"Hinterher sammelt niemand die Waffen wieder ein"
Sollen die Kurden im Irak deutsche Waffen bekommen? Diese Frage entzweit derzeit die Berliner Politik. Der Sicherheitsforscher Otfried Nassauer glaubt nicht, dass man mit Waffen Frieden schaffen kann.
Julius Stucke: Der Ruf wurde in dieser Woche immer lauter, der Ruf nach Waffenlieferungen für Kurden im Irak, um sich gegen die Terrorgruppe IS zu verteidigen. Selbstverteidigung oder den drohenden Völkermord verhindern – so oder ähnlich klingen die Argumente der Befürworter. Gegner halten dagegen, Waffen seien die absolut falsche Lösung für Krisenregionen, mit Waffen kann man keinen Frieden schaffen.
Ein Satz des Friedensforschers Martin Kahl gestern früh hier im Deutschlandradio Kultur hat uns aufhorchen lassen. Er sprach von dem Zusammenhang, je mehr die USA sich weltweit zurückhalten, desto weniger Konflikte gibt es. Und da haben wir uns gefragt, kann man denn genauso auch die simple Gleichung aufstellen: Je mehr Waffen in der Welt verteilt werden, desto mehr Kriege und mehr kriegerische Konflikte gibt es und wird es geben. Eine Gleichung, eine Frage für Otfried Nassauer, er leitet das Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit. Ich grüße Sie, Herr Nassauer!
Otfried Nassauer: Grüß Sie, Herr Stucke!
Stucke: Mehr Waffen gleich mehr Konflikte – geht diese Gleichung auf?
Nassauer: In gewisser Weise geht sie auf, ja, man kann allerdings empirisch keine direkten Zusammenhänge ableiten. Aber da, wo in großem Umfang Waffen verteilt worden sind in Konflikten, kann man beobachten, dass diese Konflikte in der Regel weitergehen, und nicht nur weitergehen, sondern dass auch die Waffen von den Konflikten A zu den Konflikten B wandern. Dann nehmen wir ein Beispiel: Waffen, die in den Jugoslawienkriegen aufgetaucht waren, waren vorher schon mal in den Libanonkriegen aufgetaucht, und hinterher, nach den 90er-Jahren, tauchten sie wieder im Nahen Osten auf.
Eine Schusswaffe hat eine Lebensdauer von 30, 50 oder mehr Jahren
Stucke: Gut, das heißt, einerseits verlängern sie Kriege und andererseits machen sie aber neue Konflikte auch erst möglich.
Nassauer: In der Tat, ja. Konflikte, die sowieso entstanden wären in der Regel. Alle Konfliktparteien versorgen sich für ihre Konflikte mit Waffenlieferungen, und diese Waffen werden dann nach Ende des Konfliktes in der Regel nach einer Weile wieder auf den Weltmarkt zurückgeschoben, schwarz gehandelt, weiß gehandelt, und werden in andere Konflikte wieder abgegeben. So eine normale Schusswaffe, die hat ja auf jeden Fall eine Lebensdauer von 30, 50 oder mehr Jahren, die kann schon einige Konflikte im Laufe der Zeit durchleben.
Stucke: Wie sieht es denn mit den konkreten aktuellen Beispielen aus, dem Irak oder auch aus den vergangenen Jahren Afghanistan: War es da genau ein ähnliches Problem, dass man Länder hochgerüstet hat und damit Konflikte verlängert und noch befruchtet hat?
Nassauer: Nehmen wir Afghanistan: Am Anfang wurden die Mudschaheddin beliefert, um die Sowjets aus Afghanistan zu vertreiben – das hatte Erfolg, aber danach ging der Krieg natürlich weiter. Und wenn wir heute auf Afghanistan gucken, dann ist es auch wieder ein gutes Beispiel: Die Amerikaner rüsten ja die afghanischen Sicherheitskräfte mit Waffen, die sie auf dem Weltmarkt gekauft haben, in großem Umfang aus, haben Waffen beschafft, die für mehr als die geplanten Sicherheitskräfte als Ausstattung reichen würden, haben aber schon die Kontrolle über einen Teil dieser Waffen vor der Verteilung verloren, indem sie nämlich deren Registrierung nicht anständig gemacht haben.
Und da beschwert sich auch der amerikanische Rechnungshof schon drüber. Auch deutsche Pistolen hat das betroffen, wir haben ja auch 10.000 Pistolen nach Afghanistan für die Ausstattung der Sicherheitskräfte abgegeben, und bei etwa der Hälfte gibt es keine anständige Registrierung vonseiten der Amerikaner.
Der mehrfache Neupreis für Gebrauchtwaffen
Stucke: Sie haben vorhin gesagt, direkt empirisch kann man diese These nicht belegen, aber es gibt dann doch schon Zahlen, die zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt.
Nassauer: Es gibt ein gewaltiges Maß an Indizien, das ist richtig, aber sozusagen eine direkte Kausalkette kann man in dem Kontext schwer aufmachen, da gäbe es immer wieder das ein oder andere Gegenargument. Es ist ja nicht so, dass man in solchen Konflikten, in denen die Konfliktparteien mit Waffen beliefert werden, hinterher jemand hingeht und die Waffen wieder einsammelt. Und wenn es mal versucht wird – die Amerikaner haben das zum Beispiel in Afghanistan versucht, als sie die Stinger-Raketen, die Luftabwehrraketen, die man tragen kann, von den Mudschaheddin zurückkaufen wollten, die haben sie nicht mal zurückgekriegt, als sie den mehrfachen Neupreis angeboten haben für die Gebrauchtwaffen, die sie in Afghanistan verteilt hatten.
Stucke: Nun kann man also die These aufstellen, mehr Waffen heißt irgendwie auch mehr Konflikte, aber es lässt sich, Sie sagen nicht kausal, direkt sagen, ich liefere Waffen, also wird hier oder dort sicher ein Krieg ausbrechen. Was also lernen wir aus der These, da sind wir dann am Ende dann doch bei der aktuellen Debatte wieder?
Nassauer: Richtig. Wir lernen eigentlich im Prinzip, dass diese Waffenlieferungen kontraproduktiv für das sein können, was wir erreichen wollen. Wir wollen da angeblich Frieden schaffen durch Waffenlieferungen oder einer Bevölkerungsgruppe helfen, sich zu verteidigen. Ob das damit erreicht wird, steht wirklich in den Sternen, beziehungsweise in den meisten Fällen darf man vermuten, dass es eher nicht der Fall ist. Wir haben anyway auch sowieso auf der Welt so viele Handfeuerwaffen im Umlauf, das können Sie sich eigentlich gar nicht so richtig gut vorstellen, das müssen über 900 Millionen sein, die im Umlauf sind. Und das sind unvorstellbare Mengen, mit denen auch Konflikte ausgefochten werden können.
Große Zweifel an den hehren moralischen Gründen der Befürworter
Stucke: Nun würden – unsere These im Hinterkopf: mehr Waffen gleich mehr Konflikte – Befürworter von Waffenlieferungen ja aber auch sagen, wenn wir sie jetzt nicht liefern, dann liefern sie andere, und den Krieg gibt es eh.
Nassauer: Das ist korrekt, das Argument wird auf jeden Fall kommen, aber es ist ein Argument von denjenigen, die gerne selber liefern würden. Auch wenn wir uns das gegenwärtige Argument anschauen, dass man den Kurden im Irak Waffen liefern müsse aus humanitären Gründen, dann hab ich da große Zweifel, dass die so hehren, moralischen Gründe, die dafür sprechen, wirklich die Argumente der Befürworter sind.
Die würden eigentlich gerne sehen, dass die Bundesrepublik ihre Zurückhaltung aufgibt und auch in Krisengebiete Waffen liefert oder sogar in Kriegsgebiete. Und das ist, wenn man das einmal einführt, der offene Fall für moralische Doppelstandards, bei denen man damit rechnen muss, dass man immer wieder definiert, wer ist der Gute und wem kann man Waffen liefern, und wer ist der Böse, dem liefern wir nichts.
Stucke: Herr Nassauer, Ausgangspunkt unserer These war ja dieser Zusammenhang, den der Friedensforscher Martin Kahl gebracht hat, also wenn die USA mehr oder weniger international eingreifen, dann gibt es analog dazu auch mehr oder weniger Konflikte. Wie sehen Sie denn diese Gleichung – mehr internationale Einsätze heißt auch mehr Konflikt?
Nassauer: Angesichts der Tatsache, wie wir im Westen mit diesen Konflikten umgehen oder besser nicht umgehen können, ist es in der Tat so, dass diese Interventionen, die der Westen in den letzten Jahren gemacht hat, viele ungewollte negative Nebenwirkungen hatten, weil wir offensichtlich keine Strategie besitzen, wirkungsvoll tatsächlich dauerhaft Frieden in diesen Regionen zu importieren oder zu organisieren.
Stucke: Also Frieden importieren statt Waffen importieren. Der Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, Otfried Nassauer, war das. Herr Nassauer, ich danke Ihnen und wünsche einen schönen Tag!
Nassauer: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.