Regierung Netanjahu unter Druck
Die Israelis im Westjordanland fordern eine Regierungsentscheidung für noch mehr jüdische Siedlungen. Etliche wollen ihre Interessen notfalls mit Gewalt durchsetzen. Aber es gibt auch einen Appell zur Zurückhaltung - aus Netanjahus Kabinett.
"Das Volk verlangt Rache", skandieren die Demonstranten gestern Abend vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Netanjahu. Das ist die Stimmung im jüdischen Teil der israelischen Gesellschaft nach den Messerattacken in der Jerusalemer Altstadt und den tödlichen Schüssen auf die Eltern von sechs Kindern im besetzten Westjordanland.
Die Israelis, die dort leben, sind aufgebracht, fordern jetzt eine Regierungsentscheidung für noch mehr jüdische Siedlungen. Und sie bekommen Unterstützung von Regierungsmitgliedern wie etwa Sozialminister Chaim Katz. Er sagt vor mehreren tausend Demonstranten:
"Ich bin nicht hier, um mich gegen den Ministerpräsidenten zu stellen. Aber ich höre den Ruf der Siedler in Israel und ich verspreche, diesen Ruf in die Regierung hineinzutragen. Nur Netanjahu kann den Terror beseitigen und Israel bebauen. Den Baustopp in unseren Siedlungen verstehen die Palästinenser doch als Schwäche; deshalb müssen wir weiter bauen: Kindergärten und Schulen in den bestehenden Siedlungen, neue müssen dazukommen."
Am Tag zuvor war ein Mob junger jüdischer Siedler noch durch die Straßen Westjerusalems gezogen und hatte "Tod den Arabern" gerufen. Die liberale Tageszeitung Haaretz schreibt von einer "Stadt im Blutrausch". Die Siedler wollten offenbar eine schnelle, eine gewaltsame Lösung.
Ein Appell zur Zurückhaltung kommt – unverhofft – von Arie Deri. Der Wirtschaftsminister von der ultraorthodoxen Shas-Partei kritisiert seine demonstrierenden Kabinettskollegen:
"Wozu soll das gut sein? Sollen die Leute Selbstjustiz üben? Sollen die Bürger Steine werfen? Wollen wir das erreichen? Sobald die einheitliche Linie in der Regierung verloren geht, fühlen sich andere berufen, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen. Das ist gefährlich. Das muss aufhören."
Netanjahu will schneller als bisher palästinensische Wohnhäuser einreißen lassen
Einen Erfolg hat Netanjahu immerhin präsentieren können: Fünf Palästinenser seien verhaftet worden, hieß es am Abend: Verdächtige im Fall des erschossenen Ehepaars aus einer Siedlung bei Nablus. Die Männer hätten ihre Beteiligung an dem Terrorakt zugegeben.
Und Netanjahu will schneller als bisher palästinensische Wohnhäuser einreißen lassen: Die erprobte Abschreckungsmaßnahme gegen Familien, deren Söhne Attentate verübt haben sollen. Im arabischen Ostteil Jerusalems hat die Armee in der vergangenen Nacht zwei Häuser zerstört, ein weiteres zugemauert. Die palästinensischen Familien sind damit obdachlos. Menschenrechtsorganisationen kritisieren solche Hauszerstörungen immer wieder als Kriegsverbrechen.
Währenddessen fragt das israelische Fernsehen auch bei den Palästinensern im Westjordanland nach. Die sehen sich der Gewalt der Armee ausgesetzt: Allein in Bethlehem sind innerhalb eines Tages zwei 12 und 13 Jahre alte Kinder durch scharfe Munition getötet worden. Und die Palästinenser haben Angst vor radikalen Siedlern, wie dieser Mann sagt:
"Hier gibt es niemanden, der uns vor den Siedlern schützt. Das können wir nur selbst tun. Wenn wir uns nicht aufeinander verlassen könnten, wären wir schon verloren. Die Siedler sind in unser Dorf gekommen."
Schüsse fallen, der Mann geht in Deckung. Und die Palästinenser fragen, warum es zwei Monate nach dem Brandanschlag im Dorf Douma noch immer keine Verhaftungen gibt: Israels Armee und der Inlands-Geheimdienst hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass die Täter aus einer Siedlung stammen, auch Benjamin Netanjahu hatte von "jüdischem Terror" gesprochen.