ihre Kinder", Hanser Berlin 2019
Annie Ernaux "Eine Frau", Suhrkamp 2019
Didier Eribon "Rückkehr nach Reims", Suhrkamp 2016
Didier Eribon "Gesellschaft als Urteil", Suhrkamp 2017
Michael Donkor "Halt", Edition Nautilus 2019
Anthony Powell "Ein Tanz zur Musik der Zeit", Elfenbein 2015 - 2018
Diese Bücher klagen an!
09:45 Minuten
Das Thema „Klassengesellschaft“ oder „Klasse“ taucht in Büchern der neueren deutschen Literatur immer häufiger auf. Beim Blick nach England und Frankreich stellt der Journalist Hans von Trotha fest, das Thema kommt bei uns gerade erst an.
Nicht erst seit Christian Barons Roman "Ein Mann seiner Klasse" spielt der Begriff der Klasse in der Literatur wieder eine Rolle. Es gebe noch andere Beispiele dafür, sagt der Journalist und Historiker Hans von Trotha im Deutschlandfunk Kultur.
In Anke Stellings Buch "Schäfchen im Trockenen" warne beispielsweise eine Mutter ihre Tochter vor der Undurchlässigkeit der gesellschaftlichen Schichten. Sie, die Mutter, komme von ganz unten. An die Tochter gerichtet prophezeit sie ihr, selbst als erfolgreiche Publizistin werde sie da nicht herauskommen. Die literarische Feststellung der eigenen Klasse sei in der bundesrepublikanischen Literatur nie so stark gewesen wie im Moment, sagt von Trotha.
Illusion vom Aufstieg durch Bildung
Die Authentizität der literarischen Darstellung komme von innen heraus und habe viel mit autobiografischen Aspekten der Autoren zu tun, glaubt von Trotha.
"Wir sind groß geworden mit dem Glauben, wir haben eine Nachkriegsgesellschaft geschaffen, in der jedem der Aufstieg durch Bildung möglich ist", sagt er und ergänzt: "Diese Bücher sind eine Anklage." Aufstieg durch Bildung sei vielleicht für eine Generation möglich gewesen, aber in Wahrheit sei das eine Illusion. Die Bildungsforschung der letzten Jahre zeige, dass gerade Deutschland für Aufstieg durch Bildung das am wenigsten durchlässige Land sei.
Einen Gedanken aus Anke Stellings Roman hebt von Trotha hervor. Sie schreibt: "Wenn wir Klassenbewusstsein gehabt hätten, hätten wir anders gehandelt." Das bedeute, die Autorin hat offenbar das Gefühl, in eine Welt gekommen zu sein, in der sie falsch gehandelt habe, weil ihr die Welt vorgaukle, dass es die Klassengesellschaft nicht gebe. Tatsächlich gebe es aber kein Entrinnen.
Blick auf französische Literatur
Beim Blick nach Frankreich hat von Trotha Nicolas Mathieus Buch "Wie später ihre Kinder" beeindruckt. Das Buch gewann den Prix Goncourt und Mathieu spreche darin vom "ewigen Kreislauf, der das Schicksal seiner Klasse zum Ausdruck bringe". Dieser Gedanke werde darin als Panorama der französischen Gesellschaft dargestellt.
Auch Annie Ernaux beschreibe in "Eine Frau" mit Blick auf ihre Mutter, was es im modernen Frankreich des 20. Jahrhunderts bedeutet, zur Unterschicht zu gehören. Und nicht zuletzt sei Didier Eribons Buch "Rückkehr nach Reims", in dem es auch um Klassenzugehörigkeit geht, in Frankreich in der 19. Auflage unglaublich erfolgreich.
All diese Bücher seien in Zügen autobiografisch, zugleich aber soziologisch unterlegte Analysen, sagt von Trotha. In Deutschland werde das Thema eher romanhaft aufbereitet.
In England waren die Klassen immer da
In England wiederum, stellt von Trotha fest, waren die Klassen immer da. Als Beispiel könne Anthony Powell gelten. In seinem Werk "Ein Tanz zur Musik der Zeit" schreibt er von den 1950er- bis in die 70er-Jahre von seinem Leben in der englischen Upperclass.
Dieser Blick auf die englische Upperclass scheint plötzlich gefragt zu sein. Bereits in den 1970er-Jahren wurde der Versuch unternommen, Powells Werk ins Deutsche zu übersetzen. Das Interesse daran, war aber nicht groß genug. Nun hat der Elfenbeinverlag zwölf Bände übersetzt und bereits in mehreren Auflagen verkauft.
In England war die Klasse immer ganz präsent, resümiert von Trotha daher, Frankreich werde seit vielen Jahren durch autobiografische Texte aufgewühlt und bei uns scheint dieses Thema in der Literatur gerade erst anzukommen.
(nis)
Andrea Gerk traf Christian Baron, Autor des Buches "Ein Mann seiner Klasse":
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