Das Streichquartett Nr. 1 von Béla Bartók
Als "intimes Drama, als eine Art Rückkehr ins Leben vom Rande des Nichts": So hörte Zoltán Kodály das erste Streichquartett seines Freundes Béla Bartók. Ob solch biografisch-psychologische
Deutung zum Verständnis des Werks beiträgt? Um diese und andere Fragen geht es bei den "Interpretationen" zum Auftakt
einer lockeren Folge weiterer Sendungen über das Quartettschaffen des ungarischen Komponisten.
Als einziges Quartett Bartóks lässt das 1907/08 komponierte Werk Züge eines privat-biografischen und programm-musikalischen Konzepts erkennen: die Verarbeitung einer gescheiterten Liebesbeziehung - zu der Geigerin Stefi Geyer - und die trostreiche "Antwort" des Künstlers als lebensrettende Entbindung schöpferischer Kräfte mit dem Ziel stilistischer Selbstfindung.
Diese "Thematik" verbindet das Werk auch (leit-)motivisch mit zeitnah entstandenen Kompositionen (1. Violinkonzert, 14 Bagatellen für Klavier, Zwei Porträts für Orchester u. a.), so dass hier – werkintern wie werkeübergreifend – noch einmal die "Idée fixe" Berliozscher oder Lisztscher Prägung aufscheint. Neben diesem romantischen Erbteil, zu dem auch Tristansche Klangbildungen gehören, neben Inspirationen durch Debussysches Kolorit, orientiert sich Bartók am Vorbild Beethovens, greift er Formideen des späten Cis-Moll-Quartetts op. 131 auf.
Und nicht zuletzt deutet sich bereits die wichtigste Innovation des ungarischen Meisters an: die Überwindung der Spätromantik durch radikale harmonische Erweiterung aus archaischen Schichten osteuropäischer beziehungsweise außereuropäischer Volksmusik.
Von daher ist Bartóks 1. Streichquartett ein Schwellenwerk, in dessen Polystilistik sich die besonderen interpretatorischen und spielerischen Anforderungen begründen. Mit den Aufnahmen des Ungarischen Streichquartetts, des Végh-, des Berg-, des Hagen-, des Belcea- Quartetts sowie des Quatuor Ébène bieten die "Interpretationen" eine Mischung historischer und aktueller Einspielungen.