Sport mit Perspektivwechsel
Sie sind daran gewöhnt, komisch angeguckt zu werden, wenn sie trainieren: Christoph Diehl und Achim Aretz sind Rückwärtsläufer, gerade bereiten sie sich auf die Weltmeisterschaft vor. Alles fing nach einer durchzechten Partynacht an.
"Vorsicht Pfütze, da ist 'ne Wurzel. Gut, einmal nach rechts und weiter, alles frei."
Christoph Diehl sagt Achim Aretz, wo es lang geht. Seit Wochen bereiten sich die beiden Freunde auf die Weltmeisterschaft in Essen vor. Heute trainieren sie im Tandem. Der eine läuft mit tänzelnden Schritten und ausholenden Armbewegungen rückwärts, der andere vorwärts. Immer im Wechsel:
"Ist natürlich eine Vertrauensfrage, man muss sich total auf den anderen verlassen können, aber wenn man das kann, kann man ganz entspannt rückwärts laufen. Ist natürlich auch viel angenehmer wenn man keine Gedanken über Hindernisse verschwenden muss."
"Dann kann man sich auch echt gut unterhalten, weil man sich ja auch angucken kann, beim Tandem läuft man so, dass man sich in die Augen gucken kann, dass man sich unterhalten kann und das ist schon ein Vorteil. Und wenn man jetzt richtig schnell laufen will, dann ist es natürlich eine große Hilfe wenn man sich nicht ständig umgucken muss."
"Da kommen grad ein paar Leute, aber die sehen dich, keine Sorge, die weichen aus."
"Es erfordert eine gewisse Courage"
Um gemeinsam laufen zu können, ist Achim Aretz für ein paar Tage nach Berlin gekommen. Er hält die Weltrekorde im Marathon und Halbmarathon und ist amtierender Weltmeister über 5000 Meter.
"Also, es war jetzt für mich sehr schön, Achim ein paar Tage da zu haben, wir sind auf den Tempelhofer Flughafen gegangen und zusammen rückwärts gelaufen, alleine rückwärts zu laufen, das muss man erst mal machen, ja, das erfordert schon ganz schön viel Mut, weil man auch ständig angesprochen wird, man fällt auf, es gibt Leute mittlerweile, die machen Videos von einem und lachen sich natürlich dann kaputt und wenn man einfach trotzdem das macht, das erfordert schon eine gewisse Courage, das erst mal zu machen."
Rückwärtsläufer werden belächelt und gelten als Exoten, dabei vollbringen sie beachtliche Leistungen. Der 100-Meter-Weltrekord der Männer steht bei 13,6 Sekunden. Rückwärts gelaufen wird aber nicht nur über kurze Distanzen, sondern auch auf allen langen Strecken.
"Da kommt wieder der Hund und weiter, gut, einmal links rüber und Rechtskurve."
Christoph Diehl und Achim Aretz kennen sich seit ihrer Studienzeit in Münster. Dort begannen sie vor knapp zehn Jahren eher zufällig mit dem Rückwärtslaufen:
"Es war so, dass Achim Aretz damit angefangen hat und ich hab mich dann einfach angeschlossen, weil ich immer für neue und etwas verrückte Sachen zu haben bin."
"Also bei mir war das keine freiwillige Entscheidung, es war der Morgen nach einer langen Studentenfeier als ich verkatert war und der Kumpel mit dem ich dann zusammen gelaufen bin, dem war das dann wohl so langsam, dass er sich umgedreht hat und ja, so hat das alles angefangen. Und eine Woche später sind wir dann auch mal ein paar hundert Meter rückwärts gelaufen und so wurden die Einheiten immer länger."
Sie sammeln Rekorde und Medaillen
2008 nahmen Achim Aretz und Christoph Diehl zum ersten Mal an einer Weltmeisterschaft teil. Seitdem sammeln sie Rekorde und Medaillen.
"Bei Wettkämpfen im Stadion rückwärts zu laufen, ist leicht. Man orientiert sich an den Bahnlinien. Außerhalb, in der freien Natur ist die Sturzgefahr größer. Vor allem auf unebenen Strecken lauern viele Hindernisse. Deshalb geht der Blick regelmäßig zurück über die Schulter und alle Sinne sind gespannt."
"Also, man hört genauer und man antizipiert genauer und man verlässt sich auch auf seine anderen Sinne mehr und man sieht immer schon das, was man schon geschafft hat, das ist auch gut."
"Ja, das ist schon ein entscheidender Teil beim Rückwärtslaufen, man bricht wirklich komplett aus dem Alltag dadurch aus, einfach durch diesen Akt des Umdrehens und dadurch sieht man Dinge anders, auch dann wenn man wieder zurückgeht, sozusagen, durch den Perspektivwechsel. Für mich ist das ein wichtiger Teil."
"Und immer weiter geradeaus, sehr gut. Super. Lass uns mal ein bisschen schneller laufen, komm..."
Achim Aretz und Christoph Diehl sind nicht nur als Athleten bei der Rückwärtslauf-Weltmeisterschaft in Essen dabei, sie gehören auch zu den Organisatoren. Gerechnet wird mit rund 200 Teilnehmern aus aller Welt. Auch ein australischer Athlet mit Handicap wird dabei sein. Als erster Mensch überhaupt wird er mit Unterschenkelprothesen rückwärts laufen.