Das Scheitern von Liz Truss

"Die Konservative Partei ist völlig außer Rand und Band"

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Die britische Premierministerin Liz Truss kehrt nach ihrem Statement vor der 10 Downing Street den Zuschauern den Rücken.
Die britische Premierministerin Liz Truss am 20. Oktober 2022 vor Downing Street 10 nach ihrer Rücktrittsankündigung. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Tayfun Salci
James Hawes im Gespräch mit Gabi Wuttke |
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Nicht Premierministerin Liz Truss, sondern die Konservative Partei, die sie in das Amt wählte, habe versagt, sagt der Schriftsteller James Hawes. Das britische Zweiparteiensystem und das Fehlen einer Leitkultur hätten ebenfalls Anteil an der Krise.
Nach nur 44 Tagen ist Liz Truss vom Amt der britischen Premierministerin zurückgetreten: "I can not deliver the mandate on which I was elected by the Conservative Party". Sie könne das Mandat nicht erfüllen, für das sie von der Konservativen Partei gewählt worden sei.
Noch nie war eine Amtszeit so kurz. Für den britischen Autor James Hawes zeigt das: Großbritannien ist im Moment so gut wie unregierbar. "Wer das schaffen kann", so Hawes, "weiß ich nicht. Es scheint, dass vielleicht doch Boris Johnson zu uns zurückkommt."
Ein mögliches Comeback von Boris Johnson - wie kann das sein? "Das kann sein, weil die Konservative Partei völlig außer Rand und Band ist", so Hawes. Es habe mit dem Brexit begonnen. Und trotzdem sei das, was jetzt passiert ist, auch vor ein paar Wochen noch völlig unabsehbar gewesen.

Die falsche Kandidatin

War also Liz Truss nicht die falsche für das Amt, sondern die Partei hat versagt? "Genau das", ist James Hawes überzeugt. Es sei "welthistorische Ironie": "Die konservativen Abgeordneten fürchteten, Sitze zur Labourpartei im Norden und zu den Liberalen im Süden zu verlieren, haben Boris Johnson weggejagt. Dafür haben sie Liz Truss bekommen, die unter den liberalen Südengländern verhasst ist."
James Hawes zufolge hat die Partei die falsche Kandidatin gewählt. "Die Abgeordneten sind überwiegend Rentner aus dem Süden Englands, die haben Liz Truss gewählt." Mindestens die Hälfte der etwa 180.000 Mitglieder starken Partei wäre in Deutschland laut Hawes zwangsläufig Mitglied der AfD, nicht der CDU.

Die Welt des "souveränen Ichs"

"Der tiefe Sinn des Brexit war immer, England aus Europa zu reißen, damit es eine Zweigstelle eines republikanischen Amerikas werden kann", analysiert Hawes. Liz Truss glaube, in Anlehnung an den österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek, wie die Trump-Anhänger in Amerika an eine Welt des "souveränen Ichs".
"Das sind die Superreichen", so James Hawes, "die so genannten 'Gründer' von Firmen, die angeblich die einzigen sind, die wirklich schöpferisch sind in der Gesellschaft sind".
"Solche Leute sollen laut Liz Truss, laut Trump sollen ihr Geld hinstecken dürfen, wohin sie wollen, ohne dass irgendjemand das Recht hat zu fragen 'Wieso?', 'Warum?' 'Wo?'. Sie sollen ihre Mitarbeiter fristlos entlassen dürfen. Das ist die Welt, die sie will: die Welt der reinen, blutrünstigen freien Marktwirtschaft."
James Hawes sieht das Problem seines Landes darin, dass das Vereinigte Königreich keine Leitkultur habe. "Weil wir Briten an sich keine Nation sind", erklärt er weiter. "Wir sind mehr ein Vielvölkerstaat: Schotten, Waliser und die Nordiren haben alle eigene Kulturen, eigene Sprachen und Geschichte."
Die Geschichte sei teilweise auch noch eine von miteinander verfeindeten Nationen.

Verfluchtes Zweiparteiensystem

Auch im politischen System Großbritanniens sieht James Hawes Ursachen für die derzeitige Krise: "Unser verfluchtes Zweiparteienwesen hat dazu geführt, dass keine Partei je im nationalen Interesse handelt. Jede Partei schaut nur auf die eigene Basis."
Die Conservative Party sei die Partei des englischen Südens, Labour die des englischen Nordens.
Der Norden habe historisch normalerweise eine Art Bündnis mit Schottland. "Da Schottland nun aber nationalistisch gestimmt ist, ist eben dieses Bündnis zerfallen. Das hat dazu geführt, dass Südengland und die Conservative Party die Macht haben."
Der britische Schriftsteller James Hawes
Der britische Schriftsteller James Hawes: "Keine Partei hat je im nationalen Interesse gehandelt."© picture alliance / dpa / Revierfoto
Wenn London immer wieder "Nein" sage, könne das dazu führen, dass das Vereinigte Königreich von einem Bündnis von freien Staaten zu einem Bündnis des Gesetzes werde, ist Hawes überzeugt – also eigentlich ein England nur, das Gewalt hat über Schottland und Wales. Das wiederum, so Hawes, "kann nur dazu führen, dass Schottland unabhängig wird, glaube ich."
(mfied)
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