Über diese Auto-Rennstrecke ist längst Gras gewachsen
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In den 20er-Jahren galt sie als schnellste Autorennbahn Europas, die Opel-Rennbahn am Südrand von Rüsselsheim. Heute bedeckt sie dichter Nadelwald, sie wurde ein "Lost Place". Doch seit einigen Jahren wird die Rennstrecke neu entdeckt.
Ein sandiger Waldboden, rund fünf Kilometer südlich von Rüsselheim. Ein Hinweisschild auf dem Hauptradwanderweg Richtung Mainz: "Alte Opelrennbahn 100 Meter links". Ich biege mit meinem Freund Claudio ab. Doch an der angegebenen Stelle ist für uns auf den ersten Blick erst einmal nichts von der einst schnellsten Autorennbahn Europas zu sehen. Nur Wald.
"Ja, es ist ziemlich zugewachsen", sagt eine Radlerin aus dem nahegelegenen Flörsheim, die hier ebenfalls kurz gestoppt hat. Sie deutet auf einen Erdwall mit großen Betonstücken, der einige Meter weiter aus dem Waldboden ragt. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie alte Kriegsbunker. An einer Stelle führt ein Trampelpfad rund anderthalb Meter hoch auf eine Betonfläche, die nicht überwuchert ist.
Ich steige hinauf und stehe Augenblicke später auf der Kante einer Steilkurve der Opelrennbahn, die hier vor 100 Jahren gebaut wurde. Ein paar hundert Meter weiter ragt eine Aussichtsplattform einige Meter hoch über die Reste der Piste im. Dort treffe ich Herbert Bartz, einen schlanken Mittsechziger:
"Wir befinden uns hier auf der Nordseite der ehemaligen Opel-Teststrecke. Eine Versuchsbahn. Die ist 1917, 1918 gebaut worden. Es ging ursprünglich darum, Pkw zu testen. Es hatten sich zunehmend Anwohner vor allem in Rüsselsheim-Süd über den zunehmenden Lärm der Testfahrer beschwert. Dann hat man hier im Rüsselsheimer Sand, so heißt das Gebiet hier, dieses Motodrom gebaut. Das ist ein 1,5 Kilometer langer Rundkurs und der diente hauptsächlich zur Fahrwerkserprobung."
140 km/h in den Steilkurven
Herbert Bartz ist von Beruf Ingenieur und hat bis zur seiner Pensionierung bei einem großen deutschen Autozulieferer gearbeitet. Die alte Autorennbahn im Wald fasziniert ihn schon seit vielen Jahren:
"Acht Meter breit ist die Strecke, im Innenbereich war Sand. Das war die Auslaufzone, die Sicherheitszone. Die Zuschauer durften sich nur im Innenbereich aufhalten. Etwa an der Stelle, wo wir jetzt stehen, war eine große Holzbrücke, über die man in den Innenraum gelangte. Da konnten bis zu 20.000 Zuschauer Platz finden. Diese Steilkurven hier hatten eine Geschwindigkeit von bis zu 140 Stundenkilometern. Das war ganz enorm für die damalige Zeit. Und sie galt 1925 als die schnellste Testrecke Europas."
Dort, wo mal Tausende standen, um etwa das erste Opel-Raketenauto zu bestaunen, das wenig später auch auf der Avus-Rennstrecke in Berlin fuhr, sind heute Hochsitze aufgestellt. Kleine Lichtungen im Fichtenwald bieten Schussfelder für die Wildschweinjagd. Auch aus der freigelegten Betonfläche ragen Baumstümpfe, auf die Herbert Bartz deutet:
"Man sieht, dass sich dicke, große Bäume entwickelt haben hinter der Strecke. Die hat man versucht, freizulegen und will das auch so ein bisschen rekultivieren, wie man so schön sagt."
"Man kann den Verfall nicht aufhalten"
Es kommen immer wieder Radfahrer auf die Aussichtsplattform, um sich die Rennbahn-Reste anzuschauen. Dirk Eckert ist ein Mann Mitte 50, der schon mehrere Jahrzehnte im nahegelegenen Opel-Stammwerk arbeitet. Er möchte nicht, dass die Rennbahn ganz vergessen wird:
"Wenn jemand sich was aus der Geschichte macht, dann ist das mit Sicherheit empfehlenswert. Man kann den Verfall nicht aufhalten, aber es ist gut, dass man einen Teil der Strecke noch freihält."
Die Lebensgefährtin, die an seiner Seite auf die Plattform gestiegen ist, betont: Dirk Eckert sei eben ein richtiger "Opelaner". Die aktuelle Lage der Automobilindustrie ist für einen kurzen Moment wichtiger als die Geschichte:
"Ihm tut das jetzt auch in der Seele weh, wenn er sieht, wie das jetzt auch immer kleiner wird und wie die Leute immer mehr entlassen werden oder wie das jetzt auf einmal nicht mehr Opel ist, sondern PSA wurde. Bei ihm ist es sehr stark vertreten."
Dirk Eckert nickt mit dem Kopf: "Ja. Ein guter Freund von mir, wir haben zusammen die Lehre angefangen, der ist heute auch noch bei Opel und der wohnt auch nicht weit von hier. Der betreibt auch noch Motorsport nebenher. Da ist der Geist natürlich auch da. Das geht gar nicht anders, wenn man so lange dabei ist."
Auf dem Rückweg im Wald denke ich: Solange diese "Opelaner" leben, wird auch die alte Rennbahn im "Rüsselsheimer Sand" nicht vergessen werden. Und gerade im Hochsommer ist sie ein guter Ort für Ausflüge – schon weil der Wald, der die Rennbahn überwuchert, kühlenden Schatten spendet.