Einer, der das Drama liebt
Rufus Wainwright bewundert den vor 400 Jahren gestorbenen Shakespeare. So dramatisch sein Leben bislang verlief - viele Drogen, viele Männer, viel Sehnsucht - könnte er selbst Teil eines seiner Stücke sein. Stattdessen hat Wainwright auf "Take All My Loves" neun Shakespeare-Sonette vertont.
"Dieses Album fühlt sich an wie eine ganz selbstverständliche Antwort auf etwas, das schon vor vielen Jahren begann, als ich ‚When in Disgrace with Fortune and Men’s Eyes‘ für einen Benefiz-Sampler schrieb. Später kam ich dann nach Berlin, um mit Robert Wilson und dem Berliner Ensemble weitere Sonette zu erarbeiten."
Erzählt Rufus Wainwright auf einer Presseveranstaltung in Berlin. 2002 erschien der Sampler, 2009 folgte die Zusammenarbeit mit Robert Wilson für einen Shakespeare-Abend. Einzelne Stücke sind später auf Wainwrights Klavieralbum "All Days Are Nights: Songs for Lulu" erschienen. Und jetzt – eben noch mal.
Halb Pop, halb Klassik
Zunächst fühlt sich auf diesem Album vieles nach zweitem oder drittem Aufguss an. Zumal die Songs beinahe in einem Abwasch mit seiner ersten Oper, "Prima Donna", aufgenommen wurden. Zu hören ist wieder das BBC Symphony Orchestra, dazu kommen zahlreiche Gastsänger: Rufus‘ Schwester Martha Wainwright zum Beispiel, Florence Welch von der Band Florence And The Machine oder die Sopranistin Anna Prohaska. Eine Platte halb Pop, halb Klassik.
"Anfangs dachten wir: Okay, du hast fünf Orchesterstücke in der Schublade, lass uns die als Klassiktitel aufnehmen, und die anderen nehmen wir dann als Popsongs auf, sodass wir am Ende auf 50 Prozent Pop und 50 Prozent Klassik kommen. Als wir dann fertig waren, habe ich mich ein bisschen umgehört und festgestellt, dass es so eine Mischung eigentlich noch nie zuvor gegeben hat."
Ein Konzept, das so neu vielleicht doch nicht ist, aber immerhin zu Wainwright passt – und deshalb auch einigermaßen aufgeht. Immerhin wandelt der 42-Jährige jetzt schon seit einigen Jahren zwischen den beiden Welten Pop und Klassik. Zusammengehalten werden diese vermeintlichen Gegensätze auf dem neuen Album durch Rezitative, ebenfalls Shakespeare-Sonette. Vorgelesen zum Beispiel von William Shatner, bekannt vor allem als Captain Kirk aus der Fernsehserie "Raumschiff Enterprise".
Das Problem des neuen Albums ist nicht so sehr der Spagat zwischen zwei musikalischen Welten, auch die Sänger sind gut, die meisten Stücke sind interessant komponiert und arrangiert – da steigert sich Wainwright von Platte zu Platte. Was dem Album fehlt, ist merkwürdigerweise sein Schöpfer selber. Wainwright ist nur in vier Titeln zu hören.
Viele Drogen, viele Männer
Ja, es macht schon Spaß, Rufus Wainwright mal auf Deutsch in der Übersetzung des Sonetts Nummer 66 singen zu hören. Aber Wainwright ist dann am besten, wenn er an seine musikalischen Grenzen geht. Was er in den Nullerjahren, als seine Karriere so richtig startete, ständig gemacht hat. Er schrieb Songs, die viel zu schwer für seine Stimme waren, mit Arrangements, die es eigentlich auch eine Nummer kleiner getan hätten. Wo manche Musiker schon mit einem Orchester zufrieden gewesen wären, vervielfachte das Aufgebot.
Wainwright – genauso wie Shakespeare – liebt das Drama, und dramatisch ging es in seinem Leben lange zu: viele Drogen, viele Männer, das Bedürfnis nach Ruhm und Bestätigung. Eine große Sehnsucht. All das transportiert seine Stimme – selbst in seinen schon bekannten Shakespeare-Einspielungen am Piano. Aber ohne die markante Stimme des Musikers fehlt das persönliche Moment – egal wie wuchtig das Arrangement ist.
Popmusik stellt immer dieselbe Frage: Was ist das da für ein Typ auf der Bühne? Sie interessiert für die Geschichten hinter dem Musiker, nicht so sehr für sein Können. Wainwright aber scheint sich zuletzt immer mehr auf die Klassik zu konzentrieren, gerade arbeitet er an seiner zweiten Oper. Auf "Take All My Loves. 9 Shakespeare Sonnets" jedenfalls befinden sich gute Ausarbeitungen alter Ideen, aber nicht immer sind es die besten. Und Schade, dass die persönlichen Beziehungen, die Wainwright zu manchen Sonetten hat, nicht deutlich werden, wenn sie auf dem Album erklingen. Sondern erst, wenn er darüber spricht:
"Traurigerweise ist meine Mutter, die großartige Kate McGarrigle, 2010 gestorben. Sie konnte noch eine Aufführung der Sonette hier in Berlin sehen, aber wenig später starb sie. Für mich geht es vor allem auf dem letzten Song des Albums um sie, ‚Lebewohl, du bist so gut‘. Es steckt viel von ihr in diesem Projekt."