Ruf nach einer "Kultur gemeinsamer Verantwortung“ im Kampf gegen Neonazis

Stefan Glaser im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Neonazis nutzten das Netz immer intensiver, um Jugendliche anzusprechen, sagt Stefan Glaser von der Kontrollstelle jugendschutz.net. Neben den durch ihre Neonazi-Symbolik leicht erkennbaren Seiten gebe es inzwischen auch subtilere Onlineauftritte.
Hanns Ostermann: Ihre Botschaften sind fremdenfeindlich, antisemitisch, rassistisch. Unverhohlen äußern sich Rechtsextremisten aber nicht nur auf Straßen, bei Kameradschaftsabenden oder in Kneipen, sie nutzen auch das Internet, um ihre Propaganda zu verbreiten. Fast 2000 derartige Webseiten fanden die Experten im vergangenen Jahr, so viele wie noch nie zuvor.

Wie geschickt inzwischen die rechte Gesinnung im Internet verpackt wird und was man gegen sie tun kann, darüber möchte ich mit Stefan Glaser sprechen. Er leitet den Arbeitsbereich Rechtsextremismus von jugendschutz.net. 1997 gründeten die Jugendminister der Länder diese Organisation. Guten Morgen, Herr Glaser!

Stefan Glaser: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Schon damals wurde das Internet als Propagandaplattform erkannt – was hat sich in den letzten 13 Jahren qualitativ gravierend verändert?

Glaser: Ich würde sagen, das Internet ist inzwischen das Propagandamedium schlechthin. Während wir im Jahr 2000 im Prinzip erst den Anfang erlebt haben – also Rechtsextreme habe da gerade das Internet für sich, für ihre Zwecke entdeckt –, nutzen sie es heute sehr breit, sehr vielfältig und vor allem immer offensiver, um Hassinhalte zu verbreiten, sich zu vernetzen und vor allem auch Jugendliche anzusprechen, die ja immer stärker das Netz auch nutzen zu Kommunikationszwecken.

Ostermann: Wie erkenne ich überhaupt, dass sich hinter einem Video zum Beispiel rechtsextremes Gedankengut versteckt?

Glaser: Das ist nicht immer so leicht zu erkennen. Es gibt natürlich sehr offene, offensichtlich zu erkennende rechtsextreme Propaganda, das erkennt man dann an der Symbolik, an den klassischen Neonazisymbolen, wie wir sie alle kennen. Es hat sich aber in den letzten zwei Jahren eine Zahl rauskristallisiert an Videos, die sehr subtil agieren, die ihre Botschaften geschickt verpacken.

Da geht es beispielsweise um das Thema Krieg in Afghanistan – die rechte Szene macht schon relativ lange den sogenannten Antikriegstag. Man könnte da erst mal ein pazifistisches Ansinnen vermuten, man stellt dann aber erst fest, wenn man sich das Angebot ein bisschen genauer anschaut, schaut sich die Parolen an, dass es tatsächlich um antisemitische Propaganda geht, dass es darum geht, dass den Juden im Prinzip die Vorherrschaft unterstellt wird anzustreben, also massive rechtsextreme Propaganda, antiglobalisierte Propaganda, die einen rechtsextremen Kontext hat.

Ostermann: Wenn die Neonazis offensichtlich aktiv, offensiv im Netz erfolgreich sind, was versuchen sie denn jetzt mit Ihrer Organisation, um die Propaganda auszuschalten, auszubremsen?

Glaser: Naja, es gibt ja relativ klare Regeln, was im Netz erlaubt ist und was eben nicht mehr erlaubt ist. Im Bereich Rechtsextremismus sind das insbesondere die Strafparagrafen, 86a, also keine Verbreitung von Kennzeichen, von Neonaziorganisationen, von verbotenen Organisationen. Und hier setzen wir an, hier gucken wir, gibt es tatsächlich solche strafbaren Inhalte, und kontaktieren dann die Provider und sagen, bitte die Inhalte aus dem Netz nehmen, beziehungsweise leiten wir die Angebote auch an die Behörden weiter, damit die Täter ermittelt werden.

Ostermann: Und was machen Sie, wenn die im Ausland sitzen?

Glaser: Ja, man denkt immer so, man hat im Ausland keine Möglichkeit, weil beispielsweise, wenn ein Provider in den USA sitzt, dort gilt das Recht der freien Meinungsäußerung noch wesentlich breiter als bei uns. Unsere Erfahrung ist da eine ganz andere. Wir kontaktieren auch die Provider, die Hostprovider, also diejenigen, die den Speicherplatz anbieten, schauen aber dann nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Dienste.

Das heißt, wir argumentieren nicht, das ist bei uns strafbar, nehmen Sie das bitte raus, sondern wir sagen, Moment, Sie haben doch eigene Nutzungsbedingungen aufgestellt, und hier gibt es einen User, der missbraucht die, möchten Sie dieses nicht runternehmen dann aus dem Netz. Und unsere Erfahrung ist da sehr positiv, also der größte Prozentsatz der Provider, die wir kontaktieren, nehmen dann die Inhalte aus dem Netz.

Ostermann: Nun wehren sich ja viele gegen Zugangssperren im Netz bei bestimmten Inhalten. Wie können Sie mit Ihrer Organisation Neonazis mit virtuellen Mitteln begegnen?

Glaser: Wichtig ist uns, dass wir eine Kultur gemeinsamer Verantwortung entwickeln, das heißt also, hier muss jeder den Teil der Verantwortung übernehmen. Sicherlich ist es wichtig, dass Behörden die Täter ermitteln, das heißt, dass denen das Handwerk gelegt wird, die quasi andere Menschen bedrohen.

Wichtig ist aber auch, dass die Communities, insbesondere, dass die User von Web-2.0-Plattformen Verantwortung übernehmen, denn nur, wenn die sagen, wir wollen nicht, dass unsere Plattformen missbraucht werden von Neonazis, um solche Propaganda zu verbreiten, hat das tatsächlich dann auch eine Breitenwirkung. Also die Community, die User müssen noch wesentlich stärker aktiv werden und hier sagen, Neonazis haben hier nichts zu suchen, und ihnen sozusagen auch konsequent die Rote Karte zu zeigen.

Ostermann: Und die Rote Karte sollten möglicherweise auch Eltern ihren Kindern zeigen, wenn sie sie dabei erwischen, auf falschen Seiten zu sein.

Glaser: Natürlich ist das ein ganz wichtiger Baustein auch einer Gesamtstrategie. Eltern müssen Interesse dafür entwickeln, was ihre Kinder, was Jugendliche im Netz machen, müssen sich damit auseinandersetzen. Und wenn ich feststelle, dass mein Sohn in eine rechte Szene kommt, werde ich auch aktiv.

Genauso muss es im Internet sein, wenn ich merke, er lädt sich rechte Musik runter, schaut sich hauptsächlich rechtsextreme Seiten an. Hier muss ich auch als Eltern dann handeln, hier muss ich mich auseinandersetzen, hier muss ich schauen, was steckt denn dahinter und dann letztendlich auch was unternehmen.

Ostermann: Stefan Glaser, er leitet den Arbeitsbereich Rechtsextremismus von jugendschutz.net, einer Organisation der Jugendministerien der Länder. Herr Glaser, danke Ihnen für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.

Glaser: Gerne!
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